Corona: Behält Europa die Kontrolle?
Die Zahl der Corona-Infektionen steigt an vielen Orten in Europa aktuell wieder stark an. In Frankreich und Belgien haben die Regierungen deshalb eine strenge Maskenpflicht beschlossen. In Österreich wurde sie wieder eingeführt, nachdem sie bereits abgeschafft worden war. Auch viele Kommentatoren halten den Mund-Nasen-Schutz für das richtige Mittel, um eine zweite Krankheitswelle und einen neuen Lockdown zu verhindern.
Es geht nur mit Strenge
Belgien hat bereits eine umfassende Mund-Nasen-Schutz-Pflicht verhängt. De Standaard hält dies für alternativlos:
„Wenn wir erneut einen Lockdown bekommen, mit strengen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, droht noch immer das Blutbad, das bei der ersten Welle mit noch nie dagewesenen und noch unbezahlten Hilfsmaßnahmen verhindert wurde. ... Dann werden viele Unternehmen, die mit dem Mut der Verzweiflung erneut gestartet sind, doch untergehen. ... International gibt es Beispiele von Ländern, die sich für ein laxes Vorgehen entschieden haben wie Schweden, die USA, Großbritannien oder Brasilien und die inzwischen überdeutlich bestraft wurden. ... Milde Mittel verlängern nur das Übel. Der Ernst der Lage kann nicht überschätzt werden.“
Masken-Pflicht ist unvermeidlich
Angesichts schnell zunehmender Infektionen in den Niederlanden wird heftig über die Einführung einer Maskenpflicht debattiert. De Telegraaf findet das klug und versteht Behörden nicht, die fürchten, dass man deren Einhaltung nicht kontrollieren kann:
„Eine Pflicht, außerhalb des eigenen Hauses einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, ist besser durchzusetzen als der 1,5-Meter-Abstand, der von vielen nicht mehr eingehalten wird. ... [Rotterdams Bürgermeister Ahmed] Aboutaleb sagt zu Recht: 'Das lässt sich doch viel besser kontrollieren. Entweder man trägt sie oder nicht.' Der Bürgermeister weist auch zu Recht auf andere Länder hin, wo eine Maskenpflicht bereits gilt, und er wird unterstützt von Bürgermeisterin Femke Halsema in Amsterdam, wo viele Geschäftsinhaber Masken fordern. Strengere Maßnahmen sind unvermeidlich angesichts des weiteren Aufflammen des Virus. “
Masken sind so wichtig wie Ampeln
Chefredakteur Răzvan Chiruţă von Newsweek Romania fragt sich, warum es vielen so schwer fällt, sich an die Corona-Auflagen zu halten:
„Wenn ich mich an die Verkehrsregeln halte, sind die Chancen groß, dass ich unversehrt ans Ziel komme. Doch wenn ich sage, die Straßenverkehrsordnung sei eine Erfindung, die Ampel eine Einschränkung meiner Freiheiten und die durchgezogene Linie eine Tortur, weshalb ich sie ignoriere, dann sind die Chancen groß, auf die Todesliste zu gelangen. So ist es auch mit dem Coronavirus: Die Maske ist die Ampel, der Mindestabstand ist die durchgezogene Linie. Und wenn ich Dir Vorrang einräume, trage ich Sorge, dass Du und ich heil nach Hause kommen.“
Kein Plan und zu wenig Personal
Beunruhigt über die steigende Zahl der Neuansteckungen insbesondere in den spanischen Regionen Aragon und Katalonien zeigt sich ABC:
„Die Angst vor einer zweiten Ansteckungswelle, vielleicht noch vor dem Herbst, wächst zusammen mit den von den Regionen gemeldeten, täglich steigenden Infektionszahlen. Der Regierung fehlt nach Ende des Alarmzustands ein rechtlicher Rahmen, in dem sie handeln kann, und auch die Instrumente der Kontaktnachverfolgung haben sich als völlig unzureichend erwiesen, um die Pandemie in Schach zu halten. ... Durchschnittlich kommt in Spanien auf 12.000 Einwohner nur ein Covid-19-Tracer - das ist der Hauptgrund für das Infektionsgeschehen und den Kontrollverlust in mindestens zwei Regionen.“
Ohne Bürgersinn ist bald Schluss mit Lockerungen
In Belgien nimmt die Zahl der Corona-Infektionen wieder zu, zugleich gibt es Kritik an den Behörden, die zu wenig dafür tun würden, Infektionsketten nachzuverfolgen. Doch mit dem Finger auf die Politik zu zeigen ist allzu bequem, warnt De Standaard:
„Manchmal geht es darum, dass Informationen fehlen, aber immer häufiger um Nonchalance. Wir können zwar auf die Behörden schimpfen, aber wir müssen selbst auch ausreichend Bürgersinn beweisen. Immer mehr Orte weltweit müssen erneut in den Lockdown, weil das Virus wieder aufflammt, mit wirtschaftlichen und menschlichen Schäden als Folge. Wenn wir nicht alle gemeinsam Verantwortung übernehmen, dann ist bald Schluss mit jeder Lockerung. Dann können wir uns zumindest trösten mit dem Gedanken, dass wir es uns selbst zuzuschreiben haben.“
Solidarität ist verpufft
Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann beobachtet in der Neuen Zürcher Zeitung einen raschen Mentalitätswandel in der Bevölkerung:
„Aus der vielbeschworenen Solidarität der ersten Stunden, aus der gegenseitigen Rücksichtnahme im Dienste der Gesundheit aller ist eine neue Kaltschnäuzigkeit geworden, die das Recht auf uneingeschränkten Spass gegen die Beachtung noch der simpelsten hygienischen Standards auszuspielen weiss. ... Krisen machen uns, im Gegensatz zu einer verbreiteten Ideologie, nicht innovativ, sondern konservativ. Trotzig fordern wir die sofortige Rückkehr zum Status quo ante! Das Ansinnen, auf etwas, und sei es nur für eine begrenzte Zeit, zu verzichten, kollidiert mit einem seit langem propagierten Anspruchsdenken.“
Regierung verspielt Vertrauen
Nachdem das Verfassungsgericht in Rumänien einen Erlass der Regierung zu häuslicher und Krankenhaus-Quarantäne gekippt hatte, dauert es 14 Tage, bis das Parlament eine neue gesetzliche Regelung fand. Dies trägt nicht dazu bei, dass die Rumänen sich weiterhin verantwortungsvoll verhalten, meint spotmedia.ro:
„Warum glauben die Leute nicht mehr an den Ernst der Lage? … Ja, auch Verschwörungstheorien tragen dazu bei. Doch zuallererst müssen sich die Regierenden die Frage stellen: Warum glauben uns die Leute nicht? Wo verfehlen wir? … Der einzige Weg, das Vertrauen zurückzugewinnen, ist eine sehr korrekte Kommunikation sowie ein Kampf gegen Exzesse und radikale Diskurse.“
Ein zweites Mal werden wir nicht überrollt
Die bisherigen Erfahrungen werden helfen, mit einer neuen Ausbreitung des Virus umzugehen, meint Der Standard:
„Es ist eine Frage, die derzeit alle beschäftigt: Kommt eine zweite Coronavirus-Welle und wenn ja, wann? ... Womöglich ist es aber auch höchste Zeit, sich vom Begriff Welle zu verabschieden. Eine solche überrollt uns, ein Anstieg der Infektionen wie jetzt tut das nicht. Wir sind besser vorbereitet als beim ersten Mal, wissen, welche Hygienemaßnahmen sinnvoll sind, haben aus Fehlern gelernt, der medizinische Betrieb ist besser gewappnet, und uns ist klar, was oberste Priorität hat: die Risikogruppen zu schützen. Immerhin zählt nicht nur, wie viele Erkrankte es gibt, sondern auch, wer sich ansteckt.“
Neue Normalität von längerer Dauer
Die Pandemie ist weltweit nach wie vor in vollem Gange, schreibt Polityka:
„Das Coronavirus ist praktisch nirgendwo auf der Welt schwächer geworden. Die australische und die südkoreanische Regierung mussten erneut zu lokalen Ausgangssperren zurückkehren. Der Iran und die Philippinen kämpfen momentan mit den höchsten Infektionsraten seit Beginn der Pandemie. Die globale Situation deutet darauf hin, dass neben Masken und Desinfektionsmitteln wahrscheinlich auch die Quarantäne zu unserer 'neuen Normalität' gehört - und das noch viele Jahre lang.“
Ausbeutung befördert neue Ausbrüche
Im katalanischen Segrià sind mehrere Erntehelfer auf Obstplantagen an Covid-19 erkrankt, sodass Teile der Provinz Lleida unter Quarantäne gestellt werden mussten. El Periódico de Catalunya sieht eine Verbindung zu anderen Covid-Ausbrüchen in Europa:
„Die Ausgangssperre in Lleida hat die soziale Not der Tagelöhner ans Licht gebracht, die schon lange vor dem Coronavirus bestand und von NGOs und Gewerkschaften bereits wiederholt kritisiert wurde. Nun plötzlich kommt den ungesunden Bedingungen, unter den viele Menschen überleben müssen, große Aufmerksamkeit zu, denn sie stehen mit einigen lokalen Wiederausbrüchen des Virus in Verbindung. Nicht nur in Segrià, Aragón und Murcia, sondern auch in anderen europäischen Ländern sind Schlachthöfe, Betriebe der Lebensmittelindustrie oder Plantagen am Wiederaufkeimen der Krankheit beteiligt.“
Lieber wieder abschotten
Die Slowakei muss aufpassen, dass die zuletzt wieder wachsenden Infektionszahlen im Balkanraum nicht auch zu ihr überschwappen, warnt Aktuality.sk:
„Wir haben unsere Möglichkeiten ausgeschöpft, um die erste Welle zu unterdrücken. Wäre eine zweite Welle noch größer, droht der Zusammenbruch unseres Gesundheitssystems. Eine offene Grenze ist nur für etwa zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung wichtig. Der Staat muss den Einkommensverlust von Pendlern und Arbeitnehmern im Ausland kompensieren. Er sollte ihnen einen Job in der Slowakei anbieten. Besuchen können uns nur Touristen aus 'gesunden' Ländern. Wenn wir angemessene Maßnahmen gegen den Zustrom der Krankheit aus dem Ausland einführen, wird es in der Slowakei praktisch keine Covid-19-Infektion geben.“