Trump-Drohung: Wie soll Europa sich verteidigen?
In Europa ist eine Debatte über die Verteidigung des Kontinents entbrannt, nachdem Trump gedroht hatte, nur solchen Nato-Staaten Bündnisschutz zu gewähren, die das vereinbarte Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben erreichen. Kommentatoren beleuchten unterschiedliche Faktoren und Notwendigkeiten für den Fall, dass die USA als Sicherheitsgarant tatsächlich wegbrechen.
Darauf hat Putin gewartet
Rzeczpospolita sorgt sich um Polen:
„Es ist naiv zu glauben, dass wir nichts zu befürchten haben, weil wir vier Prozent des BIP für die Armee ausgeben. Denn was spielt es für eine Rolle, ob wir diese Bedingung Trumps erfüllen, wenn zum Beispiel die Deutschen und die Franzosen sie nicht erfüllen, was Trump als ausreichenden Vorwand für den Beginn des Abzugs der US-Streitkräfte aus Europa betrachten könnte? Es wäre naiv zu glauben, dass wir eine einsame europäische Insel sein werden, die von den USA verteidigt wird, während Deutschland nicht verteidigt wird. Das ist in der Praxis nicht umsetzbar. Die wirkliche Folge einer 'Du-musst-zahlen'-Politik könnte sein, dass Europa mit Russland allein gelassen wird. Und darauf wartet Wladimir Putin nur.“
Wenn Kyjiw standhält, hält Europa stand
Das Problem, das angegangen werden muss, ist nicht Trump, sondern Wladimir Putin, betont La Stampa:
„Die Lösung liegt nicht darin, Donald Trump bei Laune zu halten. Sie liegt in einer Verteidigung Europas, die Wladimir Putin die Stirn bieten kann. Diese Verteidigung beginnt mit der Ukraine. ... Wenn Kyjiw standhält, hält Europa stand. Und umgekehrt. Heute sind die Europäer ohne amerikanische Hilfen nicht in der Lage, sich gegen Russland zu verteidigen. Diese Unfähigkeit ist weder wirtschaftlich noch demografisch, industriell oder technologisch gerechtfertigt. Sie war eine bequeme 'Friedensdividende', da es auf dem Kontinent keine Bedrohungen gab. Es ist nutzlos, sich gegen Bedrohungen zu verteidigen, solange es sie nicht gibt. Unverzichtbar jedoch, wenn sie wieder auftauchen.“
Unter dem Schutz Frankreichs
Die französischen Atomstreitkräfte sind ein Garant für die europäische Sicherheit, bemerkt Die Presse:
„Es ist und war nie die Rede davon, dass die seit 1964 die strategische Autonomie Frankreichs stützenden Atomstreitkräfte unter ein europäisches oder gar EU-Kommando gestellt werden. ... Allerdings schützt Frankreichs 'Force de dissuasion' schon jetzt den Rest Europas implizit mit. ... Man führe sich ... die Worte Nicolas Sarkozys im März 2008 ... vor Augen: 'Wenn es um Europa geht, dann ist es eine Tatsache, dass die französischen Nuklearstreitkräfte allein durch ihre Existenz ein Schlüsselelement seiner Sicherheit sind. Ein Aggressor, der davon träumt, Europa in Frage zu stellen, muss sich dessen bewusst sein.'“
Eigene EU-Armee wohl nur ein Traum
Wirtschaftsprofessor Jože P. Damijan fragt sich in seinem Blog, ob Europa sich unabhängig machen könnte:
„Wenn Trump den Bündnisschutz wirklich reduzieren würde, wäre das nicht eine Chance für Europa, Sicherheit und militärische Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten zu erlangen? Prinzipiell schon, aber in der Praxis ist es nur ein süßer Traum. Erstens werden die Träger der neokonservativen amerikanischen Imperialpolitik dies niemals zulassen, weil sie dadurch ihre Kontrolle über Europa verlieren und ihre Chancen auf die Kontrolle Russlands verringern. ... Und zweitens: Selbst wenn die EU eine neue Sicherheitsarchitektur mit einer eigenen Armee und eigenen Atomwaffen beschließen würde, wäre die EU zu heterogen in ihren Interessen und zu dysfunktional, um so etwas umsetzen zu können.“
Die Zeit ist knapp
Europa muss aufrüsten, und zwar schnell, warnt Expressen:
„Bei der Abschreckung geht es um Glaubwürdigkeit. Europa muss eine glaubwürdige Verteidigung aufbauen, die sogar einen Trump II-Auftritt im Weißen Haus übersteht. Und es ist dringend. Putin ist risikobewusst und ein Opportunist, und daher steigt die Kriegsgefahr, wenn die USA signalisieren, dass sie ihren Verpflichtungen offensichtlich nicht nachkommen werden. Im vergangenen Herbst sagten mehrere Experten, die Nato-Staaten hätten drei Jahre Zeit, ihre Verteidigung aufzubauen, um Russland in sechs bis zehn Jahren von einem Angriff abzuhalten. Nun scheint sich dieser Horizont verkürzt zu haben.“
Alte Pläne endlich umsetzen
Ein mögliches Zusammenspiel zwischen Trump und Putin sollte Europa dazu bringen, sich auf eigene sicherheitspolitische Füße zu stellen, meint Hospodárske noviny:
„Europa kämpft seit Jahren mit der Frage der kollektiven Sicherheit. Erinnern wir uns daran, dass die Idee zum Aufbau einer gemeinsamen europäischen Armee bereits 2015 vom damaligen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker vorgebracht wurde. Einige Jahre zuvor wurde auch die strategische Autonomie der EU diskutiert. All diese Absichten blieben auf dem Papier. Möglich, dass Brüssel sie nun entstaubt.“
Ende der westlichen Führungsrolle der USA
Wenn Trumps Äußerung umgesetzt werden sollte, wäre die Nato Geschichte, kommentiert Yeni Şafak:
„Dass Trump, der seit jeher das gemeinsame Verteidigungskonzept der USA hinterfragt, sich weigert, einen Nato-Mitgliedsstaat zu schützen, bedeutet das praktische Ende dieses Militärbündnisses. Der Verlust des Abschreckungseffektes des kollektiven Verteidigungskonzepts, das auf Artikel 5 der Nato beruht, würde nicht nur das Ende der Garantien des Bündnisses bedeuten, sondern auch das Ende der Führungsrolle der USA innerhalb des westlichen Bündnisses. Für Amerika, das sich in einem globalen Machtkampf mit Russland und China befindet, wird es sehr schwierig werden, diesen Kampf ohne Einigkeit innerhalb des westlichen Bündnisses zu führen.“
Keine Atom-Fantasien entwickeln
Die Idee einiger Politiker, Europa müsse jetzt mit Atomwaffen aufrüsten, hält die taz für fehl am Platz:
„Wer jetzt über eine deutsche oder europäische Bombe schwadroniert, bricht das Recht und verspielt Vertrauen. Seriöse Sicherheitspolitiker sollten nicht über Trumps Stöckchen springen oder Endzeitfantasien entwickeln – sondern sagen, wie es weitergeht. Doch dazu schweigen sich die Verantwortlichen aus. Deutschland und die EU haben keine Strategie für den zunehmend hoffnungslosen Krieg in der Ukraine und keinen Plan für den Umgang mit der wankenden Weltmacht USA. Das sollte uns mehr Sorgen machen als irgendwelche Wahlkampfsprüche von Donald Trump.“
Auch Süd- und Westeuropa müssen solidarisch sein
La Vanguardia warnt vor Putin:
„Wir haben es hier nicht mit einem der üblichen Ken-Follett- oder Frederick-Forsyth-Romane zu tun. Wir erleben ein reales Szenario mit einer Hauptfigur, Wladimir Putin, der über Atomwaffen verfügt. ... Nach monatelangen Misserfolgen an der Front fühlt sich Putin ermutigt, weil er der ukrainischen Gegenoffensive widerstanden hat und einen Sieg von Donald Trump für sehr wahrscheinlich hält. ... Die Bedrohung durch ihn ist real. Die Bürger Süd- und Westeuropas spüren nicht die gleichen Spannungen wie ihre Nachbarn in den baltischen Staaten, Polen oder Finnland, die an Russland grenzen oder ihm sehr nahe sind. Aber ein Konflikt mit einigen dieser Länder würde uns über die Nato direkt in einen Krieg verwickeln.“
Finnland hat es richtig gemacht
Europas Länder sollten sich ein Beispiel am neuen Nato-Mitglied Finnland nehmen, meint The Times:
„Was die Artillerie und die Luftstreitkräfte betrifft, so ist Finnland für ein kleines Land gut gerüstet. Aufgrund der Wehrpflicht verfügt die finnische Armee über 280.000 Mann zu denen noch 870.000 Reservisten hinzukommen – und das in einem Land mit nur 5,5 Millionen Einwohnern. ... Die finnische Strategie basiert – anders als vor 20 Jahren anderswo in Europa angenommen – nicht auf der irrigen Annahme, dass Russland nach dem Kalten Krieg wie durch Zauberhand keine Gefahr mehr darstellen würde. ... Das Ziel der Vorbereitung besteht nach finnischem Verständnis nicht darin, einen Krieg zu beginnen, sondern Kapazitäten aufzubauen, um ihn zu verhindern.“
Kommando übernehmen
Les Echos rät dazu, möglichen Entwicklungen in den USA vorzugreifen:
„Die Europäer, insbesondere die Franzosen, Deutschen und Briten, müssen das Nato-Kommando übernehmen, sowohl in finanzieller als auch in strategischer Hinsicht. … Das Risiko steigt, dass wir die Ukraine gegenüber Russland wegen Munitionsmangel kapitulieren sehen. ... Es ist unabdingbar, dass Kyjiw an dem – hypothetischen – Tag, an dem Donald Trump an die Macht gelangt, in einer starken Position ist. Es ist unabdingbar, dass die osteuropäischen Länder an unsere gemeinsame Verteidigung glauben. Andernfalls wird jeder einzeln Schutz bei Donald Trump suchen. Ohne Bündnis und ohne Europa.“
Ohne Solidarität keine europäische Verteidigung
Rzeczpospolita stellt die Gretchenfrage:
„Während es selbstverständlich ist, dass ein Amerikaner aus New York für einen Amerikaner aus Los Angeles sterben würde, ist das Dilemma, ob ein Spanier dies für einen Polen tun würde, viel schwieriger. Schließlich ist dies der Grund, warum Polen im vergangenen Jahr 3,9 Prozent seines BIP für die Verteidigung ausgab, während Spanien nur 1,26 Prozent aufwandte. Und solange kein Solidaritätsgefühl unter allen Europäern aufkommt, wird es für unseren Kontinent sehr schwierig sein, sich zu verteidigen.“
Prioritäten setzen, Stärken nutzen
Politikwissenschaftler Ramūnas Vilpišauskas gibt sich in 15min vorsichtig optimistisch, was Europas Verteidigungsambitionen gegenüber Russland betrifft:
„Einerseits gibt die Einschätzung der Bedrohungslage Anlass zur Hoffnung, dass die Nato-Länder die gleiche Einschätzung der russischen Bedrohung teilen, was sich in zusätzlichen Investitionen in die europäische Rüstungsindustrie und Verteidigungsmaßnahmen niederschlagen sollte. ... Andererseits sind die Ressourcen begrenzt. ... Vergessen wir nicht, dass die übrigen Nato-Mitglieder auch ohne die USA dem autoritären Russland bei wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen sowie Technologie weit voraus sind. Entscheidend ist, dass wir Europäer uns auf Prioritäten einigen und diese Ressourcen gezielt und wirksam zum Schutz unseres Wohlstands und unserer Lebensweise einsetzen.“
Deutschlands militärische Schlüsselrolle
Ist eine schnelle Aufrüstung Europas, allen voran Deutschlands, die Lösung für Trumps Drohungen? Adevărul wägt ab:
„Ja, je mehr die europäischen Generäle davor warnen, dass die Ukraine völlig von den Lieferungen der EU-Staaten abhängig sein wird. … Doch kann Deutschland zum größten Rüstungsproduzenten in Europa werden? Und hängen die Verteidigung und die Sicherheit der Länder unseres Kontinents von der Produktionskapazität des militärisch-industriellen Systems dieses Landes ab? Eine delikate Frage aus historischer Sicht. Die Antwort muss anhand der neuen Realitäten auf dem Weltmarkt der Macht abgewogen werden. Wenn die Amerikaner beschließen, dass sie genug für Kriege ausgegeben haben, wie wird dann Deutschland die Führung der europäischen Armee übernehmen?“
Nukleare Aufrüstung wäre katastrophal
Naftemporiki findet es bedenklich, dass in Deutschland auch über Atomwaffen nachgedacht wird:
„Leider wird die Debatte über die atomare Aufrüstung der EU nicht in irgendeinem Keller von rechtsextremen, kriegsbegeisterten Verrückten geführt. ... Und doch: Deutschland hat den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet. ... Ein Rückzug Deutschlands aus dieser völkerrechtlichen Verpflichtung wäre eine erhebliche Eskalation im bestehenden Konflikt mit Russland. Der Glaube, die Doktrin der nuklearen Abschreckung schaffe Sicherheit, ist ein Mythos. Im Gegenteil: Die nukleare Aufrüstung Europas würde uns an den Rand eines Atomkrieges bringen.“