Was kann die Ukraine von Trump erwarten?
Im Wahlkampf hatte Donald Trump versprochen, den Ukraine-Krieg als US-Präsident in nur 24 Stunden zu beenden. Darüber, wie er das Versprechen einlösen will, gab er keinerlei Auskünfte. Nun klopfen Europas Medien die Rahmenbedingungen und Folgen eines potenziellen Friedens-Deals des kommenden US-Präsidenten ab.
Mit Harris hätte es Kyjiw kaum leichter
Für die Ukraine wird sich mit Trump im Weißen Haus strategisch nichts verändern, meint Politologe Iliya Kusa in Unian:
„Die Logik der kontrollierten Eskalation und der räumlichen Begrenzung des Krieges wird sowohl von den Republikanern als auch von den Demokraten vertreten. Genauso wie der Trend zur Reduzierung der Auslandshilfe. Trump hat viel und überzeugt darüber gesprochen. Und auch sein Vize J. D. Vance. Unter Trump wird die Art und Weise, wie diese Logik weiterverfolgt wird, exzentrischer und drastischer sein. Unter Harris wäre es die gleiche Geschichte, bloß länger und komplizierter. Aber 'rote Linien' werden die Amerikaner auf keinen Fall überschreiten, denn sie sind nicht verrückt und verstehen ihre eigenen Interessen sehr gut.“
Es darf nicht wie eine Niederlage der USA aussehen
Politologe Wolodymyr Fessenko erklärt auf Facebook, warum es Trump schwerfallen wird, sein Versprechen einzuhalten:
„Russland wird bei möglichen Friedensgesprächen eine sehr harte und aggressive Haltung einnehmen und von der Ukraine einen Frieden zu russischen Bedingungen durch große einseitige Zugeständnisse verlangen. Das wird für die Ukraine inakzeptabel sein. Aber auch Trump würde das nicht passen. ... Es würde als Schwäche der USA ausgelegt – auch von ihren Gegnern. Und das würde äußerst negative Folgen für die USA in verschiedenen internationalen Angelegenheiten haben – von Taiwan bis zum Nahen Osten. Trump mag es nicht, zu verlieren. Es ist unwahrscheinlich, dass er einem Frieden zustimmt, bei dem er wie ein Schwächling und Versager aussehen würde.“
Ölpreis als Daumenschraube für Putin
Anton Barbaschin, Direktor der Russland-Analyseplattform Riddle, kann sich vorstellen, dass Trump Moskau und Kyjiw Ultimaten stellen könnte:
„Entweder setzen sich Putin und Selenskyj an den Verhandlungstisch, oder Trump wird Selenskyj mit der Einstellung der Militärhilfe drohen, während er Putin im Gegenzug versprechen wird, die Unterstützung der Ukraine mit Waffen deutlich zu erhöhen und den wirtschaftlichen Druck auf Moskau drastisch zu verstärken, wobei es den schmerzhaftesten Punkt – die russischen Öl- und Gaseinnahmen – treffen soll. Der Druck soll über einen Einbruch des Ölpreises erfolgen ... Es ist unwahrscheinlich, dass sich Putin und Selenski an den Verhandlungstisch setzen wollen, nur weil sie von Trump höflich darum gebeten werden.“
EU muss ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen
Jetzt ist der Moment für Europa, sich von äußerer Abhängigkeit zu lösen, urteilt Le Quotidien:
„Donald Trump hat wiederholt, dass er seinen Nato-Verbündeten nicht helfen würde, wenn sie angegriffen würden – sei es von Russland oder von einem anderen Land. Er werde dies nur tun, wenn die Länder mehr in ihre Verteidigung investieren und zwar auf einem Niveau, das er festlegt. Da trifft es sich gut, dass sein Land auch Waffen verkauft. Die kommenden vier Jahre werden aus unzähligen Gründen schwierig. Aber sie bieten Europa auch eine Chance: Es ist an der Zeit, dass die EU ihr Schicksal wieder selbst in die Hand nimmt und aufhört, sich zu fragen, wie bloß mit ihr verfahren wird – egal ob vom Bewohner des Weißen Hauses oder vom Kremlchef.“
Ende der Friedensdividende
Europa muss unter Trump wohl lernen, militärisch auf eigenen Beinen zu stehen, meint auch The Times:
„Die europäischen Staats- und Regierungschefs könnten sich in der unbekannten Situation wiederfinden, dass sie erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine wirklich unabhängige Sicherheitspolitik aufbauen müssen. ... Es ist natürlich möglich, dass Trump davor zurückschreckt, sich von der Ukraine zu distanzieren, aus Angst vor der Schande, die dies über seine Präsidentschaft bringen würde. Aber während sie auf das Beste hoffen, müssen die europäischen Staats- und Regierungschefs auf das Schlimmste vorbereitet sein. Was auch immer geschieht, die Friedensdividende ist tot. Die Verteidigungsausgaben werden steigen müssen und die militärische Zusammenarbeit in Europa muss vorangetrieben werden.“