Kein EU-Spitzenjob für Osteuropa
Bei der Besetzung der EU-Topjobs sind osteuropäische Länder leer ausgegangen. Während der Verhandlungen hatten die vier Visegrád-Länder verhindert, dass Frans Timmermans Kommissionschef wird. Er unterstützte die Artikel-7-Verfahren gegen Polen und Ungarn. Während einige Kommentatoren die Dominanz des Westens kritisieren, bemängeln andere die destruktive Haltung des Ostens.
Nicht reif für Verantwortung
So wie sich Osteuropa präsentiert, hat es gar keine Vertreter in den Spitzen der EU-Institutionen verdient, stellt Mladina klar:
„Auch in Slowenien heißt es in diesen Tagen, es wäre auf symbolischer Ebene gut gewesen, den neuen Mitgliedern Respekt zu zollen. Respekt? Warum? Die osteuropäischen Staaten sind eine große Enttäuschung. ... Jahre nach der Ost-Erweiterung haben sie sich als unreif, faschistoid, nationalistisch, hartherzig und undemokratisch erwiesen. Haben sich Polen, Ungarn, die Slowakei oder Kroatien Anerkennung verdient? ... Und Slowenien ist 2018 [nach der Parlamentswahl] um Haaresbreite daran vorbeigeschrammt, Teil dieses Osteuropas zu sein - aufgrund der politischen Reife der meisten Parteien und dem deutlichen Willen der Zivilgesellschaft.“
Orbán hat nichts Konstruktives erreicht
Das Orbán-Lager sollte sich angesichts der Nominierung von der Leyens nicht zu früh freuen, warnt Népszava:
„Die Visegrád-Staaten waren äußerst zufrieden, weil sie die Wahl des Sozialdemokraten Frans Timmermans verhindern konnten. ... Orbán und die anderen Repräsentanten der Visegrád-Gruppe sind jetzt mächtig stolz auf ihre Leistung. Fragt sich nur, worauf? Trifft doch auf die Visegrád-Staaten im Allgemeinen vor allem Eines zu: Während sie im Zunichtemachen von EU-Zielen sehr geschickt sind, sind sie außerstande, eigene konstruktive Vorschläge vorzubringen. Diese destruktive Haltung hat freilich ihren Preis: Kein einziger EU-Spitzenjob wurde an Politiker aus Osteuropa vergeben. Und wenn die Regierung Orbán jetzt glaubt, dass die Gefahr, Brüssel könnte die Auszahlung von EU-Geldern womöglich an die Rechtsstaatlichkeit koppeln, gebannt sei, dann wird sie in Zukunft wohl noch böse Überraschungen erleben.“
Warum Grybauskaitė leer ausging
Bei den Verhandlungen um die EU-Spitzenposten war auch die scheidende Präsidentin Litauens, Dalia Grybauskaitė, im Gespräch. Sie schied wohl wegen ihrer kompromisslosen Haltung gegenüber Russland aus, glaubt Lietuvos rytas:
„In Europa ist sie bekannt für ihren streitbaren und egoistischen Charakter sowie für ihre widersprüchlichen und unangemessen scharfe Aussagen. Kein Zweifel, dass auch ihre Haltung gegenüber Russland eine Rolle gespielt hat. Ob es uns gefällt oder nicht: Deutschland und Frankreich, die zunehmend die europäische Politik bestimmen, haben begonnen, ihre Einstellung gegenüber Russland zu ändern. Und Grybauskaitė hat Russland einmal einen terroristischen Staat genannt.“
Orbán ist stolz
Dass osteuropäische Staaten bei der Verteilung der EU-Spitzenposten leer ausgehen, wird sie kaum stören, glaubt De Morgen:
„Die Visegrad-Länder haben mehr als genug erreicht: Sie haben den europäischen Traum des sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans torpediert. Orbán ist daher stolz, dass der Skalp des kritischen Niederländers an seinem Gürtel baumelt. Alternativen konnten sie selbst zwar keine präsentieren. ... Doch für eurokritische Regierungschefs kann das sogar ein Vorteil sein, wenn komplizierte Entscheidungen über Klima oder Migration getroffen werden müssen. Orbán wird in den nächsten Jahren nur allzu gerne auf die 'Elite in Brüssel' zeigen, die den Kontakt zum durchschnittlichen Ungarn völlig verloren habe.“
Nur Timmermans verhindern
Die Visegrád-Länder hatten nur ein Ziel, kritisiert Radio Europa Libera:
„Dass die Spitzenämter nur an Personal aus dem alten Europa vergeben wurden, zeigt einmal mehr, dass die rebellischen Osteuropäer (Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei) keine konkreten Ansprüche haben. Damit wird auch klar, dass sie durch ihre Blockade nicht ihre Länder, Regionen oder ihre politische Kultur in die Waagschale werfen wollten, um einen Posten für einen Osteuropäer zu ergattern. Sie wollten ausschließlich die Ernennung des Niederländers Frans Timmermans verhindern, der ihre autoritären Tendenzen kritisiert und auf eine Stärkung der europäischen Werte gedrängt hat. Seit sie Timmermans Rückzug erreicht haben, akzeptieren sie schweigend alles, was ihnen vorgeschlagen wird.“
Ein Schuss ins Knie
Die Visegrád-Staaten wähnen sich als Sieger des Postengeschachers, weil sie den Sozialdemokraten Frans Timmermans als Chef der EU-Kommissionchef verhindert haben. Denik sieht das allerdings völlig anders:
„Chefin der Kommission wird wohl Ursula von der Leyen, eine Parteifreundin von Angela Merkel. Von der Leyen hat erklärt, sie wünsche sich die Vereinigten Staaten von Europa. Timmermans wird wohl ihr erster Stellvertreter. Den Europäischen Rat führt der belgische Liberale Charles Michel und Präsident des Europaparlaments wird der italienische Sozialist David-Maria Sassoli. Summa summarum ein glänzender Erfolg der Ostmitteleuropäer. Die Querulanten aus Tschechien können sich freuen, wenn ihre bisherige Kommissarin Věra Jourová das Ressort für Nachbarschaftsbeziehungen oder Fischfang bekommt.“
Schwere Schlagseite West
Das Personalpaket entspricht nicht einmal den minimalen Anforderungen eines einigermaßen gerechten Ausgleichs der Interessen in der Europäischen Union, konstatiert Der Standard:
„Was als Erstes ins Auge sticht: Der Vorschlag hat eine schwere geografische Schlagseite. Mit Frankreich, Deutschland, Belgien und Italien schicken gleich vier Gründungsstaaten ihre Leute in die fünf Toppositionen der EU-Institutionen. Die mächtigsten haben Berlin (Kommissionspräsidentin) und Paris (EZB-Chefin) beansprucht. Dazu kommt Spanien mit dem Außenbeauftragten. Die Osteuropäer gehen ganz leer aus, ebenso die Nordländer. Es gibt in der Länderrepräsentanz auch ein starkes Übergewicht der großen EU-Staaten gegenüber den vielen kleinen Ländern. Wie man so die oft beschworene Spaltung des Kontinents lindern will, ist ein Rätsel.“