Sri Lanka: Kampf zwischen Muslimen und Christen?
Die IS-Terrormiliz hat die verheerende Anschlagsserie in Sri Lanka für sich reklamiert. Bei der Explosion von acht Bomben in Kirchen und Luxushotels wurden am Ostersonntag mehr als 350 Menschen getötet und rund 500 verletzt. Kommentatoren fürchten eine Eskalation der Gewalt zwischen Christen und Muslimen.
Wie Minderheiten aufgehetzt werden
Bisher gab es in Sri Lanka Konflikte zwischen Buddhisten und Hindus. Dass jetzt die muslimische Minderheit die christliche Minderheit angegriffen hat, zeigt eine neue Qualität, analysiert Kolumnistin Verda Özer in Milliyet:
„Die festgenommenen Täter waren alle Staatsbürger Sri Lankas. Es sieht folglich so aus, als würde sich diese Bewegung vollkommen auf lokale Angriffe konzentrieren, sich aber aus dem globalen Klima nähren. Das ist ein neuer Typus von Terror, der das Motto der Globalisierung 'Denk global, handle lokal' eins zu eins umsetzt. Denn ansonsten gibt es überhaupt keinen Grund dafür, dass Muslime in Sri Lanka auf Christen abzielen. Genau deshalb müssen wir jetzt endlich anfangen zu hinterfragen, was genau der IS eigentlich ist. Ist er wirklich eine konkrete Terrororganisation? Oder ein Wind, der immer mehr zu einer reinen Ideologie wird?“
Nun droht eine Spirale der Gewalt
Sri Lankas Regierung sollte sich hüten, in ihrer Antwort auf die Anschläge alle Muslime des Landes über einen Kamm zu scheren, mahnt De Tijd:
„Wenn muslimische Minderheiten die Rechnung für Anschläge im Namen ihrer Religion zahlen müssen, wird das Gruppierungen wie den IS oder Al Kaida nur nützen. ... Wenn Muslimen Unrecht getan wird, dann trifft das schließlich die ganze Umma, die weltweite Glaubensgemeinschaft. Die so erzeugte Wut und das Gefühl von Ungerechtigkeit bringen dann wiederum der verzerrten Version des 'Dschihad' viel Zustimmung, finanzielle Mittel und Anhänger ein. ... Es kommt nun darauf an, dass die Regierung von Sri Lanka einen kühlen Kopf bewahrt und dem Ruf nach Rache nicht nachgibt.“
Prototyp der Ungläubigen
Die Christenverfolgung wird unterschätzt, warnt Kolumnist Gerardo Morina in Corriere del Ticino:
„Die jüngsten Daten (vom Januar dieses Jahres) der World Watch List (die Studie, die sich mit dem Phänomen der Christenverfolgung in der Welt befasst) sind beunruhigend. 2018 wurden 4.136 Christen weltweit aus Gründen ihres Glaubens getötet, 245 Millionen Christen wurden im vergangenen Jahr in irgendeiner Form verfolgt. Es ist bekannt, dass die Dschihadisten das Christentum mit dem dominanten Geist des Westens gleichsetzen und zum Tode verurteilen. Nicht nur das. Für Fundamentalisten, die den Kreuzrittern und Juden den Krieg erklärt haben, repräsentieren die Christen in der Welt den wichtigsten Prototyp der Ungläubigen. Sie sind diejenigen, die als schuldig befunden werden, Feindseligkeit und Hass zu pflegen und deshalb verfolgt und bestraft werden müssen.“
Warum Klagen über Christenverfolgung tabu sind
Weshalb die Leiden von Christen so wenige Menschen in Europa und in den USA empören, erklärt Kolumnist und Priester Giles Fraser in The Guardian:
„Kann es sein, dass die säkularen und großteils liberalen Westler in ihrem Unterbewusstsein glauben, dass das Christentum nichts anderes verdient hat? Sie assoziieren mit dem Christentum Päpste und deren Armeen, Kreuzzüge und die Inquisition, Antisemitismus, britischen Imperialismus, Donald-Trump-Anhänger und lautstarke Abtreibungsgegner. ... Und vielleicht gibt es auch einige, die lieber nicht über Christenverfolgung reden wollen, weil sie fürchten, dass das als Rechtfertigung für Islamfeindlichkeit missbraucht werden könnte - was ja manchmal auch passiert. Lieber schweigt man zum Mord an Christen, als dass man mit Rassisten in einen Topf geworfen wird, die Muslime für alles verantwortlich machen.“
Wie der Hass verschleiert wird
Die Reaktionen auf die Anschläge machen deutlich, wie schwer sich der Westen tut, Christen als Verfolgte anzusehen, kommentiert Upsala Nya Tidning:
„In den sozialen Medien gab es Unmut, dass Barack Obama und Hillary Clinton die Terroropfer auf Sri Lanka als 'Eastern Worshipper' bezeichnet haben. In Schweden twitterte Annie Lööf von der Zentrumspartei von 'Gläubigen', die sich zum Gebet versammelt hatten. Warum verschweigen Politiker, dass es sich bei den Opfern um Christen handelt, fragen sich die Kritiker. ... Warum gerade jetzt ein so diffuser Begriff wie 'Gläubige'? Das ist natürlich nicht böse gemeint von Machthabern wie Lööf, aber vielleicht fällt es mit westlicher Sichtweise schwerer, Christen als Verfolgte zu sehen.“
Feindesliebe hilft nicht weiter
Dass Europa stets den Antisemitismus und den Hass gegen Muslime verurteilt, aber oft verhaltener ist, wenn es um Christenhass geht, kritisiert die Tageszeitung Die Welt:
„Dafür mag es nachvollziehbare Gründe geben: das schlechte Gewissen über die Rolle der Christen beim europäischen Kolonialismus etwa, die zumindest von den Älteren erfahrene und als repressiv empfundene christliche Sexualmoral, den Ärger über kirchliche Doppelmoral. Doch diese Zurückhaltung ist falsch. ... Christenhass muss benannt und bekämpft werden, nicht nur von den Kirchen. Es mag deren Aufgabe sein, auf den Horror von Sri Lanka mit Aufrufen zur Feindesliebe zu reagieren. Deutschland und Europa sollten feierlich bekennen, dass die Dunkelmänner, die Hass predigen und praktizieren, hier keine Heimat finden und überall auf dem Globus verfolgt werden.“
Religiöse Spaltungen leben fort
Das Attentat auf Christen zeigt für die Neue Zürcher Zeitung, dass die Regierung Sri Lankas nach dem Bürgerkrieg zu wenig getan hat, um die Konflikte im Land zu befrieden:
„Sri Lanka ist weit davon entfernt, die gewalttätige Vergangenheit überwunden zu haben. In den letzten Jahren hat sich die ethno-religiöse Spaltung des Landes gar verstärkt. Nicht nur die tamilische Bevölkerung fühlt sich marginalisiert, auch Angehörige anderer Minderheiten fragen sich, wo ihr Platz sein soll in einem Staat, in dem der Einfluss des buddhistisch-singhalesischen Nationalismus stetig gewachsen ist. Das gilt vor allem für die Muslime, die knapp zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie sind seit einigen Jahren Opfer spontaner Gewaltausbrüche, unter anderem weil buddhistische Fundamentalisten Ängste schüren, dass Sri Lanka dereinst eine muslimische Bevölkerungsmehrheit haben könnte.“
Mitgefühl schweißt uns zusammen
Das Attentat hat nicht nur Sri Lanka, sondern die ganze Welt im Herzen getroffen, konstatiert der Historiker und Gründer der römisch-katholischen Laienbewegung Sant'Egidio, Andrea Riccardi, in Corriere della Sera:
„Erschüttert verfolgte die ganze Welt die Bilder der Attentate. Sie fanden nicht an einem abgelegenen Ort, sondern in unmittelbarer Nähe statt. Nicht nur, weil etwa vierzig Opfer nicht sri-lankischer Herkunft sind und verschiedenen Nationalitäten angehören. Sondern auch, weil die Migranten dieses Landes über die ganze Welt verstreut sind und unter uns leben. Wir hörten sie über ihre Verwandten und Freunde sprechen, die in irgendeiner Form von den Anschlägen betroffen waren. An diesem blutigen Osterfest wurden die Entfernungen in unserer globalen Welt geringer. Trotz Grenzen und Barrieren fühlten wir uns alle einander näher.“
Islamisten formieren sich neu
Trotz der Niederlage des IS erlebt der islamistische Terror eine Wiederauferstehung, fürchtet Expressen:
„In der jüngsten Vergangenheit haben IS-Anhänger einfachere Terroranschläge mit billigen und leicht zugänglichen Mitteln verübt. LKW können zu tödlichen Waffen werden, wie der Terroranschlag in Stockholm bewiesen hat. Aber [der schwedische Staatsschutz] Säpo hat davor gewarnt, dass das Pendel zurückschlagen kann zu gut geplanten Attacken. ... Die Tatsache, dass sich immer mehr Menschen der salafistischen Lehre anschließen, sollte Anlass zur Sorge sein, weil es bedeutet, dass es eine größere Gruppe gibt, aus der die Terrorgruppen rekrutieren können. Das gilt auch für Schweden - wo sich das gewaltbereite islamistische Umfeld im letzten Jahrzehnt verzehnfacht hat. Sri Lanka macht deutlich, dass die Bedrohung durch islamistischen Terror groß bleibt - auch wenn der IS sein Kalifat verloren hat.“
Sozialarbeit allein hilft nicht weiter
Im Kampf gegen Terrorismus müssen die Behörden weltweit zusammenarbeiten, betont Iltalehti:
„Es ist leicht gesagt, dass man sich nicht von der Angst beherrschen lassen und den Terroristen nicht erlauben soll, das normale Leben zu lähmen. Nach den massiven Terroranschlägen muss man aber fragen, wie so etwas erneut möglich war. Der Terrorismus ist nicht besiegt und überall müssen die Behörden wachsam sein. Die internationale Zusammenarbeit muss funktionieren. … Der Terrorismus unserer Zeit ist brutal, die Menschlichkeit negierend. Mit Sozialprogrammen allein lässt er sich nicht bekämpfen. Der Kampf gegen den Terrorismus verlangt effiziente Werkzeuge für die Polizeiarbeit und Aufklärung. Die Terroristen benötigen Geld, Kommunikationsmittel und Pläne. Es ist möglich, all dies aufzuspüren.“