Nach Tod Nasrallahs: Weitere Eskalation in Nahost?

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah ist am Freitag bei einem israelischen Luftangriff auf das Hauptquartier der Miliz in einem Vorort von Beirut getötet worden. Nasrallah war mehr als drei Jahrzehnte Hisbollah-Generalsekretär und eine der wichtigsten Figuren der proiranischen "Achse des Widerstands". Kommentatoren diskutieren, was die nächsten Schritte der beteiligten Kräfte sein könnten.

Alle Zitate öffnen/schließen
Novinky.cz (CZ) /

Alles richtig gemacht

Novinky.cz gratuliert Netanjahu zu dem Schlag:

„Es ist gut, dass Israel sich nicht davon abhalten ließ, seine Angriffe fortzusetzen, dass es die Worte vieler westlicher Politiker, darunter des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, ignoriert hat. Diesmal hatte Benjamin Netanjahu Recht, als er Forderungen der USA und Frankreichs nach einem dreiwöchigen Waffenstillstand, nach Deeskalation, zurückwies. ... Die Hisbollah hat erklärt, sie werde weiterhin gegen Israel kämpfen, aber die Bewegung und ihre Milizen sind geschwächt, Oberbefehlshaber sind tot und viele Waffen und Munition, darunter auch hochentwickelte Raketen, zerstört.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Zu früh für einen Waffenstillstand

Israel hat seine strategische Lage verbessert, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

„Die Pager-Explosionen setzten viele Kämpfer der Hizbullah außer Gefecht und störten ihre Kommunikation. Wichtige Kommandeure der Organisation sind tot, ihr Raketenarsenal wurde massiv angegriffen. Dass Israel eine solche Operation in wenigen Tagen gelang, zeugt von sorgfältiger Planung, aber auch von Selbstüberschätzung der Hizbullah. ... Der Westen sollte sich auch darüber im Klaren sein, dass Teheran der Profiteur eines schnellen Waffenstillstands wäre. Die Hizbullah würde nicht weiter geschwächt und bliebe als iranisches Machtinstrument an Israels Nordgrenze erhalten. Mittelfristig sähe sich Israel dann zumindest im Norden mit derselben Bedrohung konfrontiert wie vor dem 7. Oktober.“

Público (PT) /

Angst vor einem Flächenbrand

Die Spirale der Gewalt wird sich weiterdrehen, urteilt der Politologe José Pedro Teixeira Fernandes in Público:

„Was wir wissen, ist, dass die israelischen Angriffe und die Verluste, die die Hisbollah erlitten hat, sie unter Druck setzen, ihre militärische Glaubwürdigkeit und Abschreckungsfähigkeit wiederherzustellen. Die Hisbollah verfügt nach wie vor über erhebliche militärische Kapazitäten, um das gesamte israelische Territorium zu erreichen. ... Die Hisbollah ist jedoch hin- und hergerissen zwischen ihren Interessen im Libanon und den umfassenderen Interessen des Iran, von dem sie abhängig ist. In jedem Fall haben die Intensität der militärischen Konfrontation und ihre geografische Ausdehnung dramatisch zugenommen, was die Angst vor einem umfassenden Krieg schürt.“

Le Monde (FR) /

Teheran in der strategischen Sackgasse

Die Iran-Experten Mohammad-Reza Djalili und Clément Therme analysieren in Le Monde, welche Folgen der Tod von Nasrallah für den Iran haben könnte:

„Die Islamische Republik befindet sich nun in einer strategischen Sackgasse zwischen dem Wunsch nach Rache und der Notwendigkeit, das Überleben ihres Systems zu sichern. Wie auch immer die iranische Reaktion auf den Tod Hassan Nasrallahs ausfallen wird, die Hisbollah, das Flaggschiff des Teheraner Einflussnetzes, wird durch seinen Tod letztlich hart und nachhaltig geschwächt. ... Die offiziellen Reden, die Nasrallah als 'Märtyrer' feiern, laufen Gefahr, auf eine neue Realität zu stoßen: den Anfang vom Ende des ideologisch-politischen Projekts der Islamischen Republik im Nahen Osten.“

Corriere del Ticino (CH) /

Fluch und Segen

Netanjahu teilt den Nahen Osten in unterschiedliche Lager ein, beobachtet Corriere del Ticino:

„Der Tod Nasrallahs hat sogar unter Sunniten Jubel ausgelöst. Derweil hat das Abraham-Abkommen zwischen einigen arabischen Ländern und Israel trotz allem, was in diesem Jahr geschehen ist, weiterhin Bestand. Netanjahu ordnete in seiner Rede vor der halbverlassenen UN-Vollversammlung Ägypten und Saudi-Arabien dem Lager der Guten, des Friedens und des Wohlstands zu. ... Betitelt als Segen im Gegensatz zum Fluch seiner wirklichen Feinde, einschließlich des Iran. … Es ist zu befürchten, dass die legitime, aber unverhältnismäßige Reaktion des jüdischen Staates die Ausbreitung des Terrors nicht verringert, sondern verstärkt.“

Ilta-Sanomat (FI) /

Libanesen haben Chance verdient

Die Schwächung der Hisbollah wird nicht automatisch zu Frieden im Libanon führen, meint Ilta-Sanomat:

„Die Lähmung der Hisbollah könnte dem Libanon einen Neuanfang ermöglichen, sobald diese Zeit des Chaos zu Ende geht. ... Die Libanesen haben die Chance verdient, in einem normalen, demokratisch regierten Land zu leben, in dem der Staat das Gewaltmonopol besitzt. Die Verwirklichung dieses Traums würde voraussetzen, dass die Hisbollah ihre Waffen abgibt und Frieden zwischen den libanesischen Bevölkerungsgruppen herrscht – und es auch eine dauerhafte Friedensregelung mit Israel gibt. Derzeit ist es jedoch schwer zu glauben, dass dieser Traum jemals Wirklichkeit werden wird.“