Wie überlegt ist Washingtons Angriff in Syrien?
Der Angriff der US-Armee auf einen Stützpunkt der syrischen Luftwaffe vergangene Woche sorgt weiter für Diskussionen. Nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff durch das Assad-Regime in der Provinz Idlib hatten die USA rund 60 Raketen auf die syrische Militärbasis abgefeuert. Kommentatoren rätseln, ob es sich um eine unüberlegte Aktion Trumps handelte oder ob ein strategischer Plan hinter dem überraschenden Eingreifen steckt.
Trump zeigt sich als Anti-Obama
Mit dem US-Raketenangriff auf Syrien hat sich Trump als ernst zu nehmender Präsident präsentiert, lobt Lidové noviny:
„Trump zeigte Entschlossenheit, zog nicht nur 'rote Linien', sondern handelte. Mit einer Aktion erwarb er sich mehr Respekt als Obama in den vergangenen vier Jahren. Trump beruhigte seine europäischen Verbündeten, dass er sich nicht über deren Köpfe hinweg zum Handlanger Putins macht. Mit seiner Aktion sandte er zudem ein Signal auch an Teheran, Pjöngjang, Peking und Moskau: 'Nehmt mich ernst!'. Moralisch und strategisch war es wichtig, auf den Einsatz von Chemiewaffen zu reagieren. Langfristig werden so unschuldige Menschenleben gerettet. Schließlich gewann Trump Kredit auch bei einem Teil des US-Establishments, das ihn bisher verachtete. Negativ schlägt zu Buche, dass ein Raketenangriff noch keine Strategie ist. Er könnte der erste Schritt sein, um Washington in den Krieg in Syrien hineinzuziehen, was nicht im Interesse der USA und des Westens wäre.“
US-Präsident wandelt auf schmalem Grat
Auch Dnevnik erkennt die innen- und außenpolitischen Vorteile, die sich Trump mit dem Angriff in Syrien verschafft hat, sieht den US-Präsidenten aber auf einem schmalen Grat wandeln:
„Die Entscheidung, Syriens Regierungstruppen anzugreifen, könnte Trump zu drei großen Siegen verhelfen: Er kann sich eine innenpolitische Verschnaufpause verschaffen, sowohl in Bezug auf die Republikaner als auch gegenüber den Demokraten, die in der politischen Debatte derzeit moralisch eindeutig die Oberhand haben. Er kann Stärke zeigen gegenüber den westlichen Partnern und China, das er sich als geopolitischen Erzrivalen auserkoren hat. Und er kann die Zweifel zerstreuen, dass er von Russland kontrolliert wird. Wenn er aber scheitert, kann das zusammen mit den an Fahrt aufnehmenden FBI-Ermittlungen zu seinen Russland-Kontakten den Weg zu einem Amtsenthebungsverfahren umso schneller frei machen.“
Geostrategisch riskantes Bühnenstück
Trump handelte impulsiv und hat damit eine gefährliche Periode in der Weltpolitik eingeleitet, sorgt sich Delo:
„Das größte Problem bei dieser Geschichte ist, dass Donald Trump dazu bereit ist, bei einer derart riskanten 'Aufführung' Regie zu führen, um die öffentliche Meinung zufrieden zu stellen. Und um bereits bekannte Botschaften an die globalen Rivalen der USA unnötigerweise zu unterstreichen. Er ist also, um einige politische Punkte zu sammeln, dazu bereit, einen Kampf größeren regionalen und sogar weltweiten Ausmaßes zu riskieren. Dies bestätigt Vermutungen, dass wir mit der neuen Führung im Weißen Haus in ein völlig neues geostrategisches Spiel eintreten, in dem Impulsivität strategische Erwägungen und abgemessene Schritte überholt. Das ist nicht nur für die Syrer eine schlechte Nachricht, sondern für uns alle.“
Vom Isolationisten zum Weltpolizisten
Trump könnte plötzlich erkannt haben, dass die USA wie eine Supermacht agieren müssen, spekulieren die Salzburger Nachrichten:
„[M]an täte Trump unrecht, wollte man ihm allein unterstellen, außenpolitisch mit dem dicken Stock zu drohen, um innenpolitisch Punkte zu sammeln. ... Trump könnte ja auch erkannt haben, dass seine Parolen 'America First' und 'Make America Great Again' mit Sicherheit nicht durch Isolationismus und Rückzug hinter die eigenen Grenzen mit Leben zu füllen sind. Die Kehrtwendung vom Putin-Bewunderer zum Gegenspieler des Herrn im Kreml deutet darauf hin. Trump dürfte eingesehen haben, wie wichtig es für die USA ist, ihre Rolle als Supermacht überall auf der Welt auszufüllen.“
Trump poltert diesmal mit Raketen
Hinter dem Angriff der USA in Syrien ist keine Strategie erkennbar, kritisiert Der Standard:
„In einer entscheidenden Phase seiner jungen Präsidentschaft hat Trump gezeigt, dass er Außen- und Sicherheitspolitik genauso betreibt wie alles andere im Leben: spontan, impulsiv, planlos und nur auf sich selbst fokussiert. Dazu passt auch der Angriff auf Ziele in Syrien in der Nacht auf Freitag. … Trump setzt zwar Raketen ein, hat aber wohl keine Strategie im Köcher. Der Einsatz in Syrien bleibt entweder eine symbolische Einmalaktion - oder führt die USA viel tiefer in einen militärischen Konflikt auch mit Russland hinein, den eigentlich niemand will und für den es auch keine längerfristigen Pläne gibt. Der Präsident poltert wieder - aber diesmal mit Raketen.“
Assad ist Trumps Retter in der Not
Nun wird Assad zum Rettungsring für Trump, konstatiert voller Bitterkeit Vittorio Zucconi, der Washington-Korrespondent von La Repubblica:
„Trump muss die nationale Aufmerksamkeit vom Desaster seiner ersten 70 Tage ablenken, vom Eindruck des Dilettantismus und der Improvisation, den seine Regierungsmannschaft vermittelt. Ausgerechnet Assad, mit seiner Brutalität und Russlands Rückendeckung, bietet Trump einen Rettungsring. Ein Krieg oder ein Militäreinsatz, wird gut genug für sie geworben, sind immer die letzte Rettung für Präsidenten in Not. Und das universale Grauen, das die Giftgasangriffe in Syrien hervorgerufen haben, die die amerikanischen Radare und Satelliten der Luftwaffe von Assad zuschreiben, bietet einen perfekten, unbestreitbaren Anlass. Assad eine Lektion zu erteilen, das tut einem verzweifelten Trump gut. Doch der 'Kriegseffekt' ist ein Aufputschmittel, auf das wie bei allen Drogen der Crash folgt, wenn der Effekt vorüber ist und womöglich einer der 'Unsrigen' fällt oder, schlimmer noch, in Gefangenschaft gerät.“
Zweite Chance zum Sturz des syrischen Diktators
Financial Times fordert, dass die internationale Gemeinschaft nach dem neuerlichen Giftgasangriff alles tun sollte, um den untragbaren syrischen Machthaber doch noch loszuwerden:
„Es ist wichtig, dass es Assad nicht erlaubt wird, davonzukommen, ohne einen Preis zu zahlen. ... Nicht zu handeln kann genauso folgenschwer sein wie zu handeln. Aus der Sicht Vieler im Nahen Osten und darüber hinaus markierte das Nichthandeln angesichts des Einsatzes von Chemiewaffen den bestimmenden Moment der Präsidentschaft von Barack Obama. Es stellte deren Glaubwürdigkeit grundlegend infrage. Donald Trump hat nun die Möglichkeit, sich von seinem Vorgänger zu unterscheiden und zu zeigen, dass es einen neuen Herr im Haus gibt. Die britische Premierministerin Theresa May hat eine ähnliche Möglichkeit. Die Geschichte bietet nur selten eine zweite Chance. Diese sollte nicht ungenutzt bleiben.“
Absetzung Assads ist die einzige Lösung
Auch für Al-Hayat, eine saudi-arabische Tageszeitung mit Sitz in London, ist die Absetzung von Präsident Assad die einzige Möglichkeit, der Tragödie in Syrien ein Ende zu setzen:
„Der Giftgasangriff, den das Assad-Regime verübt hat, ist den Verbrechen des IS gleichzusetzen, die von dieser Terrororganisation in Rakka, Palmyra und anderen Städten begangen wurde. … Es ist Zeit, dass der Westen und die arabischen Länder verstehen, dass der IS-Terror ein Ergebnis des Terrors des syrischen Regimes ist, der im Gegensatz zur Einschätzung westlicher Länder kein Verbündeter im Kampf gegen den Terrorismus ist, sondern ihn produziert. Die Allianz, die die ostsyrische Stadt Rakka vom IS befreien möchte, sollte sich überlegen, wer diese Stadt übernehmen soll. Soll sie wirklich von den Banden des Regimes kontrolliert werden? Verhandlungen haben bis jetzt keine Lösung gebracht. Das Regime spielt auf Zeit. Der Ausweg aus dieser Misere besteht darin, dass Russen und Amerikaner sich auf die Absetzung von Assad einigen.“
Demokratische Welt steckt in einer Sackgasse
Weiterhin als unlösbar betrachtet den Syrienkonflikt Mustafa Karaalioğlu in Karar:
„Jeder weiß, dass eine angemessene Lösung des Syrienkonflikts mittlerweile unmöglich geworden ist, weil nicht rechtzeitig eingeschritten wurde. Seien wir realistisch: Die Regierung Trump scheint weder eine Strategie noch die Kraft für eine Lösung des Problems zu haben. Darüber hinaus ist die Türkei - eines der wichtigsten Länder in dieser Gleichung - mit ihrer gesamten Aufmerksamkeit auf die PYD-Frage [Gebietseroberungen durch Kurden] fixiert. ... Die UN sind wegen ihres Vetosystems vollkommen blockiert. Putin und Assad sehen, dass die demokratische Welt in einer Sackgasse steckt, und profitieren weiterhin davon.“
Jetzt den Wiederaufbau Syriens vorbereiten
Auf die internationale Geberkonferenz für Syrien blickt Expressen und bewertet die dort gemachten Zusagen als ungenügend:
„Das Ergebnis wird viel niedriger sein als das der Konferenz im vergangenen Jahr in London. Die Vereinigten Staaten mit der neuen Trump-Verwaltung zum Beispiel haben rund 500 Millionen US-Dollar zugesagt - das sind nur etwas mehr als die Hälfte dessen, was sie im vergangenen Jahr gezahlt haben. Anstatt als Weckruf zu dienen, scheint der Gasangriff ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit unter den Geberländern zu verbreiten. … Dieses Gefühl muss bekämpft werden. Für die Hilfslieferungen in abgelegene Gebiete in Syrien müssen mehr Ressourcen bereitgestellt werden. Programme für Flüchtlinge in der Region brauchen eine stabile Finanzierung, die auch der Wirtschaft in den betroffenen Ländern helfen würde. Damit nicht eine Generation von Syrern verloren geht und schon jetzt mit dem wichtigen Wiederaufbau des Landes begonnen werden kann, müssen syrische Kinder zur Schule gehen können.“
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