Hohe Energiekosten: Heizen oder essen?
Seit Monaten steigen in Europa die Strom- und Gaspreise, inzwischen liegen sie rund ein Drittel höher als vor einem Jahr und sollen weiter steigen. Inflationsbedingt werden auch Lebensmittel immer teurer. Das macht Europas Verbrauchern zu schaffen, einige müssen auf Mahlzeiten verzichten, um Geld zum Heizen zu haben. Europas Presse warnt vor sozialen Folgen und sucht Energie-Alternativen.
Warme Schulen sollten oberste Priorität sein
In Rumänien geht ein Teil der Schulen in den Online-Unterricht über, weil sie nicht ausreichend beheizt werden können. Der Bildungsexperte Stefan Vlaston ist in Adevărul empört:
„Zusätzlich zu den Sorgen der Rumänen, die in ihren Häusern frieren, weil sie kein Geld haben, um ihre Rechnungen zu bezahlen, geschieht noch etwas viel Schlimmeres. Staatliche Einrichtungen, Schulen und Krankenhäuser sind lahmgelegt und schließen, weil wegen Geldmangel die Rechnungen nicht bezahlt werden können. ... Der Staat hat Geld für unangemessene Renten [ehemaliger Staatsbeamter] und Gehälter, er hat Geld für Institutionen, die das jetzt sehr teure Gas zum Fenster rausblasen, doch für Wärme in Schulen und Krankenhäusern hat er keines.“
Und Johnson schaut gelangweilt weg
Die desaströsen Auswirkungen der steigenden Energie- und Lebensmittelpreise lassen Boris Johnson kalt, empört sich The Guardian:
„Die Krise, mit der sich Briten derzeit konfrontiert sehen, besteht nicht nur darin, dass sich Millionen das Nötigste nicht leisten können, sondern auch darin, dass die Regierung anscheinend nicht die geringste Absicht hat, ihnen zu helfen. ... Die Menschen hierzulande verzichten schon seit einiger Zeit auf Mahlzeiten und tragen Mäntel in ihren Wohnzimmern, aber niemand achtet darauf. Der Unterschied jetzt ist, dass sich das nicht mehr nur auf die Arbeiterklasse beschränken wird. Auch Familien aus der Mittelschicht, die zuvor zurechtkamen, könnten bald in finanzielle Not geraten.“
Rückkehr zur Atomkraft ist nicht mehr utopisch
Angesichts der hohen Energiekosten findet Diena den Bau eines Kernkraftwerks gar nicht so abwegig:
„Natürlich ändern sich die Energiebedingungen im Laufe der Zeit, die Technologie entwickelt sich weiter und die Ängste der baltischen Länder vor der Kernenergie nehmen ab, da eine Generation herangewachsen ist, für die die Katastrophe von Tschernobyl 1986 schon Schnee von gestern ist. Daher ist die Idee, in den kommenden Jahren in einem der baltischen Staaten ein KKW zu bauen, vielleicht keine Utopie mehr, sondern Realität. Die Erfahrung im Zusammenhang mit dem KKW Visaginas [nach ablehnendem Referendum nicht fertig gestellt] zeigt aber auch, dass man nicht naiv hoffen sollte, dass solche grandiosen Projekte schnell und ohne Schwierigkeiten umgesetzt werden.“
Große Gefahr für griechische Wirtschaft
Die griechische Regierung hat keine Zeit zu verlieren, schreibt To Vima:
„Der einzige ermutigende Faktor ist, dass die EU antiinflationäre Mechanismen entwickelt hat. Ihre Institutionen sind so aufgebaut, dass sie die Stabilität der Währung unterstützen können. Sie wird mit Sicherheit Maßnahmen ergreifen, wenn sie der Meinung ist, dass die Preisstabilität und damit der Euro mittelfristig beeinträchtigt werden. ... Dennoch ist die Gefahr groß, vor allem für die anfällige griechische Wirtschaft, die während einer jahrzehntelangen Wirtschaftskrise auf eine Atempause gewartet hat. ... Die Regierung muss alles in ihrer Macht Stehende tun, um eine zerstörerische Inflationskette zu verhindern. Sie muss Druck auf die Stromerzeuger ausüben, damit diese die Strompreise bei sinkenden Erdgaspreisen anpassen.“
Langfristige Perspektive hilft jetzt niemandem
Die estnische Regierung handelt wie ein Feuerwehrmann, der neben einem brennenden Haus über Feuerprävention redet, findet ERR Online:
„Wenn die Lage gewöhnlich ist, ist es sehr gut, dass die Minister sich mit Entscheidungen nicht beeilen. ... Die letzten zwei Jahre - Covid-Pandemie und hohe Strompreise - sind aber keine gewöhnliche Situation, und deshalb muss die Regierung zur Krisenbewältigung schnell, flexibel und kreativ handeln. Klar müssen Politiker daran denken, wie man in Zukunft einem Preisschock vorbeugen kann. Die erste Priorität müsste aber eine Kompensation der Strompreise im Dezember für Bürger und Unternehmen sein.“
Fernwärme darf nicht außer Konkurrenz laufen
Dänemark diskutiert den Vorschlag des Chefs einer Energiegesellschaft, den Anschluss an Fernwärme überall dort vorzuschreiben, wo sie verfügbar ist. Damit soll das Elektrizitätsnetz beim Umbau auf grüne Energie geschont werden. Jydske Vestkysten lehnt das ab:
„Es ist nicht zumutbar, wenn die Anschaffung einer klimafreundlichen Wärmepumpe verboten wird, weil man in einem Gebiet mit Fernwärme wohnt. Der Verbraucher riskiert, dass ihm ein teureres und weniger klimafreundliches Fernwärmeprodukt angeboten wird - ist der Markt stattdessen frei, wird das die einzelnen Fernwärmeunternehmen dazu animieren, ihre Wärme so günstig und klimafreundlich zu liefern, dass sie mit den Wärmepumpen konkurrieren kann.“
Es droht akute Energiearmut
In den nächsten zwei Monaten werden die Menschen in der Türkei zu einem großen Teil verarmen, prophezeit Yetkin Report:
„Ein stockfinsterer Winter steht vor unserer Tür. Mit einem minimalen Verbrauch werden die Rentner, deren monatliche Grundrente [wegen der Inflation] kürzlich auf 2.500 Lira angehoben wurde, 35 Prozent ihres gesamten Einkommens für Elektrizität und Gas hergeben müssen. Infolgedessen werden diese Menschen 'energiearm', damit werden ihre Grundrechte verletzt. Es ist offensichtlich, dass, während Energie für jeden zugänglich und erschwinglich sein sollte, die meisten unserer Bürger dieses Rechts beraubt werden. ... Es sieht so aus, dass Armut in vielen Aspekten unser Schicksal wird und dass ein großer Teil der Gesellschaft davon betroffen sein wird.“
Gesellschaft bekommt die Preisspirale zu spüren
Die steigenden Kosten für Strom und Gas könnten in Rumänien eine Kettenreaktion auslösen, warnt Adevărul:
„Viele Familien werden in die Situation kommen, nicht genug zu verdienen, um ihre Energierechnungen zu bezahlen. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft könnten dramatisch sein, wenn Zahlungsrückstände sich anhäufen und ein täglich größeres soziales Problem entstehen lassen. Die Inflation erfasst dann die gesamte Wertschöpfungskette und die Kaufkraft wird signifikant beeinträchtigt. Das führt zu einer reduzierten Nachfrage. ... Vor diesem düsteren Hintergrund glänzt der Energieminister mit seiner unbeschwerten Einstellung und der Zusicherung, dass Rumäniens Energiesektor einen Produktionsüberschuss hätte, der schnell zu einer Preisminderung führt. Die Wirklichkeit sieht jedoch ganz anders aus.“
So fällt der Abschied vom alten Heizofen schwer
Die steigenden Gaspreise machen dem Kampf gegen das Smog-Problem in Polen einen Strich durch die Rechnung, erklärt Rzeczpospolita:
„Es herrscht große Verunsicherung unter den Polen, die veraltete, umweltschädliche Heizöfen durch gasbetriebene Geräte der neuen Generation ersetzen wollen. Diejenigen, die ihre alten Kohleöfen bereits ausgetauscht haben, fühlen sich womöglich etwas übers Ohr gehauen, da ihre Rechnungen nun in die Höhe schnellen. Und diejenigen, die einen Austausch vorhaben, könnten durch die explodierenden Preise für den blauen Brennstoff davon abgeschreckt werden.“
Riga appelliert an Eigenverantwortung
Neatkarīgā erwartet von der Regierung keine große Unterstützung:
„Wie der Staatspräsident Egils Levits vor kurzem in einem Fernsehinterview sagte: 'Die Regierung und die Mehrheit im Parlament sind für die politische Situation im Land verantwortlich. Aber jeder muss auch wissen und verstehen, dass der Staat nicht alles regeln und alle Probleme lösen kann. Es ist ein altes sowjetisches Denken, dass der Staat sich um alles kümmern wird.' ... Wir können absolut sicher sein, dass er keinen Moment daran dachte, dass dieser Satz eine negative Reaktion hervorrufen könnte.“