Nordkorea: Welche Optionen gibt es noch?
Nach dem Atomwaffentest vom Wochenende hat Pjöngjang für den Fall neuer Sanktionen mit Gegenmaßnahmen gedroht. Uno-Generalsekretär António Guterres appellierte indes an alle Staaten, dass ein Krieg auf der koreanischen Halbinsel unbedingt verhindert werden müsse. Kommentatoren erörtern, wie die Weltgemeinschaft handeln sollte.
EU wäre guter Mediator
Die EU bleibt in der Nordkorea-Krise weit hinter ihren Möglichkeiten der Vermittlung zurück, kritisiert die Nordasienexpertin Marianne Peron-Doise in La Tribune:
„Es ist bedauernswert, dass Europa seine politisch-militärischen Kompetenzen im Bereich Krisenprävention nicht entschlossener einsetzt, um Lösungen vorzubringen. ... Europa unterhält mit den meisten der betroffenen asiatischen Akteure einen sicherheitspolitischen Dialog und weiß bestens über die Sorgen Chinas sowie Japans und Südkoreas Bescheid. Im UN-Sicherheitsrat agieren Frankreich und Großbritannien als treibende Kräfte bei der Entwicklung und Umsetzung von Resolutionen, die Pjöngjang für seine Massenvernichtungswaffen sanktionieren. Die EU selbst hat die Gelegenheit jedoch noch nicht genutzt, sich als Verhandlungspartner oder gar Mediator ins Spiel zu bringen.“
USA allein können keine Ordnung mehr schaffen
Der Historiker Rui Ramos hat in Observador ein Problem damit, wie europäische Beobachter auf die Nordkorea-Krise blicken:
„Im Grunde geht es darum, die USA für die Nordkorea-Krise verantwortlich zu machen. ... Entweder weil diese, wie Trump, Nordkorea bedrängen. Oder weil sie das Land, wie Obama, einfach ignorieren. ... Es ist immer leichter, Kim Jong-uns Atomversuche und Raketentests als eine weitere 'Probe' für die US-Präsidenten zu betrachten. Wir sehen die USA als die einzige Macht an, die in der Lage ist, die Welt zu ordnen und verständlich zu machen. Aber wir ignorieren eben auch das Durcheinander dieser Welt. Die Nordkorea-Krise kann letztlich den Beweis dafür liefern, dass die USA nicht mehr im Stande sind, allein für Ordnung in der Welt zu sorgen.“
Zu früh für Abrechnung mit Pjöngjang
Trotz der martialischen Rhetorik Donald Trumps glaubt Yeni Şafak nicht, dass die USA den Ausbruch eines Kriegs mit Nordkorea riskieren werden:
„Eine Intervention in Nordkorea wird nicht der in Syrien ähneln, wo lediglich Raketen abgeworfen werden. Die wahrscheinlichste Folge eines solchen Kriegs wäre erheblicher Schaden für Südkorea und Japan. Das ist ungefähr das letzte, was die USA wollen. Ein Krieg in dieser Region kann auch zur Folge haben, dass China, das Nordkorea bis jetzt diszipliniert hat, und Russland, das bisher offen gegen einen Krieg ist, Stellung beziehen. Das können die USA nicht riskieren. In der nahen Zukunft werden sich die regionalen Kriege auf konventionellem Niveau intensivieren. Für die große Abrechnung ist es noch zu früh.“
Trump beistehen
Der Westen muss sich jetzt zu seinem Bündnis mit Amerika bekennen, fordert Corriere della Sera:
„Die Bündnispartner müssen begreifen, dass jegliche geografische Distanz zum Kriegsschauplatz aufgehoben ist. … In solch schweren Stunden gilt es, Partei zu ergreifen, Bündnisse zu bilden, die über persönliche Sympathien hinausgehen. Es wäre ein gravierender Fehler - mit Folgen vor allem für die Europäer - würden die Bündnispartner Amerika in der Not nicht ihre Nähe bekunden, mit Ratschlägen und auch freundschaftlichen Einwänden. Angela Merkel hat das begriffen. Sie rief gestern Trump an, und nicht nur weil sie im Wahlkampf ist. Hoffentlich werden andere Regierungschefs ihrem Beispiel folgen und die Möglichkeit eines transatlantischen Gipfels erwägen, der ausschließlich dem Notfall Nordkorea gewidmet ist.“
Mit Pjöngjang reden
Auch Politiken setzt auf Diplomatie:
„Nordkoreas Atomprogramm muss eingedämmt werden und das Risiko minimiert werden, dass die Waffen in anderen Ländern oder bei Terrorgruppen landen. Das ist nicht durch Drohungen zu erreichen, sondern nur durch neue diplomatische Ideen, wobei Ausgangspunkt ist, dass Nordkorea Atomwaffen besitzt und sie derzeit nicht aufgibt. … Voraussetzung ist nicht die Einigkeit. Der ehemalige US-Präsident Nixon wies einen Weg, als er 1972 China besuchte - nach jahrzehntelangem Streit und ohne dass es diplomatische Beziehungen gab. Er verstand, dass es besser war, ideologisch unterschiedliche Partner als unterschiedliche Feinde zu sein.“
Zivilbevölkerung nicht vergessen
Unter verschärften Sanktionen würde in erster Linie das einfache Volk leiden, gibt Aamulehti zu bedenken:
„Falls man eine Öffnung Nordkoreas, Demokratie und normale Beziehungen zu den Nachbarländern als beste Lösung für die Krise sieht, ist man von einer Lösung noch Lichtjahre entfernt. Solange Nordkorea niemanden angreift, ist man in der bestmöglichen Lage: wankend, aber im Frieden. Das säbelrasselnde Nordkorea leidet in diesem Sommer unter der schwersten Dürre seit fast zwei Jahrzehnten. Dem Land drohen Unterernährung und Hunger. Sanktionen und beispielsweise ein Ende des chinesischen Ölexports würden vermutlich die gewöhnlichen Nordkoreaner stärker treffen als die Elite. Das darf man nicht vergessen, wenn die Großmächte die Schrauben anziehen.“
Computerwurm loslassen
Die Atommächte haben es in der Hand, den Nordkorea-Konflikt zu beenden, meint Delo:
„Die einzige wirksame Lösung des Problems mit diesem Diktator, der für niemanden wirklich wichtig aber für die Welt trotzdem gefährlich ist, wäre, wenn alle fünf Atommächte ihre Streitigkeiten einmal vergessen und Kim ein für alle Mal 'neutralisieren'. Der gesunde Menschenverstand sagt uns nämlich, dass ein einziger Computerwurm, ähnlich dem, der vor Jahren die iranischen Atomzentrifugen stilllegte, auch die nordkoreanischen Computer ausschalten könnte. Voraussetzung ist, dass die Großen das wollen, dass sie das vereinbaren und nicht jeder seine eigenen Pläne verfolgt – darunter auch mit Kim.“
Aufrüstung ist ein Riesengeschäft
Birgün entdeckt wirtschaftliche Motive hinter der US-amerikanischen Reaktion auf die nordkoreanischen Provokationen:
„Die nukleare Krise zwischen den USA und Nordkorea wird vor allem für die Legitimierung nuklearer Aufrüstung genutzt. Damit werden große Investitionen in Nuklearprogramme möglich, die gewisse Regime als letzte Garantie ansehen. ... Die USA, die die nukleare Krise anheizen, verkaufen in die Region, vor allem an Südkorea und Japan, Waffen in Milliardenhöhe. Vor einigen Monaten hat die Regierung in Seoul verkündet, dass das THAAD-Verteidigungssystem und vier weitere US-Raketenabschussrampen aufgestellt wurden. Trump, der sagt, dass er bereit sei, gegen Nordkorea Nuklearwaffen einzusetzen, hat Japan und Südkorea somit sehr eng an sich gebunden.“
Regionalmächte müssen sich zusammenraufen
China, Japan und Südkorea müssen sich noch viel stärker für eine Befriedung der Region einsetzen, fordert der Politologe Dominique Moïsi in Les Echos:
„Keiner dieser Akteure - von Japan vielleicht abgesehen - hat die Lösung der Nordkoreakrise zur höchsten Priorität gemacht. Selbst die Südkoreaner sind stärker auf ihre Innenpolitik fixiert als auf das Verhalten Pjöngjangs und scheinen nicht bereit, ihren historischen Streit mit Tokio ein für allemal beizulegen. Und die Chinesen fürchten sich mehr vor amerikanischen Gegenmaßnahmen auf Nordkoreas Raketen als vor der destabilisierenden Wirkung ebendieser Raketen auf die gesamte Region. Asien kann nur dann ein Kontinent des Friedens und Wachstums bleiben, wenn China, Japan und Südkorea sich abstimmen. Andernfalls droht Nordkorea für das Asien des 21. Jahrhunderts das zu werden, was Serbien für das Europa des 20. Jahrhunderts war.“
Was Europa jetzt tun sollte
Wie sich Europa in der Nordkorea-Krise wappnen muss, erklärt der Politologe und Verteidigungsexperte Jonathan Holslag in De Morgen:
„Wir müssen uns auf unsere Peripherie konzentrieren. ... Dort müssen wir unsere militärische Präsenz ausweiten und Gesellschaften in ihrem Streben nach Wohlstand und Stabilität unterstützen. So können wir Länder wie die USA und Japan entlasten. ... Weiter muss Europa mehr in die eigenen Abschreckungskräfte investieren. ... Außerdem ist es äußerst wichtig, dass wir unsere Armee stärker für den Schutz der europäischen Außengrenzen einsetzen. ... Eins ist sicher: Das Spiel ist vorbei. Wir brauchen keine politischen Schreihälse, die mit dem Schüren von Ängsten punkten wollen. Sondern nüchterne Führer, die der Bevölkerung die Welt realistisch erklären und weiter schauen als nur bis zur nächsten Wahl.“
Die Weltgemeinschaft hat versagt
Natürlich ist vor allem Nordkorea an der aktuellen Lage schuld, wettert El País, gibt jedoch zu bedenken:
„Es stimmt auch, dass die internationale Staatengemeinschaft es nicht geschafft hat, zu verhindern, dass das Regime in Pjöngjang unerbittlich bis hierhin fortschreitet. Manchmal war es Desinteresse, ein anderes Mal waren es falsche Taktiken oder auch geostrategische Konflikte auf der internationalen Bühne. Tatsache ist, dass es seit dem ersten nordkoreanischen Atomtest im Jahr 2006 niemandem gelungen ist, Nordkoreas gefährliche technologische Weiterentwicklung zu stoppen.“
USA und Europa müssen Truppen abziehen
Um den Konflikt zu entschärfen, müssen beide Seiten zu Zugeständnissen bereit sein, analysiert Trud:
„Nordkorea muss seine Atomwaffentests stoppen. Im Gegenzug müssen die USA die Militärübungen und Flüge an der Grenze zu Nordkorea einstellen, die Kim als Provokation auffasst. Die USA und Europa müssen ihre Truppen aus Südkorea abziehen oder jedenfalls die jetzige Truppenstärke von zehntausenden Militärs reduzieren. Das ist die einzige langfristige Lösung des Nordkorea-Konflikts, um die atomare Vernichtung von hunderttausenden, wenn nicht Millionen Menschenleben zu verhindern. … Zudem sollten die Bemühungen des neuen südkoreanischen Präsidenten, einen Dialog mit Kim aufzubauen, von westlichen Politikern und Medien unterstützt und nicht verteufelt werden.“
Jetzt auch Südkorea und Japan aufrüsten
Eine nukleare Bewaffnung auch Südkoreas und Japans empfiehlt Sme:
„Die USA müssen und werden auf Kims Atomambitionen reagieren. ... Außer einem Militärschlag bleibt nur, die Verteidigung der ostasiatischen Verbündeten Washingtons zu stärken - Südkoreas und Japans. Mit anderen Worten: Die USA müssen diesen Staaten taktische Atomwaffen zur Verfügung stellen. Oder sie erlauben beiden Ländern ein eigenes atomares Arsenal. Das wäre das schlimmste Szenario für Kims Hauptverbündeten China, eine Niederlage für Peking, das für seine Politik lange Jahre die nordkoreanische Karte spielte.“
Geldgeber der Atomtests identifizieren
Für Verhandlungen mit Nordkorea ist es zu spät, meint der Professor für Koreastudien an der Universität Leiden, Remco Breuker, in NRC Handelsblad:
„Vor zwanzig Jahren gab es vielleicht noch die Möglichkeit, einen Vertrag über den Verzicht auf die atomaren Ambitionen zu schließen. Das ist nun undenkbar. Nordkorea lässt sich nicht ungestraft auslachen. ... Nun muss konkret das Folgende geschehen: Die informellen nordkoreanischen Wirtschaftsnetzwerke identifizieren, die die Kernwaffentests ermöglichen. ... Das nordkoreanische System muss diesmal finanziell tatsächlich isoliert werden. Das gelingt nur durch eine seriöse Zusammenarbeit von UN, USA, Südkorea und der EU. ... Das müssen wir wirklich tun, denn alle anderen Zukunftsszenarien sind sehr, sehr düster.“
Kim nutzt das Chaos im Weißen Haus
Die Trump-Regierung weiß im Umgang mit Nordkorea nicht, was sie will, klagt The Times:
„Einmal lobt Präsident Trump sein nordkoreanisches Gegenüber Kim als kluges Köpfchen, ein anderes Mal droht er ihm mit einem Atomschlag. Eine Zeitlang konnte man diese fehlende Klarheit in Bezug auf Nordkorea als strategische Mischung aus Druck und Doppelbödigkeit auslegen. Doch nun, da seine höchsten Berater dem US-Präsidenten ständig widersprechen, wirkt alles schlicht zusammenhanglos. ... Nicht alle nordkoreanischen Staatschefs hatten das Glück, von einem derartigen Chaos im Weißen Haus zu profitieren. Kim will diesen Zustand so schnell und so lange wie möglich auszunutzen.“