Ukraine: Putin bestätigt Angriff mit neuem Raketentyp

Russland hat nach eigenen Angaben eine neuartige Rakete mit großer Reichweite gegen die ukrainische Stadt Dnipro eingesetzt. Die "Oreschnik" sei von Astrachan am Kaspischen Meer gestartet worden und eine Antwort auf Angriffe gegen Russland mit westlichen Raketen, erklärte Präsident Putin in einer Videoansprache. Sie sei nicht nuklear bestückt gewesen, obwohl das technisch möglich sei. Kommentatoren ordnen ein.

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The Economist (GB) /

Weitere Schwelle überschritten

The Economist erklärt die Bedeutung des Einsatzes der Oreschnik:

„Russland hat in der Vergangenheit eine große Anzahl ballistischer Raketen auf die Ukraine abgefeuert, von denen viele nuklear bestückt werden können, wie die Kinschal. Aber die Oreschnik ist anders. Sie wurde ursprünglich sowohl von Amerika als auch von Russland als Interkontinentalrakete eingestuft. Selbst wenn ihre Reichweite eine Stufe niedriger ist, handelt es sich bei solchen bodengestützten ballistischen Mittelstreckenraketen um komplexe und teure Waffen, die fast immer mit nuklearen Sprengköpfen in Verbindung gebracht werden. ... Die Oreschnik ist die erste Mittelstreckenrakete mit mehreren Sprengköpfen, die im Kampf abgefeuert wurde. Möglich, dass es nicht die letzte war.“

Censor.net (UA) /

Eine psychologische Taktik

Der ehemalige ukrainische Botschafter in den USA, Walerij Tschalyj, stuft den Schritt in Censor.net als russische Erpressung ein:

„Panik ist unangebracht! Für die Ukraine hat sich kaum etwas geändert. Angriffe mit potenziellen Trägern von Nuklearsprengköpfen wurden bereits ausgeführt – auch auf große Entfernungen (zum Beispiel mit Ch-55-Marschflugkörpern sowie mit dessen Modifikation, sogar mit Attrappen von Nuklearsprengköpfen). ... Das ist kein Signal an die Ukraine. Das ist ein Versuch, die russische nukleare Erpressung gegen Europa zu verstärken und eine entsprechende Reaktion der Verbündeten in den USA zu provozieren, um Angst vor einem dritten Weltkrieg zu schüren. Das ist im Grunde eine psychologische Operation.“

Polityka (PL) /

Nicht ungestraft durchgehen lassen

Polityka fordert eine entschlossene Antwort:

„Der Westen hat Argumente auf seiner Seite und sollte sie demonstrieren. Ein Raketentest, Übungen mit simulierten Atomwaffen, das Auftauchen eines Atom-U-Boots vor der russischen Küste sollten als Antwort im Eskalationsdialog ausreichen. Es ist auch möglich, in einer anderen Sprache – im Cyberspace oder im Weltraum – zu reagieren, mit nicht weniger spürbaren Folgen. Wirtschaftlicher Druck und Diplomatie sind ebenfalls probate Mittel. Den Abschuss ballistischer Raketen auf ein wehrloses Land sollte man Putin nicht ungestraft durchgehen lassen.“

Echo (RU) /

Bis zum Atomkrieg ist es nicht mehr weit  

Oppositionspolitiker Lew Schlosberg warnt in einem von Echo publizierten Telegram-Post vor den nächsten Schritten:

„Eskalation kann nicht endlos sein. Jede Seite hat eine anfänglich bekannte Anzahl von Aktionen im Köcher, die nach und nach ausgeschöpft werden. Das Ergebnis der Eskalation kann entweder ein Abrücken vom Abgrund oder das Brechen der Sperrriegel sein. Bislang verlaufen die Ereignisse nach dem zweiten Muster. Es bleibt nicht mehr viel Zeit bis zum Ende, denn die Eskalationsmunition beider Seiten ist nahezu erschöpft. Noch zwei oder drei Schritte und die Seiten machen Atomwaffen startklar. Vielleicht zunächst nicht in Form eines Militärschlags, sondern in Form eines Tests, aber die Barriere vor nuklearen Angriffen wird überwunden. Danach gibt es nur noch globalen Krieg.“

De Standaard (BE) /

So schnell verfliegen Schwüre

De Standaard warnt auch angesichts der Lieferung von Landminen durch die USA an die Ukraine vor der sich abzeichnenden Eskalationsspirale und verweist auf internationale Verträge gegen solche Einsätze:

„Der Konflikt zeigt das Tempo, in dem teure Schwüre verfliegen und die Barbarei übernimmt. Der Vergleich mit dem Ersten Weltkrieg geht immer deutlicher auf, mit einer fast statischen Front, wo Soldaten einander in Schützengräben abschlachten. Ein Menschenleben, insbesondere auf russischer Seite, ist nichts mehr wert. Was ist der nächste Schritt? Bald müssen wir noch befürchten, dass ein kriegführendes Land zum Nervengas greift. Das ist noch billiger.“