Säen, ernten, essen: Lehren aus der Pandemie
Infolge der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hat die Zahl hungerleidender Menschen dramatisch zugenommen. Gleichzeitig bleiben Landwirte wegen gestörter Produktionsabläufe und Lieferketten sowie teils sinkender Nachfrage vielerorts auf ihren Produkten sitzen. Die Verflechtungen und Abhängigkeiten in der Nahrungsmittelversorgung sind deutlich hervorgetreten. Ein Grund für nachdenkliche Plädoyers.
Kurze Vertriebswege kommen allen zugute
Im Zuge der Corona-Krise wenden sich Konsumenten in Frankreich verstärkt dem Direktverkauf von Lebensmitteln zu. Die französische Regierung will kurze Lieferketten fördern. Sie sollten sogar Pflicht werden, fordert Clémence Fernet vom Verkaufsnetzwerk für lokale Produkte La Ruche qui dit Oui ! in Le Drenche:
„Je mehr Zwischenhändler einbezogen sind, desto weniger gerecht ist die Entlohnung für den Erzeuger und desto größer ist der Preisdruck. Kurze Lieferketten zur Pflicht zu machen würde es erlauben, diejenigen angemessener zu bezahlen, die in vorderster Reihe für unsere Ernährung sorgen. … Kurze Lieferketten nutzen allen: Der Erzeuger erhält faire wirtschaftliche Chancen. Der Verbraucher isst besser und weiß, wie das, was er kauft, hergestellt wird. Und die Landwirtschaft insgesamt wird widerstandsfähiger, solidarischer und umweltschonender.“
Landwirtschaft von morgen endlich wagen
Macron hat in seiner Rede zur Corona-Krise am 13. April betont, dass Frankreich agrarwirtschaftlich seine Unabhängigkeit zurückerlangen müsse. Was dazu notwendig wäre, erklären Elodie Vieille Blanchard und Frédéric Mesguich in Les Echos:
„Die dreifache Krise in den Bereichen Gesundheit, Wirtschaft und Umwelt treibt uns an, unser Agrarmodell tiefgreifend zu überdenken. ... Die Ernährung von morgen muss sowohl Lösungen für die Bauern einbeziehen, mit denen Jobs geschaffen werden, als auch Innovationen: Aufwertung der Gemüseanbaugebiete, Agroforstwirtschaft, konservierende Bodenbearbeitung, kurze Versorgungsketten und innovative Alternativen zu konventionellen Produkten. … Eine visionäre Nahrungsmittelpolitik erfordert nicht nur die Verteidigung der wirtschaftlichen Interessen von gestern, sondern vor allem auch, dass man denen von morgen ihren Platz einräumt.“
Ernährungssicherheit auch für den Süden
Einen langfristigen und ganzheitlichen Ansatz bei der Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung fordert der NGO-Verbund Coalition contre la Faim (Koalition gegen den Hunger) in La Libre Belgique:
„Kurzfristig geht es vornehmlich darum, den Handel und die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln zu erschwinglichen Preisen zu sichern. Langfristig gesehen müssen Belgiens Investitionen in die landwirtschaftliche Entwicklung der Länder des Südens der Nachhaltigkeit und der Ernährungssicherheit einen zentralen Platz einräumen. Sie müssen an vorderster Stelle auf einen agrarökologischen Wandel und die Entwicklung lokaler Wertschöpfungsketten abzielen. Diese politischen Entscheidungen müssen die Ernährungssysteme in ihrer Gesamtheit betreffen, um auch anderen derzeitigen gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen, wie dem Klimawandel, sozialer Ungerechtigkeit und Armut.“
Viele Teufelskreise nehmen mit Hunger ihren Anfang
Die Pandemie hat die Arbeitsabläufe in der durchgetakteten US-Schweinemast seit Mitte April empfindlich gestört. Aus Platzmangel werden viele Tiere notgeschlachtet. Dies stößt hvg angesichts der politischen Dimension von Hunger bitter auf:
„Wenn man einen Blick auf die bizarren Notschlachtungen in den USA wirft, scheint die Verbreitung des Hungers, die in der Geschichte schon viele Aufstände und andere Katastrophen verursacht hat, noch trauriger. ... Im Nahen Osten sprechen viele von der vor zehn Jahren begonnenen Aufstandswelle und dem darauffolgenden Chaos auch als einer 'Revolution des Hungers'. Diese hat [mittelbar] zu Bürgerkriegen in Syrien, Libyen und im Jemen sowie zur Flüchtlingswelle 2015 geführt, die dann eine ausgezeichnete Propagandamöglichkeit bot für die populistisch-nationalistischen Kräfte in mehreren europäischen Ländern und den USA.“