Spanien: Eine Wahl voller Ungewissheiten

Umfragen zufolge können die spanischen Sozialisten von Premier Sánchez am Sonntag auf einen Sieg bei der Parlamentswahl hoffen. Dass die ultrarechte Vox es wohl erstmals ins nationale Parlament schafft, könnten sich Konservative und Liberale zunutze machen, um ein Weiterregieren des Premiers zu verhindern. Für Journalisten ist dies ein Wahlkampf mit ungewissem Ausgang und überhaupt sehr vielen Fragezeichen.

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Upsala Nya Tidning (SE) /

Rechtsextreme mit unklarem Profil

Aus Sicht von Upsala Nya Tidning fehlt den Rechtspopulisten der spanischen Vox ein klares Profil:

„Es bleibt rätselhaft, was die rechtsextreme Vox mit 'Make Spain Great Again' (ja, auf Englisch) eigentlich sagen will. Wird da auf die Conquistadoren angespielt? Oder auf die Franco-Diktatur? ... Wie geht man mit einer Partei wie Vox um, die wesentlich unschärfere Konturen hat als ihre rechtspopulistischen Kollegen in anderen Ländern? Der Führer Santiago Abascal ist mit Marine Le Pen befreundet, hat eine stark nationalistische Rhetorik, steht aber positiv zur Zusammenarbeit mit der EU. Er hetzt gegen Zuwanderung im Allgemeinen und gegen Muslime im Besonderen. Wie auch immer das möglich ist in einem Land, das ohne den Einfluss der arabischen Kultur im Grunde nur aus Statuen mit scheuenden Pferden und Stränden voller Pauschalreisender bestehen würde.“

Financial Times (GB) /

Wahlkampf eine einzige Themenverfehlung

Zu den wichtigsten Zukunftsfragen hört man von den wahlkämpfenden Parteien nur wenig, wundert sich Financial Times:

„Im Wahlkampf wurden die drängendsten Probleme kaum thematisiert - wie etwa die beständig hohe Arbeitslosigkeit, der wirtschaftliche Abschwung, Möglichkeiten zur Reduzierung des Haushaltsdefizits oder Spaniens Einfluss in der EU. Es gab jede Menge Beschimpfungen beim Thema Katalonien, aber nur wenige praktische Vorschläge, wie man aus der verfahrenen Situation herauskommen könnte. Spaniens Demokratie ist in den vergangenen vier Jahrzehnten gereift. Traurigerweise ist das den politischen Führungspersonen nicht anzumerken, unter denen mit Pedro Sánchez nur einer ist, der vor Francos Tod geboren wurde.“

El Periódico de Catalunya (ES) /

Viel heiße Luft

Auch El Periódico de Catalunya ist vom Wahlkampf enttäuscht:

„Der schroffe Ton verhindert eine ernste Debatte, bei der es in erster Linie um die Verringerung der großen Ungleichheiten gehen sollte. Und darum, dass verhindert werden muss, dass das verlangsamte Wachstum den empfindlichen Wiederaufschwung nach der Krise ausbremst. Darum, einen Arbeitsmarkt zu stärken, der von prekären und befristeten Arbeitsplätzen und Niedriglöhnen gekennzeichnet ist. Und darum, die Kaufkraft der Renten zu sichern. Angesichts globaler Unsicherheiten und einer infrage gestellten Rolle Europas sind dies wichtige Themen, die aber im wütenden Wahlkampfgeschrei untergehen.“

Le Point (FR) /

Europa braucht starke Regierung in Madrid

Auch wenn Pedro Sánchez voraussichtlich weiter regieren wird, zeichnen sich für Spanien keinesfalls stabile Zeiten ab, glaubt Le Point:

„Seine Sozialreformen, die auf der Anhebung des Mindestlohns um 22 Prozent, der Erhöhung von Renten und Beamtengehältern, der Regulierung von Mieten sowie der Verlängerung der Elternzeit beruhen, werden die Wettbewerbsfähigkeit belasten. Der Bereitschaft zum Dialog mit den katalanischen Nationalisten steht deren Radikalisierung entgegen. ... Spanien ist in Europa zum Hauptankunftsland für Migranten geworden, was für zunehmende Spannungen sorgt. Spanien driftet also einer schwachen Regierung entgegen - und das vor dem Hintergrund der territorialen Spannungen, die die nationale Einheit bedrohen. Nicht gerade förderlich für innenpolitische Reformen und ein starkes Engagement für Europa.“

Corriere della Sera (IT) /

Rechte und Separatisten nähren sich gegenseitig

Mit Dialogbereitschaft kann man im spanischen Wahlkampf keinen Blumentopf gewinnen, klagt Kolumnist Aldo Cazzullo in Corriere della Sera:

„Die Rechte, einschließlich der extremen Rechten - die eigentliche Neuheit des Wahlkampfes - braucht die katalanischen Sezessionisten, um sich als Retter Spaniens zu präsentieren. Und den katalanischen Sezessionisten wäre insgeheim gar nicht mal so unlieb, wenn die Rechte gewinnen würde. Der scheidende Premier Pedro Sánchez, Sozialist, bietet Dialog an. Doch die Sezessionisten wollen keinen Dialog, sie wollen den Bruch.“

Público (PT) /

Sánchez' stärkste Waffe

Die rechtsextreme Partei Vox wurde aus beiden TV-Debatten am Montag und Dienstag ausgeschlossen, weil sie nicht im Parlament sitzt. Ihre Anwesenheit hätte Sánchez jedoch genützt, glaubt Público:

„Sánchez wollte die rechtsradikale Partei Vox beim zweiten TV-Duell im Privatfernsehen aus wahltaktischen Gründen eigentlich dabei haben - um die PP, Ciudadanos und Vox in den gleichen Topf zu werfen und gegeneinander auszuspielen. Denn die Angst vor der extremen Rechten ist Sánchez' stärkste Waffe, um die linken Wähler zu mobilisieren. ... Die große Unbekannte bleibt die Beziehung zwischen Sánchez und den Separatisten, deren Unterstützung für eine von den Sozialisten geführte Regierung erforderlich sein könnte.“

El País (ES) /

Spanien ist nicht allein auf dieser Welt

Dass Außenpolitik im spanischen Wahlkampf quasi keine Rolle spielt, bedauert El País:

„Während die Zukunft Europas in der Öffentlichkeit vieler europäischer Staaten diskutiert wird, ist es um dieses Thema im Wahlkampf auffallend still, bei den großen TV-Debatten wurde es nicht erwähnt. ... Wer unseren Wahlkampf von außen betrachtet, könnte meinen, Spanien sei allein auf dieser Welt. Welche Rolle soll unser Land im Mittelmeerraum spielen? Und in der Europäischen Union? Welche Rolle könnte es als Brücke zwischen Europa und Lateinamerika einnehmen? ... Es handelt sich um relevante Themen, die das Niveau der Debatte steigern würden, ohne die Bedeutung der Innenpolitik zu schmälern. Schließlich kann man heutzutage immer weniger Angelegenheiten ohne den europäischen und globalen Kontext verstehen.“

eldiario.es (ES) /

Reaktionäre Welle lässt sich schlecht messen

Ausschlaggebend wird das Ergebnis der rechtsextremen Partei Vox sein, analysiert Chefredakteur Ignacio Escolar in eldiario.es:

„Es wird sich zeigen, wie sich der Ausschluss von Vox aus den TV-Debatten auswirkt. Ob die Kampagne aus Lügen und Hass über soziale Netzwerke und Whatsapp-Gruppen effizienter ist als das Fernsehen - wie schon bei Bolsonaros Sieg in Brasilien oder beim Brexit. Sind die Umfragen in Bezug auf Vox richtig, wird die Linke regieren. Falls die vollen und mit Militärmärschen beschallten Stierkampfarenen bei Vox-Auftritten kein Vorzeichen sind für eine reaktionäre Welle, die von den Umfragen schlecht gemessen wird, bleibt Pedro Sánchez spanischer Regierungschef. Doch liegen die Umfragen falsch, werden Casado [PP] und Rivera [Ciudadanos] schnell wieder beste Freunde sein. Und Santiago Abascal [Vox] erscheint auf dem Foto des Regierungskabinetts.“

The Irish Times (IE) /

Rechtsruck macht Regierungsbildung schwierig

Spanien könnte nach der Wahl eine Phase politischer Instabilität drohen, fürchtet The Irish Times:

„Die anhaltende Katalonien-Krise, die von den früheren Regierungen der konservativen Volkspartei unter Mariano Rajoy so schlecht und opportunistisch gehandhabt wurde, provozierte das Wiedererstarken eines aggressiven spanischen Nationalismus. Diese Ideologie heftete sich der neue Chef der Volkspartei, Pablo Casado, auf die eigenen Fahnen. Noch überraschender ist vielleicht, dass sie auch von Ciudadanos unterstützt wird. Das verringert die Chance, dass eine stabile Regierung der Mitte mit den Sozialdemokraten gebildet werden kann. ... Wie auch immer die Wahl ausgehen wird, es ist sehr wahrscheinlich, dass die spanische Innenpolitik von Streit und Instabilität geprägt bleiben wird. Das sind schlechte Nachrichten für das Land und die EU.“

El País (ES) /

Vox-Wähler setzen auf Kulturkampf

Die Mentalität der Wähler von Vox beschreibt der Politologe José María Lassalle in El País:

„Wir sprechen von einem Teil der Wählerschaft, der den Konflikt heraufbeschwört, weil er die Demokratie für einen Kulturkampf hält, in dem der Eine die Hegemonie über den Anderen erlangt. Ein Teil der Gesellschaft, der nicht daran glaubt, dass es in einer vom radikalen Wandel bedrohten Welt noch Platz gibt für Prinzipien wie Dialog, Freiheit, Vernunft, beschränkte Regierungsmacht, Weltoffenheit, Pluralismus, Wegfall der Grenzen für Ausländer, Trennung von Gesetz und Glaube, Konsens oder Markt ohne Protektionismus.“