EZB führt Zinswende fort
Die Europäische Zentralbank EZB hat am Donnerstag ihren Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 3,5 Prozent gesenkt. Es ist die zweite Zinssenkung in diesem Jahr, nachdem im Juni die Zinswende eingeläutet wurde. Damit befindet sich der Leitzins auf dem niedrigsten Stand seit Juni 2023. Die Presse ordnet ein, was das für Europas Wirtschaft bedeutet.
Zu zaghaft und zu langsam
El País kritisiert das Vorgehen der EZB:
„Angesichts zweier gegenläufiger Vektoren - steigende Inflation, sinkendes Wachstum - vermeidet es die EZB, ihre Haltung für die kommenden Monate zu offenbaren. ... Sie ist verständlicherweise vorsichtig, denn sie hat bei der Analyse des Inflationsszenarios nach den globalen Versorgungsproblemen 2021 und der Energiekrise 2022 Fehler gemacht. ... Die Vorsicht könnte sie jedoch zu einem weiteren Fehler verleiten: Sie ignoriert die Schwäche der europäischen Wirtschaft, die durch die deutsche Konjunkturflaute und den erheblichen Rückgang des privaten Verbrauchs und der Investitionen (auch verursacht durch die starre Haltung der EZB) belastet wird. Die Politik der Bank war zu lange zu straff, und ihre Lockerung ist zu zaghaft und zu langsam.“
Zinssenkungen allein reichen nicht
Europa darf sich nicht in Kleinigkeiten verlieren, mahnt La Stampa:
„Die gestern vernünftigerweise von der EZB gesenkten Zinssätze können nur wenig zur Belebung unserer Wirtschaft beitragen. ... Damit die Europäer mehr investieren und mehr produzieren, wie Mario Draghi vorschlägt, wäre viel mehr nötig. Wir verschwenden Zeit mit kleinlicher, kurzsichtiger Polemik. Um mehr zu wachsen, bräuchten wir Institutionen von der Größe des Kontinents. Vielleicht ist mit Unicredit und Commerzbank [die italienische Großbank hat ihren Anteil an der deutschen Commerzbank auf 9 Prozent aufgestockt] die Zeit endlich reif für eine sinnvolle länderübergreifende Fusion in der Eurozone, 22 Jahre nach der Einführung der gemeinsamen Währung und zwölf Jahre nach der Entscheidung für eine Bankenunion.“
Wirtschaft braucht Planungssicherheit
Kauppalehti erinnert daran, dass ein Konjunkturaufschwung Zeit benötigt:
„Der Markt schätzt die durchschnittliche Inflation für das kommende Jahr auf unter 2 Prozent. Wenn dies der Fall ist, gibt es Spielraum für eine Lockerung der Geldpolitik. … Der Weg zu einem Zinsniveau, bei dem die Geldpolitik nicht mehr als Konjunkturbremse wirkt, kann einige Zeit dauern. Der Markt erwartet, dass die EZB bis Ende nächsten Jahres mit vierteljährlichen Zinssenkungen fortfahren wird, bis der Zinssatz für Einlagen bei 2 Prozent liegt. … Es gibt viele Unwägbarkeiten, auch im geopolitischen Bereich. Nach einem überraschenden und abrupten Zinserhöhungszyklus wäre ein vorhersehbarer und geordneter Rückgang der Zinssätze der größte Wunsch vieler Wirtschaftsakteure.“
Jubel ist verfrüht
Die Inflationsgefahr ist noch nicht gebannt, warnt die Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Vorsicht:
„Insbesondere die Teuerung der Dienstleistungen lag im August mit 4,2 Prozent weit von Preisniveaustabilität entfernt und ist gegenüber Juli gestiegen. Da machen sich unter anderem höhere Löhne bemerkbar. Viel spricht zudem dafür, dass die besonders niedrige Inflation im August eher ein Ausreißer nach unten war. Insbesondere bei den Energiepreisen spielten rein technische Faktoren wie sogenannte statistische Basiseffekte eine Rolle. Deshalb sind in den nächsten Monaten bis zum Jahresende wieder etwas höhere Inflationsraten zu erwarten. Zu viel Jubel über die niedrigen Raten ist ohnehin nicht angebracht: Sind sie doch zum Teil auch Folgen der Wirtschaftsflaute.“