Wohin führt die Aufrüstungsinitiative der EU?

Die EU-Mitgliedsstaaten haben bei einem Sondergipfel in Brüssel beschlossen, ihre Ausgaben für Verteidigung deutlich zu erhöhen und massiv aufzurüsten. Dazu sollen die Schuldenregeln bei Rüstungsinvestitionen gelockert und bis zu 150 Milliarden Euro an EU-Krediten zur Verfügung gestellt werden. Eine Erklärung zur weiteren Unterstützung der Ukraine wurde ohne Beteiligung Ungarns verabschiedet. Gemischte Reaktionen in der Presse.

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La Libre Belgique (BE) /

Europa ist aufgewacht

Die EU zeigt sich den aktuellen Entwicklungen gewachsen, lobt La Libre Belgique:

„Frankreich und Deutschland überwinden einige ihrer Vorbehalte, insbesondere bei der Haushaltspolitik, und schaffen es so, eine Dynamik durchzusetzen, die eine echte Wende darstellt. Zum ersten Mal hört die EU auf, eine durch ihre militärische Ohnmacht gelähmte Wirtschaftsmacht zu sein, und tritt als glaubwürdiger strategischer Akteur auf. Die angekündigten 800 Milliarden Euro sind nicht nur ein Betrag, sie sind eine Botschaft: die eines Europas, das es ablehnt, zum Spielball geopolitischer Winde zu werden, ein Europa, das seine Werte verteidigen und seine Bürger schützen will. ... Die EU ist noch im Stande, zusammenzustehen, wenn das Wesentliche auf dem Spiel steht.“

Kleine Zeitung (AT) /

Die Weichen stellen andere

Die EU droht sich aufs Abstellgleis zu manövrieren, meint die Kleine Zeitung:

„Jeder Schritt erfordert einen nur mühsam erreichbaren Kompromiss, jeder Vorschlag muss durch die Mühlen der gemeinsamen Entscheidungsfindung. Jeder Satz wird auf die diplomatische Waagschale gelegt. … Das alles sieht nach Schwäche aus. … Als Fazit bleibt: Das Heft hat nicht die EU in der Hand, es liegt bei der in London beschworenen 'Koalition der Willigen', einer Mischung aus Nato- und EU-Ländern, die im gemeinsamen Anliegen vereint sind. Die EU kann bestenfalls noch die Grundlagen liefern – etwa das Finanzierungspaket für die Aufrüstung bzw. weitere Unterstützung der Ukraine und die Abhaltung von Gipfel wie jenen in Brüssel.“

Aargauer Zeitung (CH) /

Zeit für mehr Ehrlichkeit

Jetzt hat die Heuchelei ein Ende, meint die Aargauer Zeitung:

„Jahrzehntelang haben es sich Europäer in ihren Wohlfühlstaaten gemütlich gemacht. Aus sicherer Distanz schimpften sie auf die Schurken dieser Welt. Auf Forderungen der verbündeten USA, mehr für ihre Sicherheit zu tun, reagierten sie mit Lippenbekenntnissen. Wenn man die stärkste Militärmacht der Welt im Rücken hat, braucht man sich um die eigene Schwäche nicht zu sorgen. … Mit Selbstermächtigung kommt Selbstbestimmung. … Und ob es den USA unter Präsident Donald Trump gefallen wird, wenn ein militärisch erstarktes Europa vermehrt mit eigener Stimme spricht? Natürlich nicht. Aber immerhin gibt es dann auch weniger Not zur Heuchelei.“

444 (HU) /

Das war vielleicht das letzte Veto

Viktor Orbán wird in Zukunft nicht mehr so leicht blockieren können, prognostiziert 444.hu:

„Da sich in den vergangenen Tagen bereits eine alternative europäische Kooperation herauszubilden begonnen hat, war der jetzige EU-Gipfel wohl die letzte Gelegenheit für Orbán, eine echte Störung zu verursachen. ... In wichtigen Kernfragen, die die Zukunft Europas bestimmen, kann die neue Formation [die Koalition der Willigen] die Initiative vom Europäischen Rat übernehmen, der einen vollständigen Konsens verlangt. Orbáns Veto-Drohungen könnten so ihre Kraft verlieren. Dies war jedoch auf dem jetzigen EU-Gipfel nicht der Fall. Orbán hat mit seinem Veto echten Schaden verursacht.“

TVXS (GR) /

Langfristig mit Russland kooperieren

Das Webportal TVXS kritisiert die Rüstungsoffensive auf europäischer Ebene:

„Die einzige Lösung, die den Bürgern Europas wirklich nützt, ist zunächst Frieden in der Ukraine und dann die Einbindung Russlands in ein neues System der europäischen kollektiven Sicherheit. Diese Lösung würde die Rüstung reduzieren, anstatt sie zu erhöhen, wie es die EU-Führung plant. Denn dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass eine Erhöhung der Militärausgaben auf drei Prozent des BIP – was sogar weniger ist als die fünf Prozent, die Trump für die Nato-Länder fordert – zu unpopulären Kürzungen und einem noch größeren Aufschwung der extremen Rechten führen wird.“