Neues Schuljahr und noch immer kein Schritt weiter?
In vielen Ländern Europas hat am 1. September das neue Schuljahr begonnen - von dem viele gehofft hatten, es würde nach eineinhalb Jahren mit Schließungen, Homeschooling, Test- und Maskenpflicht wieder normal ablaufen. Aber die Delta-Variante treibt die Infektionszahlen hoch, gerade unter den weitgehend ungeimpften Kindern. Die Kommentarspalten spiegeln Unmut und Ratlosigkeit - und die Sorge wegen noch größerer Probleme.
Kindern wird nochmal mehr zugemutet
In Bulgarien gilt im neuen Schuljahr eine allgemeine Maskenpflicht, abhängig von der Infektionslage kann der Präsenzunterricht jederzeit unterbrochen werden. Wieder müssen die Kinder die Fehler der Erwachsenen ausbaden, kritisiert Sega:
„Wegen der gescheiterten Impfkampagne für die Lehrer (der Anteil der Geimpften unter ihnen beträgt 20 bis 30 Prozent) und unzureichenden Pandemie-Maßnahmen werden in den Klassenräumen im neuen Schuljahr noch härtere Maßnahmen gelten als im vorangegangenen. Vorausgesetzt, dass die Schulglocken überhaupt läuten, was auch noch nicht ganz sicher ist. Was müssen die Kinder wegen dieser Pandemie noch alles ertragen?“
Überfüllt und sich selbst überlassen
Die türkischen Schulen öffnen am Montag wieder - nachdem es seit Beginn der Pandemie kaum mehr Präsenzunterricht gab. Staatliche und private Schulen trennen dabei Welten, klagt Bildungsgewerkschaftlerin Feray Aytekin Aydoğan in Birgün:
„Unsere Realität sind überfüllte Schulen, Klassen mit 40, 50, 60 Kindern. Anderthalb Jahre lang wurden keine zusätzlichen Klassenräume organisiert, nicht ausreichend Lehrer eingestellt. Und unter diesen Voraussetzungen wird uns geraten, Abstand zu halten. ... An den Privatschulen hingegen begann am 23. August der Nachholunterricht. Die Ungleichheit zwischen öffentlichen und privaten Schulen hat sich während der Epidemie weiter verschärft. Millionen Schüler haben gravierende Lernrückstände. Doch was wir in Lehrergremien erleben, ist, dass das Bildungsministerium keinerlei Vorbereitungen getroffen hat, um diese zu kompensieren.“
Schon wieder drohen Lernrückstände
Wie unausgereift das Quarantäne-Konzept fürs neue Schuljahr in Österreich ist, ärgert den Kurier:
„Jedes ungeimpfte Kind ... kann ... jederzeit, wenn Infektionen auftreten, in Quarantäne geschickt werden. ... Dann sitzen gesunde Kinder zehn bis vierzehn Tage isoliert zu Hause, bangen, ob sie krank werden, dürfen niemanden sehen – außer ihre hoffentlich geimpften Eltern. ... Hinzu kommt, dass die Schulorganisation nicht vorsieht, Quarantäne-Kinder über Distance Learning am Unterricht teilhaben zu lassen. Warum eigentlich nicht? Die nötigen Tools müssten doch in der Pandemie entwickelt worden sein. Wieso sind die Klassenzimmer wieder offline?“
Segregation ist das viel größere Problem
Der Umgang mit der Pandemie ist für die Schule längst nicht das größte Problem, betont Le Monde:
„Sag mir, in welchem Viertel du wohnst, wie viel deine Eltern verdienen und wo sie geboren sind - und ich sage dir, ob du gut in der Schule sein wirst. Während 12,4 Millionen Schüler vom Kindergarten bis zur 12. Klasse in die Schule zurückkehren, sollten die berechtigten Sorgen über die Pandemie und ihre Risiken im schulischen Umfeld nicht das tiefergreifende und anhaltende Problem des nationalen Bildungswesens überschatten: die dort herrschende Segregation zwischen reichen und armen Schülern.“
Fragwürdige Maskenregeln
In Lettland enden heute eineinhalb Jahre Homeschooling. Alle Schüler, die nicht geimpft oder genesen sind, müssen wöchentlich einen Covid-Test machen und Gesichtsmasken tragen. Neatkarīgā ist nicht einverstanden:
„Früher war die Information über die Gesundheit sensibel und geheim. Heute sind von diesem Prinzip nur Buchstaben auf dem Papier geblieben. 'Zertifizierte' Schüler können ohne Masken im Klassenraum sitzen, während der Rest oder die Mehrheit die Masken tragen muss. So ist der Status jedes einzelnen deutlich sichtbar. Um die Schüler nicht zu spalten, kann die Schulleitung beschließen, dass alle die Masken tragen müssen. Dann aber stellt sich für die Geimpften die berechtigte Frage, warum sie sich auf diese Weise belasten müssen.“
Und immer noch keine Luftfilter
In einem offenen Brief in Die Presse wirft die Journalistin Gudula Walterskirchen dem österreichischen Bildungsminister vor:
„Man kann die Raumluft wesentlich effizienter verbessern und von Viren befreien, als nur das Fenster zu öffnen ... In Deutschland wird der Einbau von Luftfilteranlagen längst umgesetzt. ... Sie, Herr Minister, haben auf Anfrage eines Journalisten gemeint, das sei für die Schulen zu teuer. ... Daher sind manche Direktoren inzwischen selbst aktiv geworden und haben Luftreinigungsgeräte aufgestellt. Sie sind es ja schon gewohnt, dass die Unterstützung aus Ihrem Haus ausbleibt. Von dieser Seite erhalten Sie wohl eine schlechte Note. Denn für die Anschaffung von Luftreinigungsgeräten für alle Klassenräume hätte Ihr Ministerium eineinhalb Jahre Zeit gehabt.“
Jetzt die Kinder und Jugendlichen durchseuchen
Eine neue Infektionswelle in den britischen Schulen ist unvermeidlich, findet The Spectator und rät der Regierung, das zu tolerieren:
„Da die meisten Erwachsenen geimpft und Krankenhausaufenthalte sowie Todesfälle auf niedrigem Niveau sind, gibt es kaum noch eine Rechtfertigung, die Einschränkungen aus Zeiten vor dem Impfprogramm aufrechtzuerhalten. ... Außerdem deutet eine Studie aus Israel aus der vergangenen Woche darauf hin, dass eine natürlich erworbene Immunität durch eine Infektion länger anhält, als die durch eine Impfung. Das liefert ein Argument dafür, lieber das Virus jetzt in den Schulen grassieren zu lassen, als im Winter, wenn die Immunität der Eltern und Großeltern langsam zu schwinden beginnt.“
Lockerungen bedeuten Sisyphusarbeit
Wie die von der irischen Regierung angekündigten umfassenden Lockerungen der noch bestehenden Covid-Restriktionen auch an Schulen umgesetzt werden können, fragt sich The Irish Times:
„Wenn Schulen, angesichts der Tatsache, dass Kinder unter 12 Jahren nicht geimpft sind, eine Schwachstelle sind und wenn ihre Offenhaltung Priorität hat - welche zusätzlichen Ressourcen, sei es nun durch Tests oder zusätzliches Monitoring, sollen dann bereitgestellt werden, um die Kinder zu schützen? Soziale Einschränkungen sind ein unverblümtes, direktes und einfaches politisches Instrument. Es wird ein herausforderndes und viel komplexeres Unterfangen sein, Covid-19 in Schach zu halten und gleichzeitig die Wiederaufnahme des normalen Lebens zu ermöglichen.“
Das günstigste Schulsystem der Welt
Im litauischen Bildungssystem ist eine große Chance vertan worden, bedauert der Kommunikationswissenschaftler Mantas Martišius in Delfi:
„Das Bildungsministerium hätte Führungsstärke zeigen und erreichen können, dass die besten Lehrer des Landes in einer Fernschule unterrichten. Ein einziger Lehrer könnte digital über Computer hunderte Schüler unterrichten. Man muss nicht an der kleinen 20-köpfigen Klasse festhalten. Die kleineren Klassen sind auch überhaupt keine Garantie für besseres Lernen. Fernunterricht hat uns neue Möglichkeiten gebracht, aber es sieht leider so aus, dass wir ihn während der anderthalb Jahre Lockdown nicht effektiv und produktiv genutzt haben.“