Macron bei Scholz: Was hat das Treffen gebracht?

Drei Tage war Macron auf Staatsbesuch in Deutschland. Der Aufenthalt verlief betont harmonisch: In Dresden warb Frankreichs Präsident für Demokratie und die Verteidigung Europas, bei Bundespräsident Steinmeier betonte man die deutsch-französische Freundschaft. Offensichtliche Differenzen mit Bundeskanzler Scholz, etwa in der Ukraine-Politik, stellten beide Seiten als unwesentlich dar. Ob das stimmt, erörtern Kommentatoren.

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Le Monde (FR) /

Deutschland verärgert über Macrons Chefgebaren

Zwischen Paris und Berlin, dem nach Washington zweitwichtigsten Unterstützer für Waffenlieferungen an die Ukraine, ist ein Führungskonflikt entbrannt, analysiert Germanist Jacques-Pierre Gougeon in Le Monde:

„Berlin ärgert es, dass der französische Präsident sich als Chef Europas profiliert. Dies ist der Hauptgrund, warum Olaf Scholz' negative Reaktion so bissig ausfiel, als Frankreichs Präsident eine mögliche Entsendung von Bodentruppen erwähnte. Die Frontalopposition offenbart die Ablehnung eines stillschweigenden französischen Postulats, demzufolge Frankreich als einzige Atommacht der EU nach dem Brexit eine Art 'natürliche' Führungsrolle im Militärbereich zufällt. ... Die Frage nach einer geteilten Führung muss nun offen angesprochen werden.“

Népszava (HU) /

Gemeinsam gegen den Querschläger

Für Népszava ist klar, dass die beiden europäischen Großmächte von Ungarns Vetos die Nase voll haben:

„In den vergangenen Jahren hat die deutsch-französische Achse nicht effektiv genug funktioniert, aber jetzt beginnen sowohl Macron als auch Scholz einzusehen, dass es keinen anderen Weg gibt, sie müssen miteinander kooperieren. ... Aber die Grundvoraussetzung dafür ist, die Entscheidungsfindung [in der EU] zu vereinfachen, also die Möglichkeit von Vetos auszuschließen. Und dies ist die Frage, über die es zwischen Macron und Scholz keinerlei Streit gibt. Sie finden es inakzeptabel, dass ein einzelnes Land das Funktionieren der EU durch ständige Vetos oder Vetodrohungen lähmt.“

Radio Kommersant FM (RU) /

Notorisch uneinige Partner

Die demonstrative Freundschaft der Länder sollte einen nicht täuschen, meint Radio Kommersant FM:

„Berlin und Paris sind immer öfter unterschiedlich gepolt, sowohl in der Innenpolitik, einschließlich der Wirtschaftspolitik (wenn in Deutschland die Konservativen an der Macht sind, sind es in Frankreich oft die Linken und umgekehrt), als auch in der Außenpolitik. Das deutsch-französische Tandem schlingert zunehmend. Und es ist kein Zufall, dass es Paris seit geraumer Zeit in vielen Fragen leichter fällt, in Mittelmeerländern wie Spanien oder Italien Unterstützung zu finden, aber nicht in Deutschland. In den letzten Monaten hat sich die deutsch-französische Phasenverschiebung am deutlichsten in Bezug auf die Haltung gegenüber Russland und den Ukraine-Konflikt gezeigt.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Die Kleinen machen es manchmal vor

Das Problem der EU ist das Auseinanderfallen von Reden und Handeln, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

„Das betrifft gerade auch das deutsch-französische Verhältnis, dem nicht nur Staatsbesuche gut bekommen, sondern vor allem ein gemeinsames Vorgehen. Die Welt dreht sich nicht mehr primär um Europa, da ist es richtig, wenn Macron sagt, dass es keine rein nationalen oder rein atlantischen Lösungen geben könne. Europäische Lösungen waren aber auch in der Ukraine oft zu schwach oder kamen zu spät. ... Manchmal sind es die kleinen Staaten, die vormachen, wie man zu Macrons 'mächtigem und souveränem Europa' kommt. Belgische Politiker werden selten zu großen Reden nach Deutschland eingeladen oder erhalten hier Preise. Aber das Land sagte der Ukraine jetzt dreißig F-16-Kampfflugzeuge zu.“

Lidové noviny (CZ) /

Streitthemen überwiegen

Für Lidové noviny sind die Differenzen zwischen Berlin und Paris riesig:

„Während der französische Präsident immer wieder betont, dass die EU-Länder wirtschaftlich und militärisch unabhängiger von den USA werden müssen, ist Bundeskanzler Scholz deutlich vorsichtiger. Berlin sieht in den USA nach wie vor den wichtigsten Sicherheitsgaranten für Deutschland, während es die Partnerschaft mit Frankreich als Ergänzung betrachtet. Und das selbst für den Fall, dass nach der Wahl im November in den USA der Trend zur Abkehr von Europa siegen würde. Diese Haltung wird auch von der größten Oppositionspartei in Deutschland – der CDU – geteilt, die in einem Jahr die Chance hat, die Wahl im Land zu gewinnen.“

Le Nouvel Obs (FR) /

Ein gegensätzliches Paar

Bis zu einer guten Freundschaft bleibt noch ein langer Weg, urteilt L'Obs:

„Selbst wenn sich der Präsident und der Bundeskanzler auf die Notwendigkeit einigen, Europa gegenüber der Konkurrenz der beiden globalen Giganten zu stärken, bleiben sie sich über den Stellenwert der Kernenergie, die Haushaltsstrategie, die Handelsabkommen oder den Grad an Protektionismus uneinig. ... 'Die deutsch-französischen Beziehungen bestehen darin, sich Meinungsverschiedenheiten mitzuteilen und zu versuchen, Wege zum Kompromiss zu finden', sagt Hélène Miard-Delacroix, Expertin für deutsche Geschichte an der Sorbonne. Doch für den nordisch zurückhaltenden Olaf Scholz und Emmanuel Macron, der immer bereit ist, offensichtliche Dinge zu hinterfragen, ist der Weg länger als gewöhnlich.“

Frankfurter Rundschau (DE) /

Mehr Tempo bitte!

Für den Fall, dass sich Macron und Scholz nicht zusammenraufen, fürchtet die Frankfurter Rundschau hässliche Folgen:

„Der Zwist etwa bei den drohenden Autozöllen gegen China kann Arbeitsplätze und damit den europäischen Wohlstand gefährden. Das wiederum schürt bei der Bevölkerung Ängste, von denen bislang rechtspopulistische oder gar rechtsextreme Parteien profitiert haben. Dabei können die EU-Staaten zusammenstehen, wenn sie von außen herausgefordert werden. Jedenfalls war das so als US-Präsident Donald Trump die europäischen Verbündeten unter Druck setzte. ... Doch um die vielen Probleme zu lösen, wäre ein höheres Tempo wünschenswert. Dafür kann der deutsch-französische Motor sorgen.“

Rzeczpospolita (PL) /

Warten auf die nächste Bundesregierung

Frankreich rechnet mit einem Regierungswechsel in Deutschland, meint Rzeczpospolita:

„Die dramatisch niedrige Zustimmung für die SPD (rund 15 Prozent) führt dazu, dass in Paris die Versuchung wächst, die derzeitige Regierung 'auszusitzen'. Vieles deutet darauf hin, dass das Amt von Scholz in etwas mehr als einem Jahr von CDU/CSU-Chef Friedrich Merz übernommen werden wird. An der Seine ist man der Meinung, dass der Christdemokrat zwar in Finanzfragen genauso prinzipienfest bleiben wird, sich aber in anderen Bereichen offener für eine Zusammenarbeit mit den Franzosen zeigen dürfte.“

La Repubblica (IT) /

Der dritte Moment der europäischen Einheit

Das Weimarer Dreieck ist Europas einzige Chance, schreibt EU-Parlamentarier Bernard Guetta in La Repubblica:

„In einer Zeit, in der sich an unseren Grenzen Gefahren auftürmen, wie wir sie seit 1939 nicht mehr erlebt haben, hat die EU die französische Armee als einzige Verteidigung. … Deshalb ist, als die Polen die deutschfeindlichen Rechten wieder in die Opposition getrieben haben, das Weimarer Dreieck aus seinem Schlaf erwacht. ... Unvermeidliche Interessenskonflikte werden den Marsch in Richtung einer gemeinsamen Verteidigung bremsen. ... Die Annäherung dieser drei Länder ist aber der Vorbote dessen, was vor unseren Augen zum dritten Moment der europäischen Einheit wird: Nach dem gemeinsamen Markt und der gemeinsamen Währung kommt nun die politische Einheit.“