Bundestag billigt mehr Schulden und Sondervermögen
Nach einer kontroversen Debatte hat der Bundestag am Dienstag mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit eine Reform der im Grundgesetz festgelegten Schuldenbremse beschlossen. Damit können nun die Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit erhöht und ein Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz eingerichtet werden – sofern der Bundesrat am Freitag ebenfalls zustimmt. Unterschiedliche Bewertungen in der Presse.
Den Umständen entsprechend gehandelt
La Stampa begrüßt die Entscheidung:
„Seit der Einführung des Euro wurde den deutschen Regierungen stets eine zu vorsichtige Finanzpolitik vorgeworfen. Es wird weithin angenommen, dass dies Deutschland daran gehindert hat, seine öffentliche Infrastruktur zu erneuern und zudem das Wachstum der Gesamtnachfrage auf europäischer Ebene begrenzt hat. Die Kritik kommt nicht nur von Ökonomen, sondern auch von Politikern in traditionell weniger tugendhaften Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien. Gestern hat der Bundestag einen bedeutsamen Durchbruch erzielt. ... Diese Reform zeigt, dass die Deutschen angesichts außergewöhnlicher Situationen bereit sind, von den Grundsätzen der Haushaltsdisziplin abzuweichen.“
Jetzt sind Ergebnisse geboten
Die Neue Zürcher Zeitung sieht bei der künftigen Regierung eine enorme Bringschuld:
„Politik ist nicht schon dann wirksam, wenn sie auf dem Papier formuliert worden ist. Der Kraftakt liegt in der Umsetzung. Wenn die schwarz-rote Koalition das prekär gewordene Vertrauen in die deutsche Demokratie stabilisieren will, muss sie sich zu einer brutalen Ergebnisorientierung zwingen. Nur wenn die Bundeswehr wirklich wächst, nur wenn die Bahn tatsächlich wieder pünktlich fährt, nur wenn die Wirtschaft von ihren bürokratischen Fesseln befreit wird, und nur wenn die illegale Einwanderung erkennbar zurückgeht, kann sie ihre politische Hypothek bis 2029 tilgen.“
Die Handschrift von Rot-Grün
Kanzlerkandidat Friedrich Merz zahlt einen sehr hohen Preis für eine Regierungsbildung, stellt die Welt fest:
„Der Super-Schulden-Deal ist genau das, was SPD und Grüne in der Zeit der Ampel-Koalition immer gewollt haben – und was FDP und Union aus gutem Grund verhindert hatten. Dieser Deal, der nun durch die Grundgesetzänderung möglich geworden ist, trägt die Handschrift von Rot-Grün – jener Restkoalition, die vor nicht mal einem Monat von den Wählern krachend abgewählt wurde. Selten haben SPD und Grüne so viel bewegt wie im Angesicht dieser Niederlage. Und was hat die Union dafür bekommen? Wenig. Viel zu wenig.“
Ewiger Bremsklotz Haushaltsdisziplin
Ohne Veränderung auf ideologischer Ebene bleibt ein großer Wirtschaftsaufschwung unrealistisch, urteilt der Wirtschaftsexperte Serge Besanger in The Conversation:
„Der Erfolg des Vorhabens wird von [Merz'] Fähigkeit abhängen, in einem zunehmend unsicheren Umfeld Wachstum und Haushaltsdisziplin in ein Gleichgewicht zu bringen. … In Frankreich bleibt der Einfluss der keynesianischen Theorien vorherrschend. ... Im Gegensatz dazu steht Deutschland seit Langem in einer Tradition der Haushaltsdisziplin und fiskalischen Strenge. ... Solange diese ordoliberale Doktrin überwiegt, wäre es illusorisch, auf eine starke deutsche Wirtschaftsankurbelung zu hoffen, die auf massiven Staatsausgaben beruht.“