EU und Mercosur-Staaten einigen sich auf Abkommen
Ein Vierteljahrhundert nach Beginn der Verhandlungen sind sich die EU und die Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay über eine Freihandelszone einig geworden. Sie soll den Handel durch den Abbau von Zöllen ankurbeln und Investitionen erleichtern. Frankreich, Italien und Polen hatten allerdings bis zuletzt Bedenken geäußert. Unter den Kommentatoren herrscht auch keine Einhelligkeit.
Meilenstein beim Bau einer Freihandelsordnung
Mercosur hat für Europa strategische Bedeutung, betont Rzeczpospolita:
„Die EU braucht ein Abkommen mit dem Mercosur, weil es ihre Position in einer Welt stärken wird, in der zwei protektionistische Mächte um die Führung wetteifern: China und die USA. Die EU muss sich mit gleichgesinnten Ländern verständigen und mit ihnen die Architektur einer Freihandelsordnung aufbauen, denn sie ist der größte Exporteur von Waren und Dienstleistungen. Aber sie braucht diese Handelsbeziehungen auch, weil sie eine Annäherung in anderen Bereichen bedeuten. So verpflichten sich die Mercosur-Länder in dem soeben unterzeichneten Abkommen, nicht vom Pariser Klimaabkommen abzuweichen und auch die Abholzung zu stoppen.“
Kein Grund zur Klage für subventionierte Bauern
Die taz kann die Kritik vieler europäischer Bauern an dem Abkommen nicht verstehen:
„Die Union ist der größte Agrar- und Lebensmittelexporteur der Welt. 2023 exportierte die EU in dem Sektor für 70 Milliarden Euro mehr, als sie importierte. Die Europäer sind Weltmeister bei der Ausfuhr von Käse und Schweinefleisch. Zwar stimmt es, dass zum Beispiel die Löhne in Deutschland höher sind als in Brasilien. Aber dafür können südamerikanische Landwirte von Agrarsubventionen auf EU-Niveau nur träumen: Die Europäer päppeln ihre Bauern mit 55 Milliarden Euro pro Jahr. Wer so viel subventioniert und exportiert, sollte sich nicht über ein paar zusätzliche Importe aus Mercosur-Staaten beklagen.“
Ökowende statt blindem Marktvertrauen
Der Ökonom Maxime Combes skizziert in Le Monde eine Alternative zum ausgehandelten Abkommen:
„Eine Stärkung unserer kulturellen, politischen, geopolitischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den Mercosur-Ländern erfordert nicht, ihnen Autos und Pestizide zu verkaufen und ihnen Rindfleisch abzunehmen. Um dieses Ziel zu erreichen, wäre ein gemeinsamer, entschlossener und solidarischer Kampf gegen den Klimawandel, den Verlust der Artenvielfalt und die Entwaldung besser. Statt unsere Zukunft den internationalen Märkten anzuvertrauen, sollten wir in den umweltschädlichsten Branchen auf eine soziale und ökologische Wende setzen, die in der heutigen Welt zu mehr Dynamik und Vorteilen führen würde.“
Stabilität und Sicherheit
El País sieht das Abkommen positiv:
„Die politische Botschaft der EU ist klar. Sie will in einer Welt, in der zwei ihrer größten Handelspartner, die USA und China, immer unzuverlässiger werden, Allianzen knüpfen. ... Für Brüssel ist das Abkommen eine Möglichkeit, dem wachsenden Einfluss Chinas auf dem amerikanischen Kontinent entgegenzuwirken und einen besseren Zugang zu wichtigen Rohstoffen für die Energiewende zu erhalten. ... Es ermöglicht eine stärkere Präsenz der EU in einem Gebiet, das trotz der Bemühungen Spaniens tendenziell unterbewertet ist. Gegner des Abkommens sollten den Moment höchster geopolitischer Spannungen berücksichtigen, zu dem es abgeschlossen wurde. ... Den Bürgern der EU bietet es Stabilität und Sicherheit.“
Ein Schritt in Richtung Frexit?
Das könnte Europa noch weiter entzweien, warnt Le Quotidien:
„Abgesehen von der Agrarproblematik geht es auch um das Bild der EU, das einen weiteren schweren Schlag erleidet. … Das Mercosur-Abkommen könnte Spuren hinterlassen, wenn ein Teil der Europäer nicht gehört wird. Frankreich ist bei Weitem die größte Agrarmacht des Kontinents und wird nicht zulassen, dass dieser Sektor von anderen mit Füßen getreten wird – selbst wenn es sich um seine engsten 'Verbündeten' handelt. Bei unseren Nachbarn werden sich erneut nach und nach Zweifel breit machen. Der Frexit wird sich in den Köpfen der Menschen weiterhin still und leise seinen Weg bahnen. ... Man muss aufpassen, dass kein historisches Unglück entsteht.“