EU-Türkei-Deal hält Migranten nicht auf
Seit Sonntag gilt das Abkommen zwischen der EU und Ankara, wonach illegal aus der Türkei eingereiste Flüchtlinge dorthin zurückgebracht werden können. Trotzdem kommen noch täglich hunderte Migranten über das Meer nach Griechenland. Der Deal kann die ungeregelte Flucht nach Europa beenden, glauben einige Kommentatoren. Andere prophezeien, dass sich die Menschen andere Routen suchen werden.
Flüchtlinge müssen nahe ihrer Heimat bleiben
Der EU-Türkei-Deal ist zu begrüßen, gerade auch im Hinblick auf die Zeit nach dem Krieg in Syrien, meint der jordanische Journalist und Dichter Amjad Nasser in der in London erscheinenden katarischen Tageszeitung Al-Arabi Al-Jadid:
„Für die Türkei bedeutet diese Vereinbarung neue EU-Beitrittsverhandlungen und Milliarden an Hilfen aus Europa. ... Trotzdem sehen wir diese Abmachung (ungeachtet der Absichten der verschiedenen Verhandlungspartner), die die Flüchtlinge aus Europa in die Türkei zurückbringen soll, positiv. Denn das Prinzip der 'offenen Türen' ist keine Lösung, auch wenn das hart klingen mag. Es würde bedeuten, dass noch mehr junge Syrer ihr Land verlassen werden. Flüchtlinge, die in der Türkei, Jordanien oder Libanon Zuflucht suchen, werden sehr wahrscheinlich in ihre Heimat zurückkehren, wenn die Waffen schweigen und die politische Übergangsphase beginnt. Aber diejenigen, die in Europa ankommen und sich dort niederlassen, werden nur schwerlich den Weg zurück finden.“
Griechenland kann diese Last nicht tragen
Das Abkommen der EU mit der Türkei sieht unter anderem vor, dass 2.300 Asylexperten aus anderen EU-Ländern nach Griechenland kommen. Für die liberale Onlinezeitung To Vima ein Zeichen, dass das Land einfach überfordert ist:
„Griechenland verwandelt sich in ein modernes Ellis Island, sagte ein europäischer Beamter. ... Mit unzureichender Infrastruktur und keinem effizienten öffentlichen Dienst warten wir auf die Hilfe von Mitarbeitern der europäischen Länder, die kontrollieren sollen, ob und wann das Austauschsystem mit der Türkei funktionieren wird. ... Die beeindruckende bisherige Solidarität der griechischen Bürger gegenüber den Flüchtlingen kann natürlich nicht die Probleme derjenigen lösen, die in unserem Land bleiben. Vor allem, weil viele von ihnen sich weigern, in den Lagern auszuharren, die im ganzen Land unter unzureichenden Bedingungen geschaffen wurden.“
EU-Planlosigkeit macht Flüchtlinge zu Opfern
Der Flüchtlingsdeal offenbart erneut die Unfähigkeit der EU, langfristig und effizient zu handeln, kritisiert die linksliberale Tageszeitung Le Quotidien:
„Das Abkommen versperrt den Flüchtlingen die Route über die Ägäis. Sie werden jedoch andere Strecken finden, die für sie gefährlicher und für die Schlepper lukrativer sind. ... Doch angesichts der unkontrollierbar gewordenen Situation ergreift die EU wie gewohnt nur Notfallmaßnahmen. Europa hat keinen langfristigen Plan und unternimmt keine Anstrengungen, um den Flüchtlingen zu zeigen, dass sie auch in ihrer Heimat eine Zukunft haben können. Damit zeigt der Kontinent der Welt ganz ungehemmt, wo er an seine Grenzen stößt. Die Flüchtlinge werden nun in die Türkei zurückgeschickt - als ob das etwas an ihrem Vorhaben ändern würde, um jeden Preis den besseren Perspektiven näherzukommen, die ihnen Europa vor nicht einmal einem Jahr in den schillerndsten Farben ausgemalt hat.“
Flüchtlinge werden wieder über Libyen kommen
Sollte die Türkei die Durchreise von Migranten nach Europa verhindern, könnten diese nach Nordafrika ausweichen, warnt die liberal-konservative Tageszeitung The Malta Independent:
„Maltas Premier Joseph Muscat hat darauf hingewiesen, dass die Route via Libyen zuletzt nicht stark genutzt worden sei. Doch das könne sich augenblicklich ändern, und Europa dürfe sich nicht wieder überrumpeln lassen. … Wenn die Türkei nun die Fluchtmöglichkeiten von ihrem Territorium stark einschränkt, könnten wir wieder Zeugen eines Paradigmenwechsels Richtung Nordafrika werden. Dabei werden die stark zurückgehenden Ölverkäufe der IS-Milizen zu wenig berücksichtigt. Der IS wird nämlich andere Einnahmequellen finden müssen. Das könnte durchaus der Menschenhandel sein. Und der kann ein äußerst profitables Geschäft sein. Wir alle wissen, dass die IS-Miliz dazu fähig ist.“
Merkel ist Durchbruch gelungen
Das Abkommen Europas mit der Türkei hat das Potenzial, die ungeregelte Flucht in eine legale Migration zu verwandeln, meint die liberale Tageszeitung Sme:
„Das ist nichts weniger als Angela Merkels strategisches Ziel und der Grundstein einer 'europäischen Lösung', von der sie die deutsche Öffentlichkeit überzeugt hat. Die Vereinbarung, wonach die Türkei alle Illegalen zurücknimmt, ist ein Durchbruch, weil es damit unsinnig wird, die Fahrt über die Ägäis zu riskieren und die Schmuggler zu bezahlen. … Hut ab! Bleibt die große Frage, ob Griechenland die nicht leichte Rückführung beherrschen wird. Sicher ist, dass Flüchtlinge nach alternativen Routen suchen werden, die gefährlicher sind. Der Pakt mit der Türkei beendet also die Krise noch nicht. Fakt aber ist, dass Merkel mit dem Deal ihren klinischen Tod verhindert hat.“
Abkommen kann Flüchtlingskrise beenden
Wenn das EU-Türkei-Abkommen in allen Punkten umgesetzt wird, könnte es der Anfang vom Ende der Flüchtlingskrise in Europa sein, kommentiert die konservative Wirtschaftszeitung Naftemporiki:
„Wichtig ist, dass die Flüchtlinge erkennen, dass es keine Aussicht auf Asyl in der EU gibt und die unberechenbare Reise über das Meer nach Griechenland nicht mehr riskieren. … Damit Ankara den Flüchtlingsstrom nach Europa stoppen kann, muss das Sicherheitssystem des Landes neu definiert werden und das hoch profitable Geschäft der Schlepper zerschlagen werden. … Damit Griechenland in der Lage ist, auf den Inseln ankommende Flüchtlinge zu überprüfen und in die Türkei zurückzuschicken, muss das Asylsystem verändert werden, obwohl es noch keine ausreichenden Ressourcen und Unterstützung seitens der EU gibt.“
Europa nicht mehr wiederzuerkennen
Schwer angeschlagen sieht die linksliberale Tageszeitung Libération die Europäische Union nach dem Deal mit der Türkei:
„Die Union wird - wie es sich die osteuropäischen Staaten gewünscht haben - zu einer für Wirtschaftsmigranten und Flüchtlinge unzugänglichen Festung. Letztere werden gebeten, in der Nähe des Landes zu bleiben, aus dem sie fliehen. Vom deutsch-französischen Tandem ist keine Spur mehr geblieben, denn Berlin ist nunmehr die einzige Macht, die in Europa zählt. Diese Führungsrolle ist jedoch für viele Länder auf kurze Frist gesehen inakzeptabel. Zudem wurden die Gemeinschaftsinstitutionen (Kommission und Rat) umgangen, so dass man sich fragt, wozu diese eigentlich noch dienen. Die Türkei hat im Gegenzug zu ihrer neuen Rolle als Grenzschützerin von den Europäern einen Blankoscheck erhalten.“
Kaum Chance auf legale Einreise
Der Flüchtlingspakt zwischen EU und Türkei gibt zu wenigen Syrern die Chance auf eine legale Einreise, kritisiert die linksliberale Tageszeitung Der Standard:
„Wörtlich ist davon die Rede, dass die große Syrer-Umtauschaktion nur 'bis zu einer Obergrenze von 72.000 machbar' sei. ... Sollten mehr als 72.000 'irregulär' flüchten, wird auf 'freiwilliger Basis' umgesiedelt. Damit das überhaupt möglich wird, müssen Griechenland und die Türkei erst ihre Gesetze anpassen, damit die Türkei als sicheres Land für Flüchtlinge gelten kann. Was wurde über Obergrenzen, Limits, Zielgrößen zur Steuerung von Migrantenströmen nicht alles gesagt und gestritten. Die Kommission drohte Österreich sogar ein Verfahren an. Nun setzt sie juristische Finten ein, um die Doppelmoral in der EU-Migrationspolitik zu umschiffen. Ehrlicher wäre es zu sagen: Ohne Limits geht’s nicht, aber wir nehmen so viele Syrienflüchtlinge wie möglich. 72.000 ist bei 500 Millionen EU-Bürgern eher eine Untergrenze.“
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