May skizziert harten Brexit
Großbritannien soll laut Theresa May nach dem Brexit nicht mehr am gemeinsamen Binnenmarkt teilnehmen. Außerdem versprach die Premierministerin, dass ihr Land die Einwanderung aus der EU kontrollieren und nicht mehr der EuGH-Rechtsprechung unterliegen werde. Kolumnisten dämpfen die Euphorie, andere Mitgliedstaaten könnten vom Brexit profitieren.
Massenexodus der Banken wird ausbleiben
Dass internationale Großbanken nach dem Brexit die Londoner City verlassen und auf das europäische Festland ziehen, hält Der Standard für wenig wahrscheinlich:
„[D]ie derzeit in Frankfurt, Paris, Luxemburg und sogar in Wien aufkeimende Euphorie über neue Jobs und ausgabenfreudige Banker könnte etwas übertrieben sein. London lebt nicht nur von der Regulierung, sondern von einer jahrhundertealten Tradition, hoher Qualität im Bankgeschäft und vorteilhaften Rahmenbedingungen. ... Auch wenn die Finanzkonzerne auf einen EU-Pass angewiesen sind: Sie werden meist nur kleinere Teile verlagern, die für eine Banklizenz in der Union erforderlich sind. Die großen Entscheidungen und das Gros der Belegschaft - sie bleiben auf der Insel. Klar: Mit besseren Briefkastenfirmen sollte sich Brüssel nicht abspeisen lassen. Aber einen Massenexodus kann die EU nicht erzwingen.“
Lettischer Traum vom besseren Leben ist vorbei
Um die rund 100.000 lettischen Auswanderer in Großbritannien sorgt sich Neatkarīgā:
„Für lettische Staatsbürger wird der Brexit keine angenehme Sache. ... Wegen der Grenzkontrollen können die Letten keine billigen Zigaretten und Alkohol mehr in das Land einführen. Neu-Auswanderer werden nicht mehr ohne Probleme einen Job finden, ein Bankkonto eröffnen und eine Sozialversicherungsnummer bekommen können. … Viele versuchen noch schnell, die britische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Denn Großbritannien ist das beliebteste Land der Letten: niedrige Arbeitslosigkeit, hervorragende Sozialleistungen, hohe Gehälter. Englisch zu lernen, ist auch viel leichter als Deutsch oder Norwegisch. Die Zukunft sieht aber leider nicht so rosig aus. Mays Brexit-Rede hat gezeigt, dass bald für viele Letten Großbritannien nicht mehr das Paradies sein wird.“
Hardliner treiben May vor sich her
Innerparteilicher Druck der Tories zwang die britische Regierungschefin auf einen klaren Anti-EU-Kurs, bedauert The Irish Independent:
„Vor sieben Monaten, als wir versuchten, die Folgen des schockierenden Ergebnisses des Referendums zu verdauen, konnte man immer noch hoffen, dass sich der gesunde Menschenverstand durchsetzt: Großbritannien würde sicher einen Weg finden, im Binnenmarkt zu bleiben oder sich vielleicht nach dem Vorbild Norwegens dem Europäischen Wirtschaftsraum anschließen. Es wäre wirtschaftspolitischer Wahnsinn, das nicht zu tun. Das war offensichtlich reines Wunschdenken. Wie so oft hat politisches Kalkül über gute Wirtschaftspolitik triumphiert. Mays Verbleib an der Spitze der Konservativen hängt davon ab, ob sie den harten Brexit liefert.“
Britische Rosinenpickerei unbedingt verhindern
Vor zu vielen Zugeständnissen der EU an Großbritannien in den Brexit-Verhandlungen warnt Kaleva:
„Die EU darf kein Abkommen abschließen, mit dem sich Großbritannien die Vorteile des freien Verkehrs für Menschen, Kapital, Waren und Dienstleistungen herauspickt, aber sich den unangenehmen Verpflichtungen entzieht, die zur Aufrechterhaltung dieser Freiheiten nötig sind. Wenn es Großbritannien ermöglicht wird, sich einfach so die schmackhaftesten Teile des EU-Kuchens zu nehmen, dann könnten solche Zugeständnisse andere kritische Mitgliedsländer ermutigen, denselben Weg zu gehen. Bei den Verhandlungen über das Austrittsabkommen mit Großbritannien geht es auch um die Zukunft der EU.“
Mutige Vision für blühendes Großbritannien
Mays Vorstellung von einer klaren Trennung Großbritanniens von der EU macht Hoffnung und verdient die Unterstützung aller Briten, lobt The Daily Telegraph:
„Der Plan stellt eine meisterhafte Anwendung des gesunden Menschenverstands dar und steht für genau das, wofür die Briten im vergangenen Juni gestimmt haben. Mays Vorstellung verdient Unterstützung. Er wird diese sicher von den meisten vernünftigen Menschen erhalten, da er auf Zuversicht und Vertrauen basiert. Zuversicht in Bezug auf Großbritannien und dessen Aussichten in einer globalen Wirtschaft sowie Vertrauen in die Fähigkeit dieses Landes, zu wachsen und zu blühen - unabhängig davon, wie die Verhandlungen mit der EU abgeschlossen werden. Entscheidend ist, dass die Regierungschefin bereit ist, zu einem schlechten Abkommen Nein zu sagen. Sie versteht die Stärke unserer Verhandlungsposition - im Gegensatz zu ihrem Vorgänger David Cameron.“
Spektakuläres Scheitern der EU
Die Entscheidung der britischen Premierministerin für einen harten Brexit ist für die Europäische Union eine enorme Niederlage, analysiert der Ökonom Jacques Sapir in Le Figaro:
„Indem Theresa May die Strategie des Bruchs umsetzt und zeigt, dass sie diese beherrscht, belegt sie die Schwäche und die Ohnmacht der EU. Die Gemeinschaft erweist sich also nicht nur als unheilvoll und gefährlich für ihre Mitgliedsländer, abgesehen von Deutschland. Sie ist zudem unfähig, den Austritt eines Landes zu verhindern, das sich Vorteile verschaffen möchte. Die Kosten dieses Bruchs darzulegen, war eine der großen Herausforderungen für die EU. Sie hat es nicht geschafft, ihre Position zu stärken und eines der größten Mitgliedsländer vom Austritt abzubringen. Damit macht die EU ihr spektakulärstes und vielleicht sogar endgültiges Scheitern perfekt.“
May weckt falsche Hoffnungen
Als unehrlich, unrealistisch und naiv verurteilt ABC Mays Masterplan:
„Man muss der britischen Premierministerin dafür danken, dass sie endlich für Klarheit gesorgt und die groben Umrisse davon gezeichnet hat, wie sie sich die Zukunft Großbritanniens komplett außerhalb der EU vorstellt. Aber ihren Worten nach zu urteilen, macht sie ihren Landsleuten weiter etwas vor, wenn sie verspricht, dass es für das Königreich vorteilhafter sein könnte, nicht in der EU zu sein. Die Vorstellung von einem Großbritannien, das 'weltoffen' und frei seine eigenen Allianzen schmieden und gleichzeitig vorteilhafte Sonderkonditionen mit den europäischen Partnern aushandeln könne, ist eine Utopie. Der Glaube, die Londoner City könne weiterhin auf dem europäischen Finanzmarkt operieren, ohne sich dabei der Luxemburger Justiz zu unterwerfen, ist naiv.“
Zwischen Selbstsicherheit und Verzweiflung
Theresa Mays selbstbewusster Auftritt lässt viele Fragen offen, analysiert De Volkskrant:
„Ihre Ankündigung, auch nach dem Brexit eine enge Beziehung zu den 'Freunden und Verbündeten' in der EU aufrecht erhalten zu wollen, lässt hoffen. ... Ein Schulterklopfen aus London können die Führer auf dem Kontinent nach Trumps Äußerungen in dieser Woche gut gebrauchen. Dann aber kam May gleich mit merkwürdig klingenden Drohungen: zum Beispiel, dass Großbritannien ein neues Steuerparadies sein könnte. Eine Art 'Cyprus on steroids'? Das klingt fast schon verzweifelt. ... May versprach Freihandel auf dem Weg zu einem Global Britain. Doch hinter den schönen Worten verstecken sich eine Reihe konkreter Probleme. ... Nun ist es Aufgabe der Briten und Europäer, damit so pragmatisch wie möglich umzugehen und dem höhnisch zuschauenden Publikum im Weißen Haus und im Kreml so wenig Schadenfreude wie möglich zu gönnen.“
London will nur Zuwanderer abhalten
May hat die Haltung der Konservativen bestätigt, alles andere aufzugeben, um sich den "polnischen Klempner" vom Hals zu halten, moniert Pravda:
„Das ganze Gerede vor dem Referendum, wie sehr man in der EU draufzahle, und Berechnungen, die zeigen sollten, dass sich für die britische Wirtschaft alles nur zum Guten wenden wird, waren nur Schein. In dem Moment, als die EU-Gegner wählen sollten zwischen dem gemeinsamen Markt und der Verringerung der Migration aus Europa, zögerten sie keine Sekunde. Sie warfen den gemeinsamen Markt und die Zollunion über Bord, weil das leere Strohdreschen mit dem 'polnischen Klempner' wichtiger war. ... Mays Rede hat den Kurs der ramponierten Währung verbessert, nicht aber die Stimmung im Parlament. Die Briten verhandeln ja auch nicht mit sich selbst, sondern mit dem starken Koloss der EU.“
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