Trump-Anruf bei Putin: Sofortige Verhandlungen?
US-Präsident Trump hat mit Russlands Machthaber Putin telefoniert und, so Trump, die "unverzügliche" Aufnahme von Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg vereinbart. Kreml-Sprecher Peskow bestätigte Moskaus Gesprächsbereitschaft. Trump sprach anschließend auch mit Selenskyj - ein "gutes und ausführliches Gespräch", sagte der ukrainische Präsident danach. Europas Presse fragt sich dennoch, ob Kyjiw und Europa genug Mitspracherechte haben.
Das Worst-Case-Szenario
Politologin Marija Solkina ist in NV pessimistisch:
„Trump hält sich nicht an seine Ansage vom 'Druck auf beide Seiten'. Und im Ton über die Gespräche mit Putin sprühen Funken der Loyalität, Sympathie und des gegenseitigen Verstehens. Unter solchen Umständen und mit einem solchen Ansatz wird nicht nur kein 'Waffenstillstand' (der meiner Meinung dennoch ausgerufen wird) funktionieren. Auch ein größerer Krieg in Europa wird unausweichlich. Es sind keine Sicherheitsgarantien in Sicht. Eine Friedenstruppe ohne die Beteiligung der USA ist nahezu unrealistisch: Den Europäern würden dafür Kraft und Mut fehlen, denn sobald die Illusion des Schutzes durch die Nato unter Trumps Stiefel zerbröckelt, werden die Länder, die überhaupt über nennenswerte Armeen verfügen, diese darauf vorbereiten, im Kriegsfall ihr eigenes Staatsgebiet zu verteidigen.“
Echte europäische Schutztruppe entsenden
Polen muss Europa helfen, Stärke zu zeigen, so das Portal Onet.pl:
„Die europäischen Bündnispartner stehen vor einer schweren Entscheidung. Da die USA erklären, dass ihr Schutzschirm keine Friedenstruppe in der Ukraine umfassen wird, sollten die Europäer Einheiten von solcher Schlagkraft in die Ukraine entsenden, dass die Russen verstehen, dass sie im Falle eines weiteren Krieges nicht mit einer symbolischen, leicht bewaffneten internationalen Truppe kämpfen werden, die sich im Ernstfall schnell zurückzieht, sondern mit den Streitkräften Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Schwedens, Spaniens und anderer Verbündeter. ... Da es in unserem Interesse ist, dass westliche Truppen in der Ukraine stationiert werden, sollte Polen klarstellen, dass wir dies auch tun werden.“
Krieg darf keine Erfolgsstrategie sein
Oppositionspolitiker Andrej Piwowarow warnt in einem von Echo übernommenen Telegram-Post vor langfristigen Folgen eines falschen Friedens:
„Natürlich ist die Einstellung der Kämpfe und die Rettung von Menschenleben ein positiver Ausgang. Wenn jedoch das Ergebnis potenzieller Friedensabkommen einen Präzedenzfall dafür schafft, dass es im 21. Jahrhundert möglich ist, mit Gewalt 'Fragen zu regeln' und Gebietserwerb zu konsolidieren, schafft dies, selbst wenn es mit gewaltigen Kosten verbunden ist, einen gefährlichen Standard. ... Die Beendigung eines Krieges ist unbestreitbar ein Segen, aber sein Anzetteln sollte nicht zur Erfolgsstrategie werden.“
Geopolitisch gefährlich
Wenn stimmt, was von der angeblichen Lösung Trumps bislang durchgesickert ist, wäre das ein weitgehender Bruch mit der bisherigen Politik des Westens, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Einen 'Sieg' der Ukraine wird es unter diesen Umständen nicht mehr geben. Sollte sich Moskau auf einen Waffenstillstand mit diesen Vorgaben einlassen, dann wäre das ohne Frage eine große Erleichterung für die Menschen in der Ukraine und die Soldaten auf beiden Seiten. Geopolitisch aber wäre es aller Voraussicht nach der Beginn einer neuen Phase der Unsicherheit in Europa, weil Russland neue Kräfte tanken und damit kalkulieren könnte, dass eine stark auf Europa reduzierte Nato kein ganz so schwerer Gegner wäre wie bisher.“
Völkerrecht droht niedergetrampelt zu werden
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im estnischen Parlament, Kalev Stoicescu, bedauert die Entwicklungen in Eesti Päevaleht:
„Niemand spricht mehr über Putins Verantwortung. Es wird nicht als notwendig erachtet, Russland Vorbedingungen für die Verhandlungen aufzuerlegen, geschweige denn, Russland für Aggression und Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Die Erfüllung der russischen Vorbedingungen wäre ein brutales Niedertrampeln des Völkerrechts und der Rechte freier Staaten und Völker. ... Das Spiel könnte sich noch ändern, aber Russland hat im Moment allen Grund, optimistisch zu sein.“
Bitte in Erwägung ziehen
La Repubblica rät Europa, sich auf Trumps Ideen einzulassen:
„Die Teilung der Ukraine in zwei durch einen Waffenstillstand geteilte Regionen, wie es 1953 mit Korea entlang des 38. Breitengrades geschah, wird der heikelste Punkt sein. Nicht zuletzt, weil die neue Grenze über 1000 Kilometer lang sein könnte und große Militärkontingente zu ihrer Bewachung benötigt würden, die aus Europa und der Türkei kommen könnten. Auch aus Italien. Daher muss Europa anfangen, mit dem neuen US-Präsidenten zusammenzuarbeiten, anders als bisher. … Kein Zweifel, Trump steht für einen scharfen Bruch mit der Vergangenheit, aber Europas Interesse besteht weiterhin darin, das atlantische Band zu festigen, und das bedeutet, die Herausforderung anzunehmen, gemeinsam einen 'unkonventionellen' Ansatz zu verfolgen, um einen Ausweg aus Konflikten zu finden, für die es bisher keine Lösung gab.“
Neue Erde für Russland, seltene Erden für die USA
Die Ansätze Putins und Trumps passen allzu gut zusammen, beklagt Avvenire:
„Sie werden von Verhandlungen, von Frieden, von neuen Vereinbarungen sprechen. Dahinter verbirgt sich - kaum getarnt - die Beute, die sie beide bereits erahnen: neue Erde für die heilige Mutter Russland (Donezk, Luhansk, Mariupol), seltene Erden – die Juwelen der Zukunftstechnologie wie Lithium, Beryllium, Lanthan, Cer, Neodym und Kohlenwasserstoffe – für Washington: 500 Milliarden im Gegenwert, genug, um die Bilanzen auszugleichen und die Früchte der 174 Milliarden Dollar, die Amerika bisher zur Unterstützung Kyjiws ausgegeben hat, zu ernten. Quid pro quo, nach Trumps merkantilistischer Logik. Quid pro quo, nach Putins Neo-Imperialismus.“
Sorgenfalten von Brüssel bis Peking
Journalist Dmitri Kolesew geht in einem von Echo übernommenen Telegram-Post davon aus, dass ein Trumpscher Friedensdeal vielen globalen Akteuren nicht gefallen wird:
„Trump wird kaum alle Wünsche Putins erfüllen, auch die Position der Ukraine und der EU-Staaten kann nicht außer Acht gelassen werden. Für die Europäer ist beunruhigend, dass Washington im Klartext fordert, die Nato 'neu zu formatieren' und keine Mittel mehr für die europäische Sicherheit auszugeben. Dies ist im Einklang mit dem vermutlichen Traum Wladimir Putins, dass Russland von den USA das Okay erhält, in seiner 'Einflusssphäre' zu agieren, wozu auch die Länder Mittel- und Osteuropas gehören könnten. Interessant wird, wie dabei die chinesische Karte ins Spiel kommt. Die plötzliche Annäherung zwischen Moskau und Washington wird Peking kaum gefallen.“
Adieu Ukraine-Partnerschaft
Der 12. Februar 2025 hat eine bittere Klarheit hervorgebracht, analysiert Le Temps:
„Wird die Ukraine zu den Friedensverhandlungen eingeladen? ... 'Interessante Frage', erlaubte sich Donald Trump zu kommentieren – als hätte er nie darüber nachgedacht. Ebenso forderte er den ukrainischen Präsidenten dazu auf, sich Wahlen zu stellen, ein Klassiker der russischen Propaganda. Wladimir Putin ist schließlich der bestgewählte Diktator der Welt. Es bringt nichts, sich zu fragen, wie ignorant und zynisch Trump ist. Am Abend dieses 12. Februar 2025 muss man sich einer beunruhigenden Offensichtlichkeit stellen: Die Ukraine und ihre europäischen Verbündeten können nicht mehr auf die USA zählen.“
Folge wiederholten europäischen Versagens
Europa darf nicht jammern, wenn Trump nun die Zügel in die Hand nimmt, meint The Daily Telegraph:
„Zweifellos werden einige Hauptstädte mit Empörung auf die Aussicht reagieren, dass die Zukunft ihres Kontinents ohne ihre direkte Beteiligung entschieden wird. ... Aber die Staats- und Regierungschefs, die es trotz wiederholter Warnungen versäumt haben, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, können jetzt kaum Einwände erheben. Die Lehre, dass Europa die Verantwortung für seine eigene Verteidigung übernehmen muss, hätte schon gezogen werden müssen, als Barack Obama seine roten Linien in Syrien nicht einhielt. ... Dass dies nicht geschehen ist, zeugt eher vom wiederholten Versagen Europas als von einer besonderen Niedertracht Washingtons.“