Was hat Europa von einer Verteidigungsunion?
Die Außen- und Verteidigungsminister von 23 EU-Staaten haben in Brüssel mit einer Erklärung eine europäische Verteidigungsunion auf den Weg gebracht. Angestrebt werden Rüstungsprojekte, der Aufbau multinationaler Einheiten und ein gemeinsames Hauptquartier. EU-Außenbeauftragte Mogherini sprach von einem historischen Moment in der Geschichte Europas. Einige Kommentatoren pflichten ihr bei, andere sehen hinter Pesco noch viele Fragezeichen.
Europa geht mit Pesco neue Wege
Pesco ist zukunftsweisend für die europäische Integration, meint Adelina Marini in ihrem Blog euinside:
„Es ist eine sehr merkwürdige Rahmenstruktur. Sie ähnelt in gewisser Weise der verstärkten Zusammenarbeit, bei der sich mindestens neun Mitgliedsländer auf einen gemeinsamen Integrationspfad einigen können. Sie ähnelt ebenfalls einem multilateralen Regierungsabkommen, bleibt aber gänzlich im Rahmen der EU-Gesetzgebung. … Pesco ebnet den Weg zu einer völlig neuen Art der flexiblen Zusammenarbeit. Sie ist offen für Ein- und Austritte und die Mitgliedsländer sind nicht verpflichtet, an allen Pesco-Projekten teilzunehmen. Gleichzeitig können sie sich aber nicht aus allen Projekten heraushalten. Diese Flexibilität wird zusätzlich dadurch untermauert, dass Entscheidungen mithilfe der qualifizierten Mehrheit getroffen werden sollen.“
Späte Erfüllung der finnischen Hoffnungen
Erst jetzt bietet die EU Finnland das, was sich die meisten Bürger von ihr erhofften, konstatiert Karjalainen:
„Als die Finnen in der ersten Hälfte der 1990er Jahre überlegten, ob sich ein EU-Beitritt lohnt, stand bei vielen die Sicherheitspolitik ganz oben, vor Fragen des Handels und Reiseerleichterungen. Auch die Politiker dachten so, selbst wenn sie es nicht so offen äußerten wie die Bürger. Ohne die russische Grenze und die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs hätte sich Finnland vielleicht wie Norwegen entschieden und wäre nicht der EU beigetreten. Der Glaube der Finnen an die durch die EU gebotene Sicherheit war in den 1990er Jahren etwas blauäugig. Denn eigentlich wurde erst am Montag ein bedeutender Schritt in Richtung einer engeren Verteidigungszusammenarbeit getan.“
Neue Probleme am Horizont
Politiker Giorgos Koukouma weist in einem Gastkommentar in Dialogos darauf hin, dass die Verteidigungsunion neue Fragen für das Verhältnis zur Türkei aufwirft:
„[Nato-Generalsekretär] Jens Stoltenberg begrüßte die Pesco als 'gut für die Nato' und führte aus, dass 'wir sicher sein müssen, dass die Kräfte und Fähigkeiten, die sich unter der Pesco entwickeln, der Nato zur Verfügung stehen' und 'wir dabei die größtmögliche Unterstützung der Nato-Partner brauchen, die nicht Mitglieder der EU sind'. ... Es ist klar, dass der Nato-Generalsekretär damit die Türkei meint, oder wenigstens die Türkei, vor der uns die Pesco eigentlich beschützen sollte.“
Europa zeigt, was es kann
Endlich mal ein konkreter Schritt in die richtige Richtung, freut sich La Stampa:
„Nach so viel leerem Gerede über 'mehr oder weniger Europa' wurde gestern ein entscheidender Schritt unternommen, um konkret zu werden und zu sagen, was die EU ihren Mitgliedsstaaten und Bürgern bieten kann und muss: mehr Sicherheit und (ein bisschen) weniger Abhängigkeit von der Großzügigkeit anderer. Noch sind es nur gute Absichten, doch ein Europa, das sich eine militärische Struktur geben will, um besser auf sich selbst zu achten, ist eine gute Nachricht für alle. Auch für die Nato-Partner USA und Kanada, die seit einem Dreivierteljahrhundert für die europäische Sicherheit Sorge tragen.“
Versprechungen hat die EU schon oft gemacht
Der Tages-Anzeiger hingegen warnt, dass die in das Projekt gesetzten Hoffnungen schnell enttäuscht werden könnten:
„Die Gefahr besteht … , dass die EU ähnlich wie bei der grenzenlosen Reisefreiheit von Schengen und bei der Einheitswährung Erwartungen weckt, die enttäuscht werden könnten. Beim Start sind jetzt zwar fast alle Mitgliedsstaaten an Bord. Zusagen für mehr Kooperation könnten sich aber rasch als Lippenbekenntnisse erweisen. Sobald es konkret wird, dürfte man in vielen Hauptstädten wieder auf nationale Souveränität pochen. Die sogenannte Verteidigungsunion der EU wird so aber nicht viel mehr als ein Papiertiger sein.“
Geschickt vermarktet, aber dennoch bescheiden
Auch Jerzy Haszczyński, Chef des Auslandsressorts von Rzeczpospolita, hält den Militärpakt Pesco nicht für besonders erfolgversprechend:
„Gut, dass Polen Teil der neuen Initiative ist. Auch deshalb, weil es dadurch leichter sein wird, darauf zu achten, dass das Projekt in Zukunft nicht die Einheit der Nato gefährdet. Denn die Nato - beziehungsweise die USA - ist und wird noch lange Garant für unsere Sicherheit sein. ... Die Soldaten der EU-Staaten werden weiterhin unterschiedliche Uniformen tragen, sie werden nicht mit der gleichen Munition schießen. ... Ein Erfolg wird es schon sein, wenn einige kleinere Einheiten zum Kampf gegen Terroristen in die afrikanische Wüste geschickt werden. Die EU wird auch keine Atom-Supermacht, die die Stärke Russlands ausgleichen könnte. ... Pesco ist ein bescheidenes Projekt, das als riesiger Erfolg verkauft werden wird.“
Aussteigen kann man immer
Wie wenig ernst die EU-Staaten die gemeinsame Verteidigungspolitik nehmen, beweist das Beispiel Österreich, bescheidet der Kurier:
„Dabei zu sein bei dem, was jetzt unter 'Ständiger Strukturierter Zusammenarbeit' (Pesco) firmiert, verheißt ... für Österreich wenig Risiko: Profitieren von den Kompetenzen und Leistungen der anderen, gefahrloses Einbringen der eigenen Best-Practice-Erfahrungen, siehe Gebirgsjäger-Ausbildung. Vorerst. Denn langfristiges Ziel in der EU ist eine echte Verteidigungsunion. Und wenn es nach Frankreich ginge, würden schon jetzt die Weichen für den Aufbau gemeinsamer Kampfeinheiten gestellt. In Wien hält man sich deshalb an die bequeme Devise: Gut, von Anfang an dabei zu sein. Aussteigen kann man notfalls immer - der Neutralität sei's gedankt.“