Wettbewerbsfähigkeit der EU: Auf dem richtigen Weg?

Mit dem Titel "Kompass zur Wettbewerbsfähigkeit" hat Ursula von der Leyen den Plan vorgelegt, mit dem ihre EU-Kommission die europäische Wirtschaft konkurrenzfähiger machen soll. Die Strategie basiert auf dem im September vorgelegten Bericht des Ex-EZB-Chefs Mario Draghi. "Europa hat alles, was es braucht, um bei diesem Rennen zu gewinnen", erklärte von der Leyen. Nicht alle Kommentatoren teilen den Optimismus.

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Rzeczpospolita (PL) /

Der Bus ist abgefahren

Bogusław Chrabota, Herausgeber der Rzeczpospolita, ist desillusioniert:

„Es besteht keine Chance, dass Europa die Verfolgungsjagd mit dem Rest der Welt aufnimmt. Der Prozess seiner Musealisierung ist zu weit fortgeschritten. Was bleibt dann noch übrig? Ein Freilichtmuseum, das Tourismus, akademische Bildung auf niedrigem Niveau (hier haben wir noch eine Zeit lang einen Vorteil gegenüber einem Teil der Welt) und ökologische Agrarprodukte anbietet. Polen kann Wodka, Würste und Himbeeren anbieten. Vorausgesetzt natürlich, dass es genügend Hände gibt, die letztere ernten. Der Bus ist abgefahren, meine Damen und Herren, und die Illusion, dass man noch einsteigen kann, ist einfach naiv.“

Les Echos (FR) /

Europäische Weitsicht wird sich durchsetzen

Auf keinen Fall sollte die EU ihren Green Deal aufgeben, mahnt Les Echos:

„Natürlich ist der nicht perfekt und noch längst nicht vollendet. Er wurde jedoch in Gang gebracht und die Akteure der Finanzwelt tragen die Ziele klar mit, auch wenn sie ab und an die Vorgaben kritisieren. Besser noch: Sie haben verstanden, dass sie trotz der Einschränkungen, die die grüne Finanzwirtschaft ihnen auferlegt, einen echten Wachstumshebel für ihre Aktivität in der Hand halten. ... Die USA tun derzeit so, als gäben sie den Ton an. Doch in Wirklichkeit setzen sie auf Kurzfristigkeit und werden eines Tages von der Realität eingeholt.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Mehr Mut beim Deregulieren

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist nicht überzeugt:

„Das Arbeitspapier strotzt nur so vor schwammigen Begriffen. Was an Substanz dahinter steckt, ist unklar. Wie ernst die Kommission es etwa mit dem Bürokratieabbau meint, wird sich erst zeigen, wenn sie das angekündigte Omnibus-Gesetz vorlegt, das die Zahl der Berichtspflichten verringern soll, mit denen die Industrie nachweisen muss, dass sie eine nicht endende Flut EU-Regeln einhält. Allerdings wird auch dieses Sammelgesetz den Unternehmen nur etwas Luft verschaffen, die eigentlichen Probleme aber nicht lösen. Dazu wäre ein echtes Bekenntnis zu gezielter Deregulierung notwendig, ob es um den Green Deal geht oder um andere Felder.“

De Standaard (BE) /

Klare Regeln haben ihren Sinn

Beim Kampf gegen Bürokratie gilt es, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, mahnt De Standaard:

„Weniger Kontrollwut ist nicht dasselbe wie mehr Deregulierung. Ohne Normen keine gesunde Umwelt, keine stabile Rechtssicherheit, keine korrekten Arbeitsbedingungen oder faire Spielregeln für Unternehmen. Von der Leyen betont ausdrücklich, dass die CO2-Neutralität für 2050 das Ziel bleibt. Die europäischen Unternehmen halten vorläufig am selben Ziel fest. ... Die Beratungen [mit der Automobilindustrie] werden zum ersten Lackmustest für die Kommission und die Unternehmen – wie standhaft sie bleiben in ihren Zielen und wie pragmatisch auf dem Weg dorthin.“

Welt (DE) /

Zu viele Fragen bleiben offen

Für die Welt sind von der Leyens Pläne viel zu vage:

„Unter Ursula von der Leyen brachte die EU-Kommission in den vergangenen fünf Jahren rund 6300 Rechtsakte auf den Weg. ... Der Kompass für Wettbewerbsfähigkeit sagt etwa eine Verringerung der Berichtspflichten um 25 Prozent zu, doch was bedeutet das genau? Wenn Unternehmen die EU-Kommission fragen, wie viele Berichtspflichten es überhaupt gibt, erhalten sie keine Antwort. Zum anderen wollen nun jene Leute die Bürokratie abbauen, die sie aufgebaut haben. Der Mann, den von der Leyen damit beauftragt, Valdis Dombrovskis aus Lettland, gehört schon seit mehr als zehn Jahren zur Kommission. ... Man muss davon ausgehen, dass ihm die Rückabwicklung der eigenen Arbeit nicht gerade Freude bereiten wird.“

Capital (GR) /

Mehr Dynamik und Unabhängigkeit nötig

Der Wirtschaftswissenschaftler Nikitas Simos hat vor dem Hintergrund der Präsidentschaft von Donald Trump in Capital klare Empfehlungen für Europa:

„Trotz der Gefahr eines Handelskriegs mit den USA sollte die EU ihr Wachstumsmodell dahingehend ändern, dass es sich stärker auf inländische Nachfragekomponenten und weniger auf Nettoausfuhren stützt. In dieser Hinsicht enthalten die Berichte von Draghi und Letta sehr nützliche Vorschläge, um die europäische Wirtschaft widerstandsfähiger und damit weniger anfällig für externe Bedrohungen zu machen. Es bleibt abzuwarten, ob die EU über das politische Kapital und den Willen verfügt, eine dynamische und unabhängige Strategie zu verfolgen.“