Titan: Was lehrt uns der tödliche Tauchgang?
Tagelang suchte ein internationales Rettungskommando nach dem verschollenen Tauchboot Titan, das mit fünf Passagieren an Bord auf dem Weg zum Wrack der Titanic verschwunden war. Am Donnerstag fand ein Tauchroboter schließlich Titan-Trümmer. Ein Sprecher der US-Küstenwache sprach den Angehörigen sein Beileid aus. Die Kommentare reflektieren sowohl den Tod der Passagiere als auch das riesige Interesse an der Tragödie.
Atemluft lässt sich nicht kaufen
Die schrecklichen letzten Minuten stellt sich republica.ro vor:
„Diese Geschichte ist nicht nur ein Alptraum, sondern auch eine Lektion darüber, wie viel Geld wirklich zählt. Ja, man kann sich damit eine Reise auf den Grund des Atlantiks kaufen und wenn alles gut läuft, hat man eine coole Erfahrung gemacht. Doch wenn die Dinge schlecht laufen, dann ist es völlig irrelevant, ob man Milliardär ist oder nicht. ... Diese Leute haben offenbar den größten Alptraum erlebt, den ein Mensch haben kann. Und sie haben auf die härteste Art und Weise verstehen müssen, dass viele Dinge käuflich sind, aber es auch wesentliche Ausnahmen gibt. Zum Beispiel ein Atemzug, wenn man in einer Kapsel auf dem Grund des Atlantiks gefangen ist.“
Bedenkliche Doppelmoral
La Stampa reflektiert:
„Wenn der Abgrund die fünf Passagiere der Titan für immer verschluckt hat, kann man nichts anderes als Mitleid empfinden. ... Doch da ist diese gesellschaftliche 'Doppelmoral', die die U-Boot-Tragödie aus der eisigen Dunkelheit des Atlantiks an die Spitze der Trending Topics auf Twitter zerrt. Grob zusammengefasst: Fünf reiche Leute in einem U-Boot sind eine Geschichte. Hunderte von armen Migranten im Mittelmeer sind nur Statistik. Es ist eine Frage der Pietät, aber auch eine Frage der Mainstream-Kommunikation, die Geschichten der Öffentlichkeit zum Fraß vorwirft, so wie das Meer Körper verschlingt, um sie nie wieder zurückzugeben.“
Einen kollektiven Untergang verhindern
Die 1912 gesunkene Titanic, die ungezählten Toten aus gekenterten Flüchtlingsbooten und das Tauchboot Titan werden für den Autor Jacques Attali in Les Echos zur Metapher des gesellschaftlichen Scheiterns:
„Es gibt noch eine vierte 'Titanic', die so riesig ist, dass wir sie nicht sehen: unsere Menschheit. Wir alle werden wie der berühmte Passagierdampfer mitgerissen in die Zukunft, ohne wirklich ein Ziel zu wählen. Wir sind fasziniert von unseren Mitteln, geblendet von unserer Macht, uns der Gefahren nicht bewusst und vergessen die Not der Menschen, die im Laderaum sind. ... Das Schicksal der drei anderen 'Titanics' zeigt uns, dass weder die Reichsten noch die Ärmsten das Abenteuer überleben. Noch sind wir nicht untergegangen. ... Möge uns dieses Ereignis als Lehre dienen.“
Die Gesellschaft braucht mutige Neinsager
Die katholische Wochenzeitung Gość Niedzielny sieht kritische Zeitzeichen:
„US-Medien zufolge wurde David Lochridge 2018 als Verantwortlicher für die Sicherheit der Passagiere der Firma entlassen, als er sich weigerte, grünes Licht für bemannte Tests des U-Boots Titan zu geben. ... Es ist geradezu exemplarisch für alle möglichen Lebensbereiche: niemandem die Stimmung verderben, niemanden empören, nicht mit heiklen Diagnosen und Rezepten aufwarten. So kann man leben - in der Kirche, in der Firma, in der Familie, in der Gemeinde, im Freundeskreis. Die Geschichte der Titanic und der Titan zeigt jedoch, dass es sich nicht lohnt, um des lieben Friedens willen zu schweigen.“
Ohne Pioniere tritt die Menschheit auf der Stelle
The Daily Telegraph verteidigt die Tauch-Expedition und deren Teilnehmer:
„Der Meeresboden ist heute das, was früher die Antarktis war. Er ist die Grenze zu unerforschtem Neuland. Und diejenigen, die diese Grenze erforschen, weisen dieselben Merkmale auf wie die heldenhaften Entdecker von einst, unabhängig von ihrer Nationalität. Sie sind Innovatoren und bereit, Risiken einzugehen. Manchmal sind sie sogar Visionäre. ... Ohne solch mutige Seelen wie diese Tiefsee-Abenteurer hätten wir im Laufe der Jahrhunderte überhaupt nichts erreicht – sei es als Briten oder als menschliche Spezies.“
Auf eigene Gefahr!
Die Menschen an Bord der Titan wussten, worauf sie sich einlassen, betont Il Manifesto:
„Fahrten zum Wrack der Titanic sind nicht eben günstig: Die Eintrittskarte für das Tauchboot kostet 250.000 Dollar und das Boot ist gerade mal sieben Meter lang. Die Passagiere müssen ein Dokument unterschreiben, in dem es heißt, es handele sich um ein Versuchsschiff, das 'von keiner staatlichen Stelle genehmigt oder zertifiziert wurde und zu körperlichen Verletzungen, Behinderungen, emotionalen Traumata oder zum Tod führen kann'. Bis gestern zeigte dies keine abschreckende Wirkung, so stark ist die Anziehungskraft der Titanic.“
Bizarre Ego-Trips
Für De-Volkskrant-Kolumnist Peter de Waard ist diese Art Extrem-Tourismus der Superreichen schlicht asozial:
„Die Tiefsee-, Weltraum-, Himalaya- und Pol-Touristen verbindet, dass ihre Aktivitäten nur für sie selbst gedacht sind, ohne einen Nutzen für die Gemeinschaft. Aber wenn sie in Probleme geraten, müssen sie auf Kosten derselben Gemeinschaft gerettet werden. ... Milliardäre können sich diese bizarren Auswüchse erlauben, weil es weltweit unmöglich geworden ist, ihr Vermögen zu besteuern. Das Geld sollte man lieber nutzen für den Kampf gegen die Hungersnot in Darfur, die Bekämpfung der Malaria, die Aufnahme von Flüchtlingen in Tunesien und der Türkei oder das Saubermachen der Ozeane. So wird die Welt nur schmutziger und asozialer.“
Beschämender Kontrast bei Vermisstensuche
Der nun in der Hoffnung auf eine Rettung der Passagiere betriebene Aufwand wirft für The Guardian moralische Fragen auf:
„Die US-Küstenwache, die kanadischen Streitkräfte, Handelsschiffe – sie alle sind auf der Suche nach dem Tauchboot Titan. ... Auch das britische Verteidigungsministerium beobachtet die Lage. Man kann sich kaum einen stärkeren Kontrast zum Untergang des Fischerbootes vorstellen, das letzte Woche mit schätzungsweise 750 Menschen an Bord im Mittelmeer sank, darunter Kinder. Nur 100 Menschen überlebten. ... Aktivisten sagen, dass die Behörden Stunden vor dem Untergang mehrfach alarmiert worden seien, aber nicht reagiert hätten.“