Ex-Premier Renzi bietet Salvini die Stirn
Italiens sozialdemokratischer Ex-Premier Renzi plädiert für die Bildung einer Übergangsregierung aus Technokraten, um rasche Neuwahlen in Italien zu verhindern, wie sie Lega-Chef Salvini fordert. Renzis Parteichef, Zingaretti, warnte jedoch vor einem solchen Experiment. Am Freitag hatte die Lega ein Misstrauensvotum gegen den parteilosen Premier Conte beantragt. Ist ihr Siegeszug noch aufzuhalten?
Neuwahl aufschieben, Lega ausbremsen
Die Sozialdemokraten sollten sich mit den Cinque Stelle verbünden, empfiehlt der Italien-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Oliver Meiler:
„Ziel eines solchen - durchaus legitimen - Paktes wäre es, Neuwahlen aufzuschieben, um den Triumphzug von Matteo Salvini und seiner Lega zu bremsen. ... Das Gegenargument geht so: Verwehrt man der Lega die Urnen, wird Salvini nur noch größer. Manche wagen abenteuerliche Prognosen: von 36 auf 60 Prozent. Tatsächlich? Man fragt sich, warum es Salvini so damit eilte, im Sommerurlaub mit den Cinque Stelle zu brechen ... . Könnte es mit 'Moscopoli' zu tun haben, der Affäre der Lega um einen möglichen Millionendeal mit Moskau? Bis heute schweigt Salvini dazu. ... Den Italienern ist zu wünschen, dass sie mehr Zeit erhalten, den unheimlichen Aufsteiger genauer anzuschauen. Würde bald gewählt, würde er die Früchte seiner Hetze ernten.“
Wenn zwei sich streiten, spaltet sich der Dritte
Die sozialdemokratische Partei Partito Democratico zerlegt sich mal wieder selbst, schimpft Federico Geremicca, Vize-Chefredakteur von La Stampa:
„Es gibt ein altes Sprichwort das besagt: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Dem Partito Democratico gelingt es jedoch, selbst solch alte Gesetze außer Kraft zu setzen. ... Denn wenn der PD der Dritte ist, kann man sicher sein, er kriegt die Schläge ab. Vielleicht hätte es gereicht, 48 Stunden zu warten und sich darauf zu beschränken, dem Streit der beiden anderen seelenruhig zuzusehen. Stattdessen haben politisch unverständliche Initiativen die Partei in eine Situation gebracht, in der jeder nur für sich selbst spricht und die beherrscht wird von persönlichen Interessen.“
Salvini versteht die Menschen
Viele Menschen haben es satt, sich von einer liberalen Elite sagen zu lassen, was sie denken und wie sie leben sollen, kommentiert Magyar Nemzet die Lage in Italien:
„Viktor Orbán und Donald Trump waren diejenigen, die die Stimme und den Hilferuf der Mehrheit zuerst gehört haben. Und Matteo Salvini ist ihnen auf diesem Weg gefolgt. Es ist eindeutig zu sehen, dass jede Äußerung Salvinis und jede seiner Veranstaltungen von ebenso begeisterten Massen verfolgt wird wie die von Orbán und Trump. Auch er traut sich, mutig Dinge auszusprechen und Tabus umzustoßen. Außerdem wehrt er sich erfolgreich gegen die ihm gegenüber unendlich feindseligen, voreingenommenen und verlogenen Medien. Diese Art der Dämonisierung, die bei allen dreien abgestimmt von Seiten der internationalen Medien erfolgt, ist beispiellos und erinnert an die dunkelsten sowjetischen Zeiten.“
EU-Spardiktat ermöglichte Aufstieg der Lega
Brüssel ist selbst schuld daran, dass EU-kritische Kräfte in Ländern wie Italien so stark werden konnten, analysiert Wirtschaftsjournalist Wolfgang Münchau in Financial Times:
„Wenn Italien das riesige Sparpaket unter Ex-Premier Mario Monti in den Jahren 2011 bis 2013 verhindert hätte, wäre die Situation jetzt möglicherweise eine andere. Die rechtsextreme Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung hätten die Parlamentswahl 2018 vielleicht nicht gewonnen und danach keine Koalitionsregierung gebildet. Und Lega-Chef Matteo Salvini stünde nicht so knapp vor der totalen Machtübernahme. Für die EU könnte es das Ende bedeuten, wenn rationale, nicht-ideologische Argumente gegen die EU-Integration aufkommen. Doch die EU ist schuld daran, dass es überhaupt so weit kommen konnte.“
Bisher sind alle Rechnungen aufgegangen
Salvini hat auf den Moment gewartet, in dem die Lega gemeinsam mit der rechtsradikalen Partei Fratelli d'Italia eine Mehrheit erreichen könnte, glaubt die linke Tageszeitung Népszava:
„Er suchte nur noch nach einer Gelegenheit, um mit Luigi Di Maio Schluss machen zu können. Die Abstimmung am vergangenen Donnerstag über den Hochgeschwindigkeitszug hielt er dafür am geeignetsten. Die Lega-Politiker stimmten dann auch mit ihm gemeinsam gegen die Abgeordneten der Cinque Stelle. Bislang ist jede politische Rechnung Salvinis aufgegangen, der sehr gute Beziehungen zum ungarischen Premier pflegt. Die Politik im Stile Orbáns fordert auch in Italien ihre Opfer. Das hat viele Gründe. Einer ist, dass die EU es nicht geschafft hat, sich über die Verteilung der Flüchtlinge zu einigen.“
Salvinis Plan könnte scheitern
Dass Salvini bald alleine regieren kann, bezweifelt Vecernji list:
„Die Tatsache, dass er bei vorzeitigen Wahlen genügend Stimmen bekommen könnte um alleine zu regieren, brachte Salvini dazu, eine Krise der eigenen Regierung herbeizuführen. Salvini war auch bislang derjenige, der der Regierung seinen Rhythmus aufzwang. Seine Ideen wurden umgesetzt, und die des Koalitionspartners unter dem zweiten Vize-Regierungschef, Luigi di Maio, wurden kollektiv vergessen. ... Allerdings hat es sich für keinen Anführer in Italien oder woanders in Europa in den vergangenen Jahren gelohnt, die eigene Regierung zu stürzen, um mehr Stimmen zu erhalten. Die Italiener haben sich mit Mussolini die Finger verbrannt und wollen den Fehler nicht wiederholen. Salvini hat möglicherweise ein Eigentor geschossen.“
Jeder ist sich selbst der Nächste
Im Grunde denkt doch nur jeder an seinen eigenen Vorteil, meint Corriere della Sera:
„Salvini will Wahlen, um 'den Konsens zu nutzen'. Die Fünf-Sterne-Bewegung will diese nicht, aus den entgegengesetzten Gründen. Laut Umfragen haben sie die Hälfte der Stimmen eingebüßt, weshalb sie sogar offen für eine Regierung sind, die von den Erzfeinden des PD unterstützt würde. Der erste des PD, der das Signal dazu gab, ist der Erzfeind von allen, Renzi, der (wird gemunkelt) die Kontrolle über die Fraktionen im Parlament nicht verlieren will. ... Jeder Akteur scheint gelenkt von besonderen Interessen, jedoch nicht denen der Partei, sondern den eigenen, persönlichen.“
Durchmarsch nicht garantiert
Dass der Lega-Chef bald italienischer Premier wird, ist noch längst nicht ausgemacht, bremst La Croix die derzeitigen Spekulationen:
„Ganz gleich, was die aktuellen Umfragen sagen - es ist nicht sicher, dass Salvini eines Tages seinen Traum verwirklicht, in Rom zu regieren. In den vergangenen Jahren sind in Europa mehrere rechtsextreme Parteien mit ihrer Eroberungsstrategie gescheitert, denn die Wähler misstrauen einfachen Lösungsansätzen. ... Zudem dienen die italienischen Institutionen als Sicherheitsvorkehrung. ... Die Europäer dürfen angesichts dieser Schwierigkeiten, die einen historischen Partner und die drittgrößte Wirtschaft der Eurozone treffen, nicht untätig bleiben. Sie müssen die italienischen Institutionen unterstützen und zeigen, dass die globalen Herausforderungen besser bewältigt werden können, wenn man zusammenhält.“
Jetzt geht es um den Schwarzen Peter
Gegenseitige Beschuldigungen sind sinnlos, schimpft La Repubblica:
„Eine Regierung, die am Ende ist, unterwirft das Land einer letzten Demütigung: Nun geht es darum, wer die Verantwortung für die Regierungskrise übernehmen soll, sprich: wer auf dem Schwarzen Peter sitzen bleibt. Als ob dies Sinn machen würde. Als ob nur eine der beiden Koalitionsparteien für die Katastrophe der letzten 14 Monate verantwortlich gemacht werden könnte. Doch auch wenn sie sich weiterhin gegenseitig die Schuld zuschieben, ändert das nichts an dem Ergebnis. Das Defizit der gelb-grünen Koalition ist ihr Populismus. Sobald Populisten gezwungen werden, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, scheitern sie.“
Bruch der Regierung war absehbar
Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, dass die Koalition aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung zerbricht, meint das rechtskonservative Internetportal 888:
„Die Lega, die bei der Europawahl im Mai zur größten italienischen Partei wurde, übernahm praktisch die Regierung von der Fünf-Sterne-Bewegung, die nur noch auf die Hälfte ihrer Stimmen, also 17 Prozent kam. Laut italienischen Presseberichten war die Fünf-Sterne-Bewegung dadurch gezwungen, den Verschärfungen der Migrationsbeschränkungen zuzustimmen. Außerdem kann sie den Bau einer Eisenbahnlinie nicht verhindern, der ganze Berge abräumen wird - obwohl sie einmal als Umweltbewegung begonnen hatte. Es war klar: Wenn sie sich auflehnt, scheitert die Regierung. Dann gibt es vorgezogene Neuwahlen, die die Lega gewinnt und in der Folge kann Salvini Premier werden.“