Gaza und die Frage nach Frieden in Nahost
Israel geht in seinem Kampf gegen die Hamas weiter gegen mutmaßliche Stellungen der radikal-islamischen Miliz in Gaza vor. Nach Angaben der israelischen Armee wurden bei der Erstürmung des Al-Shifa-Hospitals Waffen, Militärtechnologie und eine Kommandozentrale der Hamas gefunden. International häufen sich Mahnungen an Israel, den Schutz von Zivilisten bei seinem Vorgehen zu priorisieren. Noch weitere Bedenken äußern Kommentatoren.
Das kann sich das Land nicht lange leisten
Orientwissenschaftler Andrej Ontikow schreibt in Iswestija, Israel wäre mit einem längeren Krieg wirtschaftlich und sozial überfordert:
„Bekanntlich ist etwa jeder 30. Einwohner, wenn auch nur vorübergehend, zum Dienst in den Streitkräften einberufen worden. Dies hat natürlich Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Wirtschaftstätigkeit. Außerdem braucht jeder Krieg Geld. Und zwar eine ganze Menge. Bloomberg schätzt, dass Israel täglich 260 Millionen Dollar [rund 240 Millionen Euro] für seine Operation im Gazastreifen ausgibt. Hinzu kommen entgangene Einnahmen, erhöhte Sozialausgaben zur Unterstützung der Verwundeten und der vom Konflikt Betroffenen, Subventionen und vieles mehr. ... In dieser Situation gilt eine einfache Logik: Wer schneller fertig wird, gibt weniger aus.“
Besorgniserregendes Unverständnis
Mit dem Gedanken an bewusste Vertreibungen zu spielen ist gefährlich, warnt Jutarnji list:
„Danny Danon und Ram Ben-Barak, zwei Knesset-Abgeordnete, veröffentlichten im Wall Street Journal einen Text mit der Überschrift 'Der Westen sollte die Flüchtlinge aus Gaza aufnehmen'. Sie rechtfertigen sich, indem sie sagen, man meine nur diejenigen, die gehen wollen - doch betreten sie sehr gefährliches Terrain, dessen katastrophalen Folgen wir in Kroatien, Bosnien Herzegowina und dem Kosovo gesehen haben, die 'humane Umsiedlung'. ... Der Standpunkt im Text ist nicht nur besorgniserregend wegen der Vereinfachung und dem Unverständnis für die Situation in Ex-Jugoslawien, sondern auch, weil er ultimativ Israel mit allen Aggressoren gleichstellt, die einheimische Bevölkerungen vertrieben haben.“
Auf die Hamas folgen neue Radikale
Gazeta Wyborcza glaubt nicht daran, dass sich der Gazastreifen militärisch befrieden lässt:
„Netanjahu hat angekündigt, dass er in irgendeiner Form zur Kontrolle der Lage in Gaza zurückkehren will. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass er damit die Wiederbesetzung meint, denn er weiß, dass dies nicht realistisch ist. Im Gazastreifen leben mehr als zwei Millionen Palästinenser, die Israel aufrichtig hassen, weil sie durch israelische Bomben sterben, auch wenn klar ist, dass es die Hamas war, die ihnen die derzeitige Hölle bereitet hat. Wahrscheinlich ist, dass die Hamas, sobald sie vernichtet ist, in kürzester Zeit durch eine neue, ebenso anti-israelische Gruppe von Radikalen ersetzt wird, die wie die Hamas-Anhänger davon träumen, Israelis anzugreifen.“
Für Washington wiegt das enge Bündnis schwerer
Eine deutlichere Positionierung der USA gegenüber Israel im Gaza-Krieg wäre durchaus möglich, meint Ilta-Sanomat:
„Israels Militäraktion in Gaza hat Präsident Joe Biden in eine schwierige Lage gebracht. Biden und Außenminister Antony Blinken haben Israel aufgefordert, die Zivilbevölkerung zu schützen. Ihre öffentlichen Erklärungen sind jedoch zurückhaltend und abwägend. Es gab aus Washington keine Forderung nach einem Waffenstillstand oder deutliche Kritik an der Zahl der zivilen Opfern. … Wenn er wollte, könnte Biden energisch in Israels Militäraktion eingreifen und Netanjahu sogar mit einer Kürzung der US-Hilfe drohen. Aber das ist unwahrscheinlich. Für das Weiße Haus wiegt das alte und enge Bündnis mit Israel schwerer als der 'Kollateralschaden' der militärischen Aktionen in Gaza.“
Sucht Trost beieinander
Zwischenmenschliche Nähe statt verbitterten Rückzugs wünscht sich De-Volkskrant-Kolumnistin Ibithal Jadib von den Menschen, die von Europa aus nach Nahost blicken:
„Moscheen und Synagogen bitten um Polizeischutz, Menschen fühlen sich nicht länger sicher - hier bei uns, tausende Kilometer vom Konflikt entfernt. ... Wenn Menschen um Trost bitten, gebt ihnen den ohne Umwege. ... Jeder kann jetzt eine Ermutigung gebrauchen. Wegen des Mangels an Tatkraft müssen wir uns damit begnügen, Trost beieinander zu suchen. Das fühlt sich deutlich weniger befriedigend an, als wirklich etwas zu tun, aber die Alternative ist, dass sich jeder in seinem eigenen Schmerz zurückzieht, während Hass und Hochmut weiter wild um uns tanzen. “
Abbas diskreditiert und doch unverzichtbar
La Repubblica erklärt Mahmud Abbas' Überlegungen und Rolle:
„Mit seiner Bereitschaft, den Gazastreifen nach dem Krieg zu regieren, zeigt der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, dass er erwartet, dass Israel sein Ziel erreicht und die Hamas in diesem winzigen Landstreifen vollständig zerschlägt. Derselbe Streifen, aus dem die Streitkräfte der Autonomiebehörde 2007 von der Hamas vertrieben wurden. ... Vor zwanzig Jahren, als Jassir Arafat starb, schien Abbas der richtige Mann zu sein, um Frieden zu schaffen: pragmatischer, entschlossener und zuverlässiger als sein Vorgänger. Heute ist er sehr alt, durch Korruptionsvorwürfe und Komplizenschaft mit Israel diskreditiert und in seinem eigenen Volk nicht mehr konsensfähig. Aber für Washington ist er der Grundstein für einen Neuanfang.“
Israels Regierung arbeitet gegen Zweistaatenlösung
Babel.ua weist darauf hin, dass Netanjahu nicht im Sinne seiner wichtigsten Partner handelt:
„Das Weiße Haus und manche EU-Länder sehen den Schlüssel zur Stabilität in diesem Teil des Nahen Ostens in der Einrichtung eines vollständig unabhängigen Palästina im Westjordanland und im Gazastreifen. Voraussetzung dafür ist die Auflösung der israelischen Siedlungen in den Gebieten um Ramallah, Bethlehem, Hebron sowie um andere Städte unter Verwaltung der Palästinensischen Autonomiebehörde. ... Netanjahu meidet dies aber und verbietet seinen Mitbürgern stattdessen nicht, neue Siedlungen im palästinensischen Gebiet zu errichten oder die bereits bestehenden auszubauen. Damit schiebt er die Regelung des Konflikts hinaus. ... Für die USA ist Netanjahu zu einem Problem geworden.“
Rückhalt für Hamas in der Region ist begrenzt
Frieden kann es erst geben, wenn die Hamas beseitigt ist, meint The Daily Telegraph:
„Wie Japan und Deutschland im Zweiten Weltkrieg muss sie besiegt werden. Es ist eine gewaltige Aufgabe, die Bevölkerung dann vom Hass freizumachen. Aber Deutschland und Japan zeigen, dass dies nach einer vernichtenden Niederlage möglich ist. Wichtig ist, dass sich auch Saudi-Arabien weiter für eine Normalisierung der Beziehungen zum jüdischen Staat stark macht. Selbst die Stellvertreter des Irans, besonders die Hisbollah, haben die Hamas ihrem Schicksal überlassen – wohl aus Angst vor den Folgen eines Mehrfrontenkrieges gegen Israel. Die meisten Regierungen in der Region sind bereit, die Hamas fallen zu sehen.“
Rabin, Peres und Arafat zum Vorbild nehmen
Für Diplomatie statt Waffen macht sich Aftonbladet stark:
„Yitzhak Rabin, Shimon Peres und Jassir Arafat erhielten den Friedensnobelpreis für ihren Mut, die Logik ewiger Gewalt und ewigen Leidens in Frage zu stellen. Wo sind solche Führungskräfte heute? Und wo ist die westliche Welt, die auf eine friedliche Lösung drängt? Wer sieht all die Menschen, die Kinder, die Zivilisten, die Opfer? Wo sind diejenigen, die es wagen zu glauben, dass Frieden möglich sei? ... Diplomatie – nicht Raketen, Luftangriffe und Drohnen – ist das Einzige, was Israel und Palästina Sicherheit bringen kann. Es klingt naiv, das zu sagen, wenn die Logik des Krieges und seine Propagandisten die Szene übernommen haben. Aber es ist die Wahrheit.“
China ein potenzieller Friedensstifter
Anders als in der Ukraine kann China zur Lösung dieses Konflikts beitragen, erklärt Le Temps:
„Erstens will China einen Flächenbrand im Nahen Osten verhindern, wo es seine Erdölversorgung sichert und seine Kundenbasis ausbaut. Zweitens ist Peking in der Lage, Druck auf den Iran auszuüben, um Khamenei und damit Hamas und Hisbollah zurückzuhalten. ... Drittens wäre die Beteiligung an der Beruhigung der Situation im Gazastreifen ein großer Sieg für China, das sich zunehmend als Anführer des 'globalen Südens' positioniert, wie der letzte Brics-Gipfel und das jüngste Seidenstraßen-Forum in Peking gezeigt haben.“
Gegenseitiger Respekt fast unmöglich
Die Voraussetzungen für Frieden sind derzeit meilenweit entfernt, schreibt Visão:
„Eine realistische Vision des Friedens wird nur möglich sein, wenn Israelis und Palästinenser Jahrzehnte des Todes, des Schmerzes und des Grolls hinter sich lassen und erkennen, dass sie sich gegenseitig respektieren müssen. Sowohl Israelis als auch Palästinenser sind Opfer ihrer jeweiligen politischen Führung, die andere Interessen über die Sicherheit ihrer Völker stellen. Es ist an ihnen, einen Wandel zu fordern. Doch wenn man von diesen Völkern während eines blutigen Krieges und auf dem Höhepunkt der Polarisierung Toleranz verlangt, ist das so, als ob man versuchen würde, den Wind mit den Händen aufzuhalten.“
Kriegsverläufe lassen Kriegspläne platzen
Feldzüge entwickeln zumeist eine schwer zu beeinflussende Eigendynamik, gibt Polityka zu bedenken:
„Die meisten Beispiele für den Beginn von Kriegen in der Geschichte vermitteln den Eindruck von Zufälligkeit, einer Situation, in der 'die Dinge von selbst passieren'. Die Anführer erliegen ihnen und sehen keine andere Möglichkeit, als zu kämpfen. ... Selbst wenn ein Krieg geplant war, ist er immer als kurzer, siegreicher Feldzug gedacht. Der Zufall macht jedoch selbst den größten Fürsprechern von 'kurzen Kriegen mit klarem Ziel' einen Strich durch die Rechnung. Der Nahe Osten befindet sich in einer solchen Situation: Niemand will einen Krieg, alle Seiten rüsten auf, die Welt schaut fassungslos zu und die Terroristen spielen mit dem Auslöser weiterer Bomben.“
Achillesferse Ölmarkt
Die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti schließt nicht aus, dass die Arabische Liga mit einem Energie-Embargo reagiert:
„Die arabischen Staats- und Regierungschefs werden darüber sprechen müssen, wie sie die USA und den Westen dazu bringen können, Israel zum Aufhören zu zwingen. Was können die Araber tun? Ihr Ultimatum vom Oktober 1973 wiederholen? Damals, während des arabisch-israelischen Jom-Kippur-Kriegs, verhängten die arabischen Länder ein Ölembargo gegen den von den USA angeführten Westen. Der Krieg war nach einer Woche beendet und die Ölpreise stiegen um ein Vielfaches. ... Der Öl- und Gasmarkt ist nach der Verhängung der Sanktionen gegen Russland bereits in einer sehr schwierigen Lage.“
Israel muss den Abschreckungseffekt wiederherstellen
Die Forderungen nach einem Waffenstillstand findet The Daily Telegraph absurd:
„Das würde der Hamas Zeit geben, sich neu aufzustellen und weitere Raketenangriffe auf Israelis vorzubereiten. Auch sind viele von denen, die fordern, dass Israel seine Waffen niederlegt, unehrlich. Gibt es überhaupt irgendeine militärische Antwort auf die Gräueltaten von Hamas, die Israels Kritiker dem Land zugestehen würden? Glauben sie wirklich, dass es irgendeine Chance auf eine politische Einigung zwischen Israel und einer Gruppe geben kann, die das Land vom Angesicht der Erde tilgen möchte? ... Israel muss den Abschreckungseffekt wiederherstellen. ... Im Interesse von Israelis und Palästinensern muss es Israel erlaubt sein, die Hamas zu vernichten.“
Den einzigen richtigen Weg einschlagen
Am Ende liegt der Frieden auch im Interesse Israels, argumentiert Naftemporiki:
„Was bedeutet Selbstverteidigung in der Praxis? Wie so oft besteht die Gefahr, dass ein gerechtes Prinzip, wenn es absolut wird, zur treibenden Kraft einer nicht enden wollenden Gewalt wird. Und dass es zum Gegenteil vom ursprünglich gesetzten Ziel führt. Kriege entstehen auf dem schmalen Grat der legitimen Verteidigung und verwandeln diese langsam in einen illegalen Angriff. ... Es gibt zwei Wege. Entweder Krieg, Krieg, Krieg, Krieg. Oder den Versuch, sich auf Frieden zuzubewegen. Und das ist auch im Interesse Israels.“
Soft Power der EU nutzen
Europa hat eine Aufgabe, mahnt Corriere della Sera:
„Wenn interne Spaltungen und institutionelle Regelungen ein direktes Eingreifen vor Ort verhindern, muss die EU zumindest auf dem Terrain agieren, das ihr am meisten entgegenkommt: Überzeugungsarbeit, Konsensbildung, Dialog. ... In Ermangelung harter Macht (die wie die der Vereinigten Staaten auf Entschlossenheit und Abschreckung beruht) sollte die EU ihr Kapital an Soft Power ausschöpfen. ... Der Welt ihr Modell für Frieden, Wohlstand und Gerechtigkeit zu zeigen, ist nur der erste Schritt, den eine 'normative' Macht wie die EU tun kann. Der nächste Schritt ist, diejenigen Führungskräfte und Organisationen auszumachen, die die illiberalen Regime ihrer Länder von innen heraus verändern können und sie zu unterstützen.“
Plan entwerfen und Druck auf beide Seiten ausüben
Politiken sieht die Konfliktparteien allein nicht in der Lage, eine friedliche Lösung zu erreichen:
„Wie und wann der Krieg enden wird, ist nicht bekannt, aber bereits jetzt besteht die dringende Notwendigkeit, einen internationalen Plan für die Zukunft Gazas auszuarbeiten. ... Es muss eine langfristige Lösung gefunden werden, die sowohl die Sicherheit Israels gewährleistet, als auch Hoffnung und Lebensqualität in Gaza bietet. Idealerweise über einen palästinensischen Staat, der längst hätte Wirklichkeit werden sollen. Um eine Einigung zwischen Israelis und Palästinensern zu erzielen, bedarf es massiven Drucks sowohl seitens des Westens als auch der arabischen Welt.“
Friedenstruppen senden
Entschiedenes militärisches Eingreifen fordert Times of Malta:
„Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sollte einen sofortigen Waffenstillstand anordnen und eine Friedenstruppe zwischen der israelischen Armee und den Palästinensern und entlang der in Resolution 242 festgelegten Grenzen stationieren. Im Gegenzug zum Austausch aller Geiseln, der vollständigen Einstellung von Bombardierungen und Angriffen, sollte der Staat Palästina ausgerufen werden. Der 75 Jahre andauernde politische Konflikt kann nicht durch Verhandlungen zwischen Israel und Palästina gelöst werden. Die Lösung muss Israel und den Palästinensern aufgezwungen werden. Und zwar jetzt.“