Urheberrecht: Netzfreiheit in Gefahr?
Nach dem EU-Parlament hat auch der EU-Rat mit knapper Mehrheit die Reform des Urheberrechts beschlossen. Demnach müssen Internetplattformen die Verantwortung dafür übernehmen, dass keine geschützten Inhalte hochgeladen werden. Zuvor hatten in mehreren Staaten Menschen protestiert, weil sie Zensur und eine Beschneidung der Internetfreiheit fürchten. Kommentatoren sind vom Abstimmungsergebnis enttäuscht.
Erklärungen ändern auch nichts mehr
Dass die Bundesregierung, wenn auch versehen mit einer Zusatzerklärung gegen Uploadfilter, der Reform zugestimmt hat, erzürnt tagesschau.de:
„Ja, die Erklärung hat Deutschland einen kleinen Spielraum verschafft. Aber wie weit geht der? Die Grundzüge der Reform müssen in allen Staaten der EU gleich umgesetzt werden. Das ist ja der Sinn einer Richtlinie. Immerhin macht sich die Regierung ein bisschen ehrlich. Denn in der Zusatzerklärung steht: Ziel soll es sein, Uploadfilter weitgehend unnötig zu machen. Soll heißen: Ganz verhindern kann man sie nicht. ... Die Regierung hätte sich frühzeitig dafür einsetzen müssen, die Richtlinie aufzuspalten. Das, was jetzt Artikel 17 heißt, was sehr wahrscheinlich zu Uploadfiltern führen wird, der murksige Teil also, den hätte man trennen müssen vom sinnvolleren Rest.“
Unlogischer geht's nicht mehr
La Stampa ist hingegen empört, dass die italienische Regierung die Urheberrechtsreform abgelehnt hat:
„Man könnte vermuten, dass die Cinque Stelle ihre Selbstbeweihräucherung als Pioniere des Internets verteidigen wollen. ... Die Lega pflichtet ihnen vielleicht aus einer grundsätzlichen Abneigung gegenüber Qualitätsjournalismus bei. Ein Kabinett, das Zeitungen, Fernsehen und sozialen Medien eine einseitige und manchmal peinliche, nationalistische Erzählung aufzwingt, die als souveränistisch verpackt wird, und gleichzeitig eine Maßnahme ablehnt, die Inhalte verteidigt, die auf 'unserem Territorium' - wie Lega und Cinque Stelle in den Talkshows gerne hervorheben - produziert werden, ist ein Harakiri der Logik.“
Maschinen von komplexen Inhalten überfordert
Kurz nach der Abstimmung über die Urheberrechtsreform hat sie sich selbst diskreditiert, feixt Die Presse:
„Genau am selben Abend demonstrierte die Videoplattform Youtube eindrucksvoll, dass diese Uploadfilter nicht funktionieren. Als nämlich ein Livestream zum Brand in Notre-Dame auf Youtube hochgeladen wurde, verwechselte der Algorithmus die Kathedrale mit den Zwillingstürmen des World Trade Centers, die am 11. September 2001 durch einen Terroranschlag zerstört wurden. Youtube warnte seine Nutzer zu allem Übel mit eingeblendeten Infoboxen vor Fake News und bezweifelte damit den Brand des Pariser Wahrzeichens. ... Ihre Fehlbarkeit zeigt nicht nur, dass die geforderten Uploadfilter nicht die Ergebnisse bringen werden, die man sich von der Reform erhofft. Je komplexer die Inhalte sind, umso 'dümmer' scheinen die Maschinen.“
Internet wird weiter funktionieren
Von einem Ende des Internets, wie Gegner der Reform behaupten, kann keine Rede sein, ist Hospodářské noviny überzeugt:
„Die Emotionen müssen runtergefahren werden. Niemand wird das Internet ausknipsen oder zensieren. Es wird weiter funktionieren. Was jetzt legal ist, wird legal bleiben. Und für normale Nutzer wird sich nichts ändern. Der wirkliche Streit findet eine Etage höher statt. Zwischen den Herausgebern von Inhalten einerseits und den Internetgiganten auf der anderen Seite. Wenn jemand aus Besucherklicks und Reklame Einnahmen dank fremder Arbeit hat, sollte das Geld fair geteilt werden. Auch so wird der Weg zu besseren Einnahmen aus dem Internet für die Medienhäuser noch ein langer sein.“
Europa erweist sich als fähiger Manager
Damit hat die EU gezeigt, dass sie imstande ist, komplexe Themen zu regeln, freut sich Kolumnist Daniele Manca in Corriere della Sera:
„Schon bei der Datenschutzgrundverordnung, die seinerzeit ebenfalls stark umstritten war und heute weltweit ein Bezugspunkt ist, nimmt Europa seine Rolle als ein Ort wahr, an dem Regeln geboren und gewissenhaft ausgearbeitet werden. Regeln, die die Grundlage für das zivile Zusammenleben und die Entwicklung bilden. Dies ist umso notwendiger, als es darum geht, die Meinungsfreiheit und die Reproduktion der Inhalte zu gewährleisten, auf denen die Bildung einer soliden und informierten öffentlichen Meinung beruht.“
Tech-Riesen als Netzpolizei ungeeignet
Dagens Nyheter hat Zweifel daran, ob die großen Internetanbieter das Filtern urheberrechtlich geschützter Inhalte hinkriegen:
„Es ist nicht selbstverständlich, dass Plattformen, die nicht einmal ein Pornobild von einer antiken Statue unterscheiden können, jetzt die Rolle des Urheberrechtspolizisten anvertraut wird. Es ist zu befürchten, dass die großen Internetfirmen unwillig und unfähig sind, die Anforderungen für Zitate, Satire und 'Memes' zu erfüllen. Außerdem gibt es eine berechtigte Befürchtung, dass kleinere Akteure nicht die Möglichkeit haben werden, die geforderten Filter zu installieren. ... Es wäre besser, wenn die Internetriesen anstatt den einfachen Weg zu nehmen (alles Unbequeme wegzufiltern), endlich ihre publizistische Verantwortung übernehmen würden, vor der sie bisher so gerne davongelaufen sind.“
Der Jugend den Mittelfinger gezeigt
Mit diesem Schritt hat das EU-Parlament eine ganze Generation einfach ignoriert, kritisiert Der Standard:
„Welche Relevanz Plattformen wie Youtube für eine ganze Generation haben, ist für viele Abgeordnete ... nicht nachvollziehbar - und das ist kein Wunder: Das Durchschnittsalter im Europaparlament lag 2018 bei 51 Jahren. Dabei ist klar, dass das Urheberrecht erneuert werden muss. Das stellt niemand infrage. Es gibt viele kluge Vorschläge, die auch ohne Uploadfilter auskommen. Stattdessen beharrte man ohne jeglichen Kompromiss auf einem schwammigen Gesetzestext, der Europas Internet hinter eine potenzielle Zensurinfrastruktur stellt und der Jugend ihre digitale Heimat raubt. ... Die Reform, die am Dienstag vom EU-Parlament eine Zusage erteilt bekommen hat, ist vor allem eines: ein Mittelfinger an die Jugend Europas.“
Zensurinstrument für Großunternehmen
Ein abgekartetes Spiel zwischen Großunternehmen und EU-Politik wittert Večer hinter der Sache:
„Es ist klar, dass große Unternehmen, nicht nur die Technologieunternehmen wie Facebook und Google, großen Appetit darauf haben, die öffentliche Meinung zu gestalten, indem sie nur die Inhalte zeigen, die ihnen zusagen. Der Schutz des Urheberrechts ist zweifelsohne ein Mittel, mit dem die Zensur am leichtesten verhüllt wird. ... Es ist auch bekannt, dass diese Unternehmen nicht nur über astronomisch hohe Budgets für ihre Lobbyarbeit verfügen, sondern auch das Drehtürsystem anwenden. Dabei besetzen Leute dieser Unternehmen einflussreiche Positionen in den europäischen Institutionen. ... Politiker, die auf sie hören, werden wiederum mit gut bezahlten Führungsposten in ihren Unternehmen dafür belohnt.“
Gerechtigkeit für Künstler und Autoren
Die Reform ist nicht perfekt, aber dringend notwendig, mahnt Kolumnist Gianni Riotta in La Stampa:
„Die Tatsache, dass das Internet zu einer beispiellosen Verbreitung von Kultur und Wissen beigetragen hat, ist unbestreitbar. Diese fantastische Bibliothek einzugrenzen, wäre unmöglich. Zugleich fällt es vielen Künstlern und Autoren schwer, ihre Rechte bei den großen sozialen Plattformen einzufordern. Insbesondere jenen, die bei unabhängigen Labels oder Zeitungen tätig sind. Sie sind Opfer fehlender Regeln. Zweifelsfrei ist die Reform noch nicht perfekt und verbesserungswürdig. Sie hat jedoch den Vorteil, wie die Datenschutz-Grundverordnung 2018 und der Verhaltenskodex für Falschnachrichten, dass sie die digitale Rechtsprechung in den Mittelpunkt stellt.“
Es geht um Macht und Monopol
Wer gegen die Urheberrechtsreform auf die Straße geht, unterstützt unfreiwillig die Konzerne, meint Die Presse:
„Auch die Internet-Großkonzerne sind gegen Upload-Filter - nur aus einem ganz anderen Grund. Sie verdienen ihr Geld mit Content, der über ihre Plattformen bewegt wird. Die Überwachung dieser Inhalte ist kostspielig und schmälert die Gewinnspannen. Die Tatsache, dass die Kritik aus völlig unterschiedlichen Richtungen kommt, aber dasselbe Ziel hat, lässt sich auf zwei Arten interpretieren. Entweder der Gesetzesvorschlag ist unfassbar schlecht, oder ein Teil der Kritiker hat etwas nicht verstanden. Im Fall des europäischen Urheberrechts ist es Letzteres. Google, Facebook und Co. wissen genau, warum sie die Copyright-Reform verhindern wollen. Die Demonstranten hingegen glauben, es geht um lustige Katzenfilme und Video-Blogs, während es in Wahrheit um Macht und Monopol geht.“
Schutz für Kreative wird Internet bereichern
Die geplante Urheberrechtsreform ist letztlich auch im Sinne der Medienkonsumenten, argumentiert die Chefin des European Publishers Council (EPC), Angela Mills Wade, in The Times:
„Es ist nur schwer nachvollziehbar, dass heute so heftig darüber diskutiert wird, ob Herausgeber von Medien und andere Kreative das Recht erhalten sollten, zu bestimmen, unter welchen Bedingungen andere ihre Inhalte kommerziell wiederverwenden können. Für diese Urheberrechtsreform zu stimmen, bedeutet, das Internet zu bereichern. Dieses ist nur so nützlich und praktisch wie die Qualität der Inhalte, die es füllen. Wer für diese Reformvorlage stimmt, stimmt für Gerechtigkeit, Kultur und Kreativität - und vor allem auch dafür, die Zukunft von Europas professioneller, mannigfaltiger und unabhängiger Medienlandschaft zu sichern.“
Urheberrecht ist schon bald obsolet
Dass mit der Urheberrechtsreform die Debatte um geistiges Eigentum beendet ist, bezweifeln zwei Forscher vom Think Tank "L'Institut Thomas-More" in Le Monde:
„Medien, Journalisten, Künstler und weiter gefasst Kreative aller Art können sich über diesen Kompromiss freuen. Aber nicht zu sehr, und nicht zu lange, denn sie sind zwar offenbar dabei, eine Schlacht zu gewinnen, aber nicht den Krieg. Der Krieg um das Urheberrecht liegt noch vor ihnen. Einmal weil die Gafa (Google, Amazon, Facebook, Apple), die der Gesetzesvorschlag ins Visier nimmt, schnell die Entwicklung eigener Medien vorantreiben werden. ... Außerdem ist es gut möglich, dass der Begriff des 'Urheberrechts' bald obsolet ist, da die automatische Herstellung von Inhalten durch künstliche Intelligenz sich immer weiter ausbreitet.“
Für wessen Freiheit wird hier demonstriert?
Die Süddeutsche Zeitung empfiehlt den Reformgegnern, nicht auf Lobbyisten hereinzufallen:
„[D]as Wort 'Filter' [findet sich] gar nicht im Text des Reformvorschlags. 'Upload-Filter' ist genauso ein Kampfbegriff der Reformgegner wie die Floskel von der 'Freiheit des Internets'. Ausgedacht haben sich das auch keine Demonstranten, sondern Lobbyisten und Netz-NGOs, die in Europa Stimmung gegen die EU machen. Der Upload-Filter ist eine Schimäre, die digitale Konzerne als Schreckensbild einer zwangsläufigen Folge der Reform in die Welt setzen. ... Solche Verwirrspiele sind Standard der Lobbyarbeit. Waffen-, Auto- und Tabakindustrie haben sich schon immer darauf verstanden, Freiheitsbegriffe und rebellische Popkulturen für sich umzumünzen.“
Wer wirklich eine Gefahr darstellt
Der Traum vom freien Internet wird nicht durch die EU-Urheberrechtsreform gefährdet, sondern in erster Linie durch Internetkonzerne, erklärt Le Quotidien:
„Künstlern und Autoren, deren Arbeit nicht entlohnt wird, bringt die Herangehensweise [der Internetkonzerne] nichts als Prekarität. … Die Internetpioniere träumten von einem Raum vollkommener Freiheit mit kostenfreiem und gleichem Zugang für alle, um daraus ein demokratisches Instrument für alle Bürger der Erde zu machen. ... Ein lobenswertes Ansinnen, das Unterstützung verdient. Doch leider verfolgen die multinationalen US-Konzerne keineswegs die gleiche Absicht. Ihnen dient das Internet allein dazu, Profit zu machen. Zu nichts anderem.“
Von Zensur kann keine Rede sein
Der von den Gegnern der Urheberrechtsreform geschürte Protest ignoriert, worum es wirklich geht, bemerkt Denik:
„Google, Facebook und andere Plattformen übernehmen Qualitätsjournalismus, vermarkten ihn für sich und erzielen enorme Einnahmen aus dem Verkauf zielgerichteter Werbung. Große Teile dieser Werbeeinnahmen gelangen so nicht zu den Verlagen und Journalisten. Die Reform will das verhindern. Das hat nichts mit Internet-Zensur zu tun. Aufrufe an die Öffentlichkeit, das Internet zu verteidigen, verdecken nur die Geschäftsinteressen der Technologiegiganten dieser Welt.“
So vergrault man Jungwähler
Über die Ignoranz, mit der die Urheberrechtsreform gegen jegliche Kritik vorangetrieben wird, ärgert sich tagesschau.de:
„Nach dem Motto: 'Wir sind die einzigen Erwachsenen im Raum und alle Kritiker nur zornige Kinder aus dem Internet, auf die zu hören töricht wäre.' Wenn man Politikverdrossenheit züchten möchte, dann so. Kurz vor der Europawahl vergrault die Mehrheit des Europäischen Parlaments eine überwiegend junge pro-europäische Wählergruppe. Ihr bleibt der Eindruck, dass andere über Gesetze von für sie zentraler Bedeutung entscheiden: nämlich lobbygelenkte Schreibtischtäter mit Faxgeräten im Büro und einer eigenen Referentin für den Twitter-Account. Europa braucht eine Urheberrechtsreform, sogar sehr dringend - aber nicht diese.“