Seehofer warnt vor neuer "Flüchtlingskrise"
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat am Wochenende vor einer noch größeren Migrationsbewegung Richtung Europa als 2015 gewarnt. Bei Besuchen in Ankara und Athen zusammen mit EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos sagte er Unterstützung im Umgang mit Flüchtlingen und beim Grenzschutz zu. Kommentatoren betonen die Dringlichkeit neuer Lösungsversuche in der Flüchtlingspolitik.
Türkei nicht im Stich lassen
Es ist richtig, dass Seehofer Ankara nun weitere Hilfen in Aussicht stellt, kommentiert das Handelsblatt:
„Die Türkei ächzt unter den Lasten von mehr als vier Millionen Flüchtlingen, die Regierung gerät innenpolitisch immer stärker unter Druck. Der Flüchtlingspakt mit Ankara gerät ins Wanken - und damit das zentrale Element der europäischen Bemühungen um Migrationssteuerung. ... Als sich 2015 der große Flüchtlingsstrom in der Region abzeichnete, reagierten die Europäer zu spät. Dieses Mal sind sie gewarnt. Europa kann es sich schon aus Eigennutz nicht leisten, die Türkei im Stich zu lassen.“
Griechenlands Beamte müssen anpacken
Dass es bei der Lösung der Migrationsprobleme nicht nur auf die Hilfe der EU ankommt, betont Kathimerini:
„Die irreguläre Migration ist ein Problem, das Griechenland betrifft, aber es ist kein griechisches Problem. Die Verwaltung des Problems hängt in erster Linie von der Fähigkeit der Europäischen Union ab, mit der Türkei einen Modus vivendi zu finden. Aber es gibt auch einen innenpolitischen Aspekt, und der ist gänzlich unabhängig von den Früchten dieser diplomatischen Bemühungen. Der griechische Staat muss die Menschen, die bereits im Land sind und Asyl suchen, verwalten. Dies ist viel einfacher, wenn alle - und insbesondere die örtlichen Beamten - einen Geist der Zusammenarbeit, der Einsatzbereitschaft und der Gelassenheit zeigen.“
EU trägt mehr Verantwortung als Erdoğan
Die EU und nicht die Türkei trägt die Verantwortung für die aktuelle Lage, betont Phileleftheros:
„Es ist leicht, der Türkei Herzlosigkeit vorzuwerfen. Erdoğan nutzt die schwierige Lage von Millionen von Menschen für seine Pläne aus. Er kümmert sich nicht um ihre Bedürfnisse, sondern verwendet sie als Verhandlungsmasse. … Die Hauptverantwortung für die Ausnutzung von Flüchtlingen und Einwanderern liegt jedoch nicht bei der Türkei, sondern bei der Europäischen Union, die sich weder menschlich noch global mit dem Thema befasst hat, um allen ihren Mitgliedsstaaten zu helfen. Wir sehen, dass einige Länder die Last tragen, während andere einfach nur zuschauen.“
Europa ist erpressbar
Die EU verfolgt gegenüber Ankara keine klare Linie, beobachtet Magyar Nemzet:
„Der halboffizielle Standpunkt Deutschlands und Europas bezüglich der Türkei ist, dass sich das Land unter der Führung Erdoğans zunehmend von Europa und von den demokratischen Grundwerten entfernt hat, deswegen sollen die EU-Beitrittsverhandlungen endgültig aufgegeben werden. ... Auf der internationalen Ebene wird aber von den Politikern immer wieder betont, dass die Türkei ein wichtiger Alliierter ist. Im Hintergrund dieses doppelten Narrativs steht der Migrationsdruck auf Europa, den der europäische Block ohne den großzügigen Beitrag Ankaras kaum bewältigen kann. ... Im Großen und Ganzen hat dieses für Erdoğan vorteilhafte Abhängigkeitsverhältnis Seehofers gestrigen Besuch in der Türkei geprägt.“