Deutsche Grenzkontrollen: Was macht das mit Europa?
Deutschland hat am Montag mit den angekündigten Einreisekontrollen an all seinen Grenzen begonnen. An den Grenzen zu Tschechien, Polen und der Schweiz hatte es bereits seit Oktober 2023, an derjenigen zu Österreich sogar seit 2015 Kontrollen gegeben. Besonders aus gesamteuropäischer Perspektive ist diese Verschärfung für Kommentatoren ein verheerendes Signal.
Egoistische Entscheidungen und leere Worte
Europäische Solidarität steht nur auf dem Papier, betont Phileleftheros:
„Deutschland, das als mächtigstes Land in der Europäischen Union die Oberhand hat, setzt oft seine eigenen Regeln durch, ohne sich um die Regeln und Wünsche der anderen Staaten zu kümmern. Zudem war eine härtere Gangart in der Einwanderungsfrage nach dem Sieg der extrem rechten Alternative für Deutschland (AfD) bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am 1. September und ihrem sich abzeichnenden Sieg in Brandenburg am kommenden Sonntag gewissermaßen unvermeidlich. ... Der Beschluss Deutschlands war ein Beweis dafür, dass die europäische Solidarität, die vor einigen Monaten bei der Unterzeichnung des neuen Pakts zu Einwanderung und Asyl so sehr beworben wurde, nur aus leeren Worte besteht.“
Der Migrationspakt wird so nicht funktionieren
Ohne eine konsensuale Migrationspolitik könnte Schengen zerfallen, befürchtet hvg:
„Die Migrationspolitik der EU-Länder weist unzählige Schwachstellen auf, und es scheint nicht so, dass der im Frühjahr verabschiedete Migrationspakt, der 2026 eingeführt werden soll, eine Lösung bieten würde. Ungarn und Polen haben ihm ohnehin nicht zugestimmt, und seither haben mehrere Länder angedeutet, dass sie Änderungen wünschen. Wenn es nicht gelingt, den richtigen Rahmen zu schaffen, und wenn die sogenannten temporären Grenzkontrollen, die in Wirklichkeit bereits als permanent bezeichnet werden können, weiter bestehen bleiben, wird das zum Erodieren des Schengen-Systems führen und dazu, dass der Wunsch nach einer immer engeren Union im fernen Nebel verschwindet.“
Migranten nicht zu Sündenböcken machen
Besorgniserregende Entwicklungen beobachtet El País:
„Gemäßigte Parteien übernehmen von den Ultrakonservativen Maßnahmen, die Einwanderer zum Sündenbock für Probleme machen, die nichts mit ihnen zu tun haben. ... Deutschland steht damit nicht allein. ... In Frankreich haben die Macronisten ein Gesetz verabschiedet, das so hart ist, dass es von Marine Le Pen als ihr eigener Erfolg gefeiert wurde. ... Die niederländische Koalitionsregierung, von Rechtsextremen angeführt, demontiert mit ihren angekündigten Maßnahmen den EU-Konsens in der Asylfrage. ... Die Verantwortung der gemäßigten Parteien besteht darin, dieser Hinterlist Daten, das humanitäre Völkerrecht und die schiere Evidenz des - nicht nur materiellen - Reichtums entgegenzusetzen, den die Einwanderung der EU bringt.“
Brüssel muss eine Lösung finden
Solche Maßnahmen gehen auf Kosten der Staaten an der EU-Außengrenzen, kritisiert das Webportal Capital:
„Wenn das alle EU-Binnenländer tun, fällt die Last auf die Erstzugangsländer wie Griechenland, Italien oder Spanien. Polen und Österreich haben Brüssel bereits aufgefordert, zu intervenieren. Aber die deutsche Regierung ist in Panik, denn in den beiden Bundesländern, in denen kürzlich Wahlen stattfanden, haben die drei Koalitionsparteien [sehr schlecht abgeschnitten]. Wenn Brüssel nicht sofort eine umfassende Lösung für das Migrationsproblem findet, laufen die EU-Grenzländer Gefahr, ein riesiges Problem allein zu tragen, das sie nicht lösen können.“
Innen müssen die Türen offen bleiben
Das Wirtschaftsblatt Les Echos betont den zentralen Stellenwert offener Grenzen zwischen den EU-Staaten:
„Es geht auch um das Symbol. Für die Europäer sind die greifbarsten Merkmale des gemeinsamen Hauses Europa der Euro, das Erasmus-Programm und die leicht zu überquerenden Grenzen. Der Eingang ins Haus muss besser überwacht, die Flüchtlingsaufnahme besser gemanagt und Lösungen für abgewiesene Asylsuchende gefunden werden. Im Inneren des Hauses jedoch müssen die Türen offen bleiben und Ausnahmen Einzelfälle bleiben. Andernfalls droht das gesamte europäische Projekt auseinanderzufallen.“
Wertegeleitete Außenpolitik ade!
Der Schaden für Europa ist immens, schimpft die taz:
„Die Botschaft aus Deutschland lautet: Jeder ist sich selbst der Nächste. Europäische Solidarität? Fehlanzeige. ... Ausgerechnet die Ampel, die einmal als 'Fortschrittskoalition' antrat, treibt damit den Rechtsruck in Europa voran, zumal die Abschottung nach außen mit Repressionen nach innen in verschiedensten Bereichen einhergeht – gegen Klimaaktivisten, kritische Professor:innen oder propalästinensische Gruppen zum Beispiel. Zugleich fallen die Hemmungen, mit den Taliban oder Syriens Diktator Assad zu verhandeln, um Abschiebungen zu ermöglichen. Von einer wertegeleiteten Außenpolitik kann keine Rede mehr sein.“