Rumänien: Woher kommt die Popularität von Georgescu? 

In Rumänien hat überraschend der extrem rechte Präsidentschaftskandidat Călin Georgescu den ersten Wahlgang gewonnen. Er geht nun am 8. Dezember gegen die liberal-konservative Politikerin Elena Lasconi in die Stichwahl, denn die Bewerber der Regierungsparteien scheiterten. Die Medien beleuchten, wie der vor der Wahl vor allem auf Tiktok präsente Außenseiter in der Wählergunst so weit nach vorne kommen konnte.

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Tageblatt (LU) /

Cyberwahlkampf abseits der klassischen Medien

Warum Meinungsforscher und Medien den Blitzaufstieg Georgescus nicht kommen sahen, erklärt das Tageblatt:

„Erstmals wurde der Stimmenstreit im Karpatenstaat fast ausschließlich über die sozialen Medien im direkten Kontakt mit den Wählern weitgehend ohne Moderation der traditionellen Medien geführt. Griffige Botschaften kommen bei einem Publikum ohne große Vorkenntnisse an. Inhalte verschwinden hinter der Form – und Präsentation. Der Urnengang sollte auch für die Anhänger des Cyberwahlkampfs unter mitteleuropäischen Stimmenjägern ein Warnsignal sein. Rumäniens Schockwahl hat nicht nur dessen Möglichkeiten, sondern auch Manipulationsrisiken drastisch aufgezeigt.“

Adevărul (RO) /

Oberflächlichkeit als neuer Trend

Tiktok ist überzeugender als jedes Wahlprogramm, meint Adevărul:

„Die schmerzhafteste Wahrheit ist folgende: Die Rumänen haben nicht so massiv für Georgescu gestimmt, weil sie treue Anhänger seiner doktrinären Vorstellungen sind oder weil sie sich mit seiner Politik oder seinem Wahlprogramm identifizieren oder seit Monaten oder Jahren seine Anhänger sind. Keinesfalls. Würde man diese Wähler bitten, vier bis fünf Punkte aus Georgescus Wahlprogramm zu nennen, dann würden sie nichts dazu sagen können. Warum? Sie kennen es nicht. Sie haben ihn einfach reden hören und gewählt. Die Oberflächlichkeit von Tiktok ist ein neuer Trend. Soziale Medien überzeugen – schnell, in wenigen Tagen, ohne Tiefe. Tiktok ist stärker als jede Lehranstalt.“

Népszava (HU) /

Beängstigende Zukunft

Népszava vermutet ausländische Einmischung hinter Georgescus rasantem Popularitätswachstum:

„Man kann ohne jegliches Risiko feststellen, dass ein Kandidat, der zu Beginn des Wahlkampfs weniger als ein Prozent Unterstützung hat und auch später nicht viel bekannter wird, ohne Einmischung von außen nirgendwo auf der Welt gewinnen kann. ... Man kann nur raten, welcher Drei-Buchstaben-Geheimdienst im Hintergrund zu suchen ist. Der Ausgangspunkt dafür könnte sein, dass Rumänien einer der wichtigsten östlichen Stützpunkte für Nato- und US-Truppen ist, wenn nicht sogar der wichtigste im Kontext der aktuellen geopolitischen Ereignisse. Auf jeden Fall verspricht dieses erschreckende Meisterwerk eine beängstigende Zukunft für andere Wahlen in Europa.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Fruchtbarer Boden fürs Autoritäre

Zur Erklärung des Wahlergebnisses empfiehlt die Süddeutsche Zeitung einen Blick in die Geschichte:

„Schon vor der Zeit der Ceauşescu-Diktatur war Rumänien alles andere als eine lupenreine Demokratie. Im Zweiten Weltkrieg führte der faschistische Militärherrscher Ion Antonescu das Land in ein Bündnis mit Hitlerdeutschland. Die jahrzehntelange Kontinuität des Autoritären hat dafür gesorgt, dass eine freiheitlich-demokratische Kultur und Parteienlandschaft kaum wachsen, geschweige denn reifen konnte. ... Wirtschaftliche Unsicherheit, ein Grundgefühl des systemischen Überrumpelt- und Abgehängtseins, dazu eine schwache Immunisierung gegen Falschnachrichten und Propaganda: Auf solchem Nährboden kann eine Bewegung wie die des Kandidaten Georgescu ... leicht Wurzeln schlagen.“

Corriere della Sera (IT) /

Rückenwind für Anti-System-Parteien

Rumänien tritt in eine neue politische Epoche ein, erklärt Corriere della Sera:

„Mit Georgescu und [AUR-Parteichef] Simion hat die extreme Rechte mehr als ein Drittel der Stimmen erhalten. Und manche sagen einen 'Domino-Effekt' bei den Parlamentswahlen am kommenden Sonntag voraus. Für die traditionellen Parteien war es eine Niederlage. Die Sozialdemokraten [PSD], die als Erben der ehemaligen KP mehr als 30 Jahre das politische Leben des Landes bestimmten, schieden zum ersten Mal seit dem Fall des Kommunismus 1989 in der ersten Runde aus. Das gleiche Schicksal ereilte die Liberalen der PNL, mit denen sie jetzt regieren. Die Anti-System-Parteien 'haben Wind in den Segeln. Es bleibt abzuwarten, ob sie in der Lage sein werden, auch auf der Welle zu reiten', so der Soziologe Gelu Duminica.“

Gazeta Wyborcza (PL) /

Eine Bresche in der Nato-Ostflanke?

Gazeta Wyborcza ist um die geopolitische Ausrichtung Rumäniens besorgt:

„Die pro-amerikanische Politik Rumäniens wurde vom scheidenden Präsidenten Klaus Iohannis von der PNL angeführt, dem Initiator der so genannten Bukarester Neun, zu denen auch Polen gehört. Diese Gruppe setzte sich intensiv für die Stärkung der so genannten Ostflanke der Nato und die Stationierung von US-Truppen dort ein. Wenn Georgescu Präsident wird, könnte sich diese Politik ändern.“

Spotmedia (RO) /

Ergebnis von Frust und schlechter Regierungsführung

Bei Spotmedia sieht man mehrere Gründe für Georgescus Sieg:

„Der Frust eines großen Teils der Bevölkerung, der mit seinen Problemen, Ängsten und Erwartungen von den etablierten Parteien im Stich gelassen wird. Die natürlich unterschiedlich sind, je nach Bildungsniveau und Region, aber gleichermaßen ignoriert werden. Und die ungeheure Demütigung durch die Missachtung des unverfrorenen Präsidenten Iohannis. ... Auch die schlechte Regierungsführung mit enormen wirtschaftlichen Folgen ist ein Grund. Man kann den Leuten nicht vormachen, dass Wohlstand herrscht, wenn es ihnen immer schlechter geht. Rumänien hat eine der höchsten Inflationsraten in der EU, es verschuldet sich rapid, es setzt EU-Gelder aufs Spiel. Im Gegenzug bekommen die Leute Parolen, die weder ihre Taschen noch ihre Bäuche füllen.“

Transtelex (RO) /

Bei Tiktok ganz vorne

Călin Georgescu verdankt seinen Erfolg den sozialen Medien, argumentiert Transtelex:

„Sein Kampagnenstab hat das visuelle Format von Tiktok hervorragend genutzt. Seine Videos beinhalteten oft kraftvolle nationale Symbole, wie die rumänische Trikolore und Bilder historischer Helden, die seinen Botschaften eine emotionale Kraft verliehen. Das kurze, schwungvolle Format ermöglichte es ihm, seine radikalen Ansichten schnell und knapp zu vermitteln. Die Algorithmen der Plattform bevorzugen virale Inhalte, insbesondere wenn sie starke Emotionen auslösen. Georgescus provokanter Stil und seine scharfen politischen Botschaften entsprachen genau diesem Muster, und seine Videos erreichten Millionen von Zuschauern.“

Index (HU) /

Radikalismus in gemäßigtem Gewand

Georgescu konnte offenbar Wähler über das Rechtsaußen-Lager hinaus überzeugen, beobachtet Index:

„Georgescu ist vor allem für seine scharfe Anti-Nato-, Anti-EU- und pro-russische Haltung bekannt, während er die faschistische Legionärsbewegung verteidigt, die zwischen den beiden Weltkriegen aktiv war. ... Georgescu wurde jedoch wohl nicht ausschließlich von rechtsextremen Wählern gewählt, und zwar weil er in seiner Kommunikation viel zurückhaltender ist, nicht so schrill wie zum Beispiel [seine ebenfalls weit rechts stehenden Konkurrenten] George Simion oder Diana Șoșoacă. Er schien aufgrund seiner früheren Erfahrung bei der Uno als Führungspersönlichkeit viel glaubwürdiger als sie.“