Covid-19 und die Wirtschaft: Fluch und Segen?
Das Coronavirus breitet sich immer weiter aus. In Italien sind mittlerweile mehr als 320 Fälle registriert. Viele Beobachter fürchten, dass die Epidemie durch Produktionsausfälle, gestörte Lieferketten und einen Rückgang des Konsums auch große wirtschaftliche Schäden anrichtet. Andere wittern inmitten der Bedrohung Entwicklungschancen.
Die Ökonomie unter Quarantäne
Nicht nur in China erinnern die Maßnahmen der Politik ans Kriegsrecht, kritisiert der Kurier:
„Der französische Wirtschafts- und Finanzminister Le Maire bezeichnete die Seuche am Dienstag pathetisch als 'Game-Changer für die Globalisierung'. Doch genau da liegt das Problem. Die Frage ist nämlich, ob nicht die Politik ihre Spielregeln ändern müsste. Denn das Virus hat das Politbüro in Peking offensichtlich genauso am linken Fuß erwischt wie die Staatskanzleien in Europa. Sichtbarstes Zeichen dieser Ohnmacht sind Maßnahmen, die mehr oder minder an jene des Kriegsrechts erinnern. Genau diese Maßnahmen aber sind es, die für die globale Weltwirtschaft eine weitaus größere Gefahr darstellen als das Virus an sich. Die Ökonomie wird mit Werksschließungen und Ausgangssperren unter Quarantäne gesetzt.“
Schadensumme könnte eine Billion Dollar übersteigen
Das Virus wird enorme Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben - aber welche, ist nur scheinbar klar, argumentiert Jutarnji list:
„Oxford Economics, eines der führenden Institute für ökonomische Prognosen, warnte, dass eine mögliche Pandemie zu einer Verringerung des jährlichen globalen Wirtschaftswachstums um 1,3 Prozentpunkte führen könnte, was 1,1 Billionen Dollar (tausend Milliarden) an verlorenen Einnahmen entspricht. Doch alle Prognosen bleiben so lange Spekulationen, bis man wirklich feststellt, welche negativen Folgen auf die menschliche Gesundheit dieses Virus hat, und wie der Markt reagiert. Die Kurse an asiatischen und europäischen Börsen sanken gestern weiter, während die drei amerikanischen Hauptindizes während des Verfassens dieses Textes ein leichtes Plus verzeichneten.“
Weniger Waren-Wahnsinn
Auch die Einschränkungen, die der Corona-Ausbruch mit sich bringt, könnten durchaus positive Nebeneffekte haben, so die Überlegung von De Standaard:
„Es ergibt keinen Sinn, unüberlegt Barrieren zu errichten, die unnötig die Zirkulation von Waren in der Europäischen Union behindern. Aber vielleicht bringt all dies auch Vorteile mit sich. Die ersten Bilder von leeren Regalen in Kaufhäusern kursieren bereits. Noch bevor wirklich die Rede von Lieferproblemen ist, werfen sie die Frage nach dem Sinn unserer Distributionssysteme auf. Vielleicht wird deutlich, dass wir eigentlich mit weniger auskommen können. Weniger Waren, weniger Auswahl, weniger Lastwagen auf der Straße. Als Übung für die andere Bedrohung, die Klimakrise, erweist uns das Virus eigentlich einen Dienst.“
Booster fürs unternehmerische Denken
Auch Verslo žinios hält positive Auswirkungen der Epidemie für möglich:
„Diese Situation wird hoffentlich auch ungeahnte Möglichkeiten eröffnen - für neue Lieferanten, neue Kunden und neue Verträge. Internationale Unternehmen sind bereit, einen Teil ihrer Bestellungen nun in Europa aufzugeben. ... Unternehmer geraten nicht in Panik und suchen nach Auswegen, auch wenn die Stimmung angespannt ist und die Auswirkungen auf die Wirtschaft noch unklar sind. ... Sie sehen sogar positive Folgen dieser Krise: Sie haben gelernt, besser zu planen, flexibel auf spontane Veränderungen zu reagieren und sich anzupassen.“
Geißel und Goldgrube
Ob hinter der Corona-Panik nicht auch ein profitables Geschäft steckt, fragt sich Večer:
„Vor zehn Jahren rügte der Europarat, dass die Länder wegen der damals von der WHO zu Unrecht zur Pandemie erklärten Schweinegrippe Milliarden von Steuergeldern für letztlich nicht benötigte Impfmittel ausgaben. Das Gleiche geschah 2006 aus Panik vor der Vogelgrippe. Wie es am Ende beim Coronavirus gewesen sein wird, werden wir erst wissen, wenn niemand mehr von ihm spricht. Schon jetzt aber ist klar, dass Hersteller von Atemschutzmasken und Grundnahrungsmitteln Profite, andere Branchen aber Verluste machen werden. Viren, die plötzlich auftauchen und sich auf der Welt ausbreiten, scheinen im modernen Kapitalismus ein neuer Auslöser von Wirtschaftskrisen und ein Anlass zum Melken der Steuerzahler zu sein.“
Jetzt muss Stabilität erkauft werden
In Kommersant sieht Alexander Gabujew, China-Experte am Carnegie Moscow Center, das Land wegen der Epidemie in eine handfeste Krise rutschen:
„Zusätzliche Quarantänewochen würden nicht nur die Nachfrage nach Öl und das Transportvolumen im Inland weiter sinken lassen - letzteres ist schon um 20 Prozent zurückgegangen -, sondern sie wären auch ein heftiger Schlag für die Geschäftswelt und die Haushalte. Die Neujahrsferien wurden bis 10. Februar verlängert, könnten sich aber mit der Quarantäne weiter hinziehen. Umfragen sagen, dass der Liquiditätspuffer des chinesischen Mittelstandes es maximal ermöglicht, die Mitarbeiter noch ein, zwei Monate zu bezahlen. Einige Firmen schicken ihre Leute schon in unbezahlten Urlaub. Um soziale Unruhen zu vermeiden, könnten bislang nicht dagewesene staatliche Direkthilfen auf allen Ebenen nötig werden.“
Demokratien sind resistenter
Dass das Virus letztlich auch politische Folgen haben könnte, glaubt Helsingin Sanomat:
„Reisebeschränkungen, das Schließen von Fabriken und die Angst der Verbraucher führen zu größeren wirtschaftlichen Verlusten als ihrerzeit die Sars-Epidemie. Die aktuellen Maßnahmen, um die Epidemie einzugrenzen, verursachen vermutlich größere wirtschaftliche Schäden als die Epidemie selbst. … Wirtschaft beruht auf Vertrauen. Das Vertrauen in die Kommunistische Partei, einen stabilen Lebensstandard zu garantieren, hat einen Schlag erlitten. Ein-Parteien-Systeme verkraften Risse in der Fassade schlechter als Demokratien. In einer Demokratie bedeutet eine Epidemie eine Bedrohung für die Volksgesundheit, in autoritären Systemen bedroht diese auch das Machtsystem.“
Chinas Tschernobyl
Noch konkreter wird Le Figaro:
„Die durch Xis absolute Macht terrorisierten Beamten haben sich nicht getraut, die schlechte Nachricht des Virus zu überbringen. Ist dieses für viele Chinesen tödliche Geheimnis auch für die allmächtige Kommunistische Partei Chinas fatal? Michail Gorbatschow sieht den 'wahren Auslöser' des Zerfalls der UdSSR im Nachhinein in der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl, die sich sechs Jahre zuvor ereignet hatte … Anstatt Rechenschaft abzulegen, verstärkt Peking im Namen der 'Stabilität' reflexartig die Zensur. Die Angelegenheit könnte das Aus für das 'chinesische Modell' bedeuten, das sich dank seines unverschämten Wirtschaftswachstums als Alternative zum US-Einfluss exportieren wollte. Wer möchte sich nunmehr ein Beispiel am Fiasko um das Coronavirus nehmen?“
Wehe, wenn die Chinesen nicht mehr reisen...
Novi list weist auf die zahlreichen Verflechtungen der europäischen Wirtschaft mit China hin:
„Die Epidemie wird nicht nur das Wachstum der chinesischen Wirtschaft beschneiden, sondern auch globale Versorgungswege betreffen, die zu einem Großteil in China zusammenlaufen. Auf das Land entfallen 28 Prozent der weltweiten Industrieproduktion. China hat das größte Handelsvolumen der Welt, größer als das der USA. ... Auch Reise- und Tourismusunternehmen weltweit, in Europa wie zum Teil auch in Kroatien, könnten finanziellen Schaden erleiden, weil Bürger, die sich vor einer Ausbreitung der Ansteckung fürchten, weniger reisen. Die meisten Touristen der Welt sind Chinesen, die laut Daten der Weltorganisation für Tourismus 260 Milliarden Dollar jährlich im Ausland ausgeben; doppelt so viel wie die US-amerikanischen.“
Europa muss sich auch ökonomisch wappnen
Über Europas Passivität wundert sich Cinco Días:
„Es wäre logisch, anzunehmen, dass die Maßnahmen, die bislang den Personenverkehr einschränken, auch auf den Warentransport ausgeweitet werden, was dem internationalen Handel einen Schlag versetzen würde, der weit über die Effekte für den Tourismus hinausginge. ... Angesichts dieser Risiken verhalten sich die Regierungen überraschend passiv und keine einzige hat bisher Schritte angekündigt, um mögliche wirtschaftliche Folgen des Coronavirus zu lindern. Die bei anderen Themen recht agile Eurogruppe hat sich nicht einmal getroffen.“