Asylrecht: Was will Warschau bezwecken?

Polen will illegale Migration "auf ein Minimum reduzieren" und dafür das Asylrecht zumindest vorübergehend aussetzen. Dies sei Teil der neuen Migrationsstrategie, erklärte Regierungschef Donald Tusk und kündigte an, die Anerkennung dieser Entscheidung auf EU-Ebene einfordern zu wollen. Kommentatoren beleuchten Motive und Hintergründe dieses Vorgehens.

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Onet.pl (PL) /

Realistisches Kalkül statt Wunschdenken

Tusk hat aus seiner Haltung zum Thema Migration nie ein Geheimnis gemacht, schreibt Onet:

„Es ist nicht so, dass Tusk seine Meinung zu diesem Thema geändert hätte. ... Als er noch Präsident des Europäischen Rates war, stritt er mit Angela Merkel über die Umverteilungspolitik und den allzu liberalen Ansatz bei der Migration. Tusk erkannte sehr genau, dass ein Mangel an Grenzkontrollen zwangsläufig zu einem Anstieg der Unterstützung für die extreme Rechte führen würde. ... Heute macht die deutsche Regierung als Reaktion auf das Wahlergebnis der AfD ihre Grenzen dicht. Ein deutlicherer Beweis für das Scheitern einer Politik, die eher auf Wunschdenken als auf realistischem Kalkül beruht, lässt sich wohl kaum finden.“

Rzeczpospolita (PL) /

Tusk setzt auch auf Populismus

Rzeczpospolita betrachtet Tusks Vorstoß vor dem Hintergrund der polnischen Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr:

„Tusk weiß, dass die Entscheidung, wer Präsident wird, davon abhängt, ob es ihm gelingt, die Emotionen (und, seien wir ehrlich, die Ängste) von Millionen von Polen einzudämmen, und nicht von den Sympathien der liberalen oder linken Eliten. Damit gesteht der Premier ein, dass er den rechten Populismus der PiS und der [nationalistischen] Konfederacja ebenfalls mit Populismus bekämpfen will, nur eben mit lächelndem liberalen Antlitz.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Es stimmt etwas grundsätzlich nicht

Die deutsche Ampel-Regierung sollte mal nach Polen blicken, empfiehlt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

„Der Ministerpräsident, der dort eine vorläufige Aussetzung des Asylrechts angekündigt hat, ist kein Rechtspopulist, was in der Regel ja genügt, um hierzulande eine Debatte zu verweigern. Tusk ist auch kein Antieuropäer, er war sogar mal Präsident des Europäischen Rats. Schon damals war er gegen Merkels Willkommenspolitik, deren Folgen absehbar waren. Er gehört zur christdemokratischen Europäischen Volkspartei, sein Wahlsieg über die PiS wurde in Deutschland groß gefeiert. Wenn ein Politiker der bürgerlichen Mitte eine derart drastische Maßnahme in Betracht zieht, dann stimmt etwas grundsätzlich nicht mit dem Asylsystem in der EU.“

RFI România (RO) /

Moskau instrumentalisiert Flüchtlinge

RFI România kritisiert:

„Belarusische Grenzpolizisten wurden gesichtet, wie sie Migranten aktiv Hilfe leisteten – was Tusk als Taktik eines 'hybriden Krieges' bezeichnet, der Stimmung gegen Migration machen und Staatsressourcen blockieren soll. Mit anderen Worten, die Russen schicken Migranten und machen gleichzeitig in ihren Desinformationsnetzwerken Stimmung gegen sie. ... Dass es so viele Migranten an der polnischen Grenze gibt – eine bewaldete und schlammige Gegend – bringt humanitäre Probleme mit sich, für die die russische Propaganda natürlich Polen die Schuld gibt.“

The Irish Times (IE) /

Migration ist Überlebensstrategie

Irland sollte – auch mit Blick auf die eigene Geschichte – nicht dem Trend zu einer verhärteten Position in Sachen Migration folgen, mahnt The Irish Times:

„Es gab eine Zeit, in der ein Viertel der Bevölkerung Irland in weniger als einem Jahrzehnt verließ. Die Bevölkerung verließ ihre Heimat aufgrund von Hungersnöten, Arbeitslosigkeit, mangelnder Gesundheitsversorgung, Armut, Überbevölkerung, unhygienischen Lebensbedingungen und steigenden Mieten. Sie verließen ihre Heimat auf der Suche nach einem besseren Leben. Diese Geschichte ähnelt der von Menschen, die heute ihre Heimat verlassen. Angesichts der globalen Realität zunehmender Ungleichheit, wachsender Armut und klimabedingter Katastrophen ist Migration eine notwendige Überlebensstrategie.“