Was bedeutet der Eklat im Weißen Haus?
US-Präsident Trump und sein ukrainischer Amtskollege Selenskyj haben sich am Freitag vor laufenden Kameras im Weißen Haus einen Schlagabtausch über Russlands Krieg gegen die Ukraine geliefert. Trump und sein Vize Vance forderten von Selenskyj mehr Kompromissbereitschaft für ein Abkommen und mehr Dankbarkeit für die US-Unterstützung. Selenskyj betonte, es sei Russland, das Verträge breche. Kommentatoren sehen eine Zäsur.
Kyjiws Kapitulation ist das Ziel
Hotnews ärgert sich über die Vorwürfe Trumps an Selenskyj:
„Die Ukraine wurde beschuldigt, sie könnte einen dritten Weltkrieg vom Zaun brechen. Nicht das Land, das Nuklearwaffen besitzt, das häufig mit einem solchen Krieg droht, das die Ukraine angegriffen hat und das Gemetzel jederzeit beenden könnte, indem es die Invasion einfach stoppt. Die Ukraine wird beschuldigt, dass sie sich verteidigt und den Preis von Zehntausenden Menschenleben dafür bezahlt hat. ... Was Trump und J. D. Vance im Wesentlichen vorgeschlagen haben, ist, dass Kyjiw den Mund halten und die Bedingungen einer Kapitulation schlucken sollte. Selenskyj hätte dasselbe auch im Kreml zu hören bekommen.“
Freiheit und Anstand in die Tonne getreten
Einen eklatanten moralischen Abstieg konstatiert Seznam Zprávy:
„US-Präsident Donald Trump beschimpfte Wolodymyr Selenskyj, den Anführer der angegriffenen Ukraine, vor erstaunten Journalisten wie einen kriminellen Schuljungen. Vizepräsident J.D. Vance unterstützte seinen Herrn hingebungsvoll gegen jenen Politiker, der sich über Jahre tapfer der brutalen Invasion des faschistischen russischen Reiches widersetzt hat. Offensichtlich ändern sich die Regeln. Zum Schlechten für Demokratie und Freiheit. Es gilt nicht mehr das Gesetz, sondern nur noch Gewalt. Anstand ist eine überholte Schwäche. Jetzt herrschen Gangster und machttrunkene Egomanen, die über das Überleben anderer entscheiden.“
Übertriebene Anspruchshaltung hat sich gerächt
wPolityce.pl kritisiert das Verhalten Selenskyjs:
„Er nahm eine Anspruchshaltung ein, vermutlich um in den Augen der Welt als heldenhafter Anführer zu erscheinen, der sich gegen Trump durchzusetzen vermag. Und er merkte nicht einmal, wie er es übertrieb. Er beleidigte nicht nur seine Gastgeber, sondern alle, die den Ukrainern aufopferungsvolle Hilfe leisten. Die Aussage 'Die Ukraine ist allein' sagt alles über Selenskyjs Vorgehen aus. In einer solchen Atmosphäre die Verhandlungen abzubrechen, zeugt von großer Unreife. Ist es das, was die Ukrainer wollen?“
Fragen über Fragen
Blogger Serhij Fursa zeigt sich in einem von NV übernommenen Facebook-Post empört über Trump und Vance:
„Was wollten sie beweisen? Dass die Ukraine schwach ist und alle Bedingungen Putins akzeptieren muss? Warum fand dieses Treffen dann im Weißen Haus und nicht im Kreml statt? ... War der Versuch, Selenskyj zum Schweigen und Dulden zu zwingen, etwa nur das Vorspiel für die Forderung, die von Putin geforderte Kapitulation hinzunehmen? Oder verstehen wir einfach Trumps Verhandlungsstrategie nicht? Hat er denn eine? Oder haben die brillanten Unterhändler aus Washington vielleicht erkannt, dass ihre Verhandlungsstrategie nicht funktioniert, und beschlossen einfach, die Schuld auf die Ukraine zu schieben?“
Putins Sieg live im Fernsehen
Russlands Präsident konnte sich angesichts des Spektakels die Hände reiben, klagt La Stampa:
„Putin hat gestern die Bestätigung für die Tauglichkeit seines 'Sonderwegs' bekommen. Jetzt weiß er, dass er mit dem Amerikaner, der dasselbe Alphabet und dieselbe Sprache wie er benutzt, in aller Ruhe das ersehnte Jalta [Siegerkonferenz 1945] vorbereiten kann: Die Welt wird von den drei, vier Herrschern regiert, die die Macht haben. Es gibt keinen Platz für diejenigen, die sich die unverfrorene Gewohnheit zugelegt haben, selbst zu denken, ohne ihre aggressiven Gewissensdirektoren zu konsultieren. Putin hat seinen Sieg live im Fernsehen gesehen.“
Häme gegenüber Amerika fehl am Platze
Der ukrainische Filmregisseur Olexandr Rodnjanskyj zeigt sich in einem von Echo übernommenen Telegram-Post entsetzt darüber, wie in der Ukraine nun über die USA geschimpft wird:
„Die Gewohnheit in der ukrainischen Politik, in der ein scharfes Wort weit mehr geschätzt wird als das Endergebnis, hat sich durchgesetzt. Die Ukrainer schütteten so viel Hass über ihrem strategischen Verbündeten aus, der unser Land mit politischen Mitteln, Finanzhilfe und militärischen Lieferungen unterstützt hat, dass Russlands Propagandisten, die seit Jahren darin geübt sind, die USA aller Todsünden zu bezichtigen, in ohnmächtigem Neid erstarrten. Nun wird der Krieg weitergehen, aber ohne Amerika. ... Hoffen wir auf ein Wunder: dass die Verhandlungen mit der US-Führung wieder aufgenommen werden.“