Covid-Impfung: Was tun mit den Skeptikern?
Nach dem Anlaufen der Impfkampagnen in der EU beschäftigt nicht nur deren träges Tempo die Presse. Auch die vielerorts mangelnde Impfbereitschaft bietet Diskussionsstoff. Laut einer Ipsos-Studie wollen sich in den EU-Staaten teils deutlich weniger Menschen gegen Covid-19 impfen lassen als in anderen Weltregionen. Kommentatoren überlegen, wie damit umzugehen ist.
Aufklärung, jetzt!
Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn sich das Pflegepersonal nicht impfen lassen will, meint Die Presse:
„In heimischen wie in deutschen Senioren- und Pflegeheimen gibt es ein Problem mit der Impfbereitschaft. Und zwar nicht bei den Bewohnern, sondern den Mitarbeitern. Dabei geht es nicht nur um Schutz der Alten, sondern auch darum, dass das knappe Pflegepersonal nicht durch Quarantäne ausfallen sollte - sowie um ein gefährliches Signal: Wenn Leute, die es besser wissen sollten, sich nicht impfen lassen wollen, was sagt das dem Rest? Aus den Altenheimen heißt es: Es sei zu wenig Zeit für Aufklärung gewesen. Zumindest das darf in einem Land, wo alles eher langsam geht, nicht passieren. Und daraus sollte man Lehren ziehen. Am besten jetzt.“
Kein Unterschied zu Tetanus, Polio und Hepatitis
Diena versteht nicht, dass alle betonen, dass die Impfung freiwillig ist:
„Warum? Weil die Regierung das Thema mit demokratischen Werten in Verbindung bringt. Dann muss man jedoch sagen: Hört auf, Euch etwas vorzumachen! Warum ist die Impfung gegen Tuberkulose, Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Polio, Masern, Hepatitis B, Windpocken, Pneumokokken und Rotaviren für verschiedene Personengruppen nach den Impfbestimmungen nicht freiwillig? Oder möchte jemand nach all dem, was in der Welt in den letzten Monaten passiert ist, sagen, dass Covid-19 nicht den oben genannten Krankheiten zugeordnet werden sollte?“
Hinterfragen darf nicht stigmatisiert werden
Aus der Debatte um die Impfung darf kein Glaubenskampf werden, warnt Journalist Péter Juhász in Azonnali:
„Auch diejenigen, die grundsätzlich dagegen sind, die Corona-Impfung zur Pflicht zu machen, sind meiner Beobachtung nach meist der Auffassung, dass den Impfstoffen eine entscheidende Bedeutung in der Pandemiebekämpfung zukommt. ... Es kann der öffentlichen politischen Diskussion schaden, wenn ein Autor, der für die Impfpflicht ist, diejenigen, die hier eine andere Meinung haben, als Anhänger eines 'Aberglaubens' oder 'irrer Ideen über Chemtrails, implantierte Chips und Ähnlichem' darstellt.“
Nennt die Dinge beim Namen!
AbrilAbril bemängelt, dass die Menschen in der Debatte darüber, ob Impfungen obligatorisch sein sollen, getäuscht werden:
„Die Realität macht den normalen Bürger, der sich nach Immunität sehnt, zum Versuchskaninchen. Aber er ist sich dieses Umstands nicht bewusst, weil er ihm nicht offen und transparent ausgesetzt ist. ... Die Regierungen versichern, dass Impfstoffe nicht obligatorisch sind. In Spanien werden allerdings Bürger, die sich nicht impfen lassen, in einem Regierungsregister erfasst, das an alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union verteilt wird. ... Auch nicht neu sind offizielle und inoffizielle Mutmaßungen über die Einführung obligatorischer 'Impfbescheinigungen'. ... Offenbar wird an Wegen gearbeitet, um verbindlich zu machen, was nach offiziellem Diskurs nicht zwingend ist.“
Auch Berichterstattung hat Nebenwirkungen
Unsachliche Medienberichte über gesundheitliche Komplikationen nach einer Impfung können Skeptikern Auftrieb geben, warnt thejournal.ie:
„Es ist klar, dass es nicht nur um reine Desinformation geht. Bei vielen Menschen herrschen - zu Recht oder zu Unrecht - Bedenken oder Verwirrung vor, was die wissenschaftlichen Hintergründe angeht. Und dem muss man sich stellen. Es ist auch wichtig, dass sich Journalisten Gedanken darüber machen, wie sie über Impfstoffe berichten, insbesondere über angebliche Nebenwirkungen oder gesundheitliche Komplikationen. Die Bewegung der Impfgegner wird solche Berichte ausnutzen, selbst wenn es keinen nachgewiesenen Zusammenhang mit der Impfung gibt. Behauptungen dieser Art brachten bereits den HPV-Impfstoff schwer in Verruf.“
Selbst Stars wird man nicht glauben
Die rumänische Tennisspielerin Simona Halep hat erklärt, dass sie sich impfen lassen will. Die Skepsis der Bevölkerung wird sie damit kaum brechen, befürchtet die Sportzeitung Gazeta Sporturilor:
„Zusammen mit Simona leben wir in einem Land, in dem fast 70 Prozent der Bürger den Impfstoff verweigern oder ihm gegenüber zumindest skeptisch sind. Das ist perfekt demokratisch. Wie es genauso demokratisch ist, den geringsten Konsum an Seife und Zahnpasta pro Kopf in der EU zu haben. Von Deodorant nicht zu sprechen. … Hier in diesem Land wird Simonas Ankündigung nicht unbeobachtet bleiben. Die wichtigste Sportlerin, die Rumänien hat, wird mit Argwohn betrachtet werden, als Teil des Systems, als interessanter Teil einer weltweiten Verschwörungstheorie.“
Impfstoffe live im Fernsehen analysieren
Der Journalist Sandris Točs erklärt auf seinem Blog, wie wichtig es ist, die Gesellschaft angemessen zu informieren:
„Im Fernsehen sollte nicht die Gesundheitsministerin oder der Chefepidemiologe, sondern ein Arzt auftreten und den Impfstoff für Covid analysieren. Mit Nebenwirkungen und positiven Wirkungen. Damit die Zuschauer live ihre Fragen stellen können. Ohne zeitliche Begrenzung im lettischen TV, was von unserem Steuergeld finanziert wird. Der Lette will eine tiefe und umfassende Analyse hören. Und erst dann entscheidet er sich, ob er sich impfen lässt oder nicht. Dann werden alle Menschen auch die Einschränkungen anders behandeln.“
Kein zweites 2009
Auch im sonst so impffreudigen Schweden bröckelt der Wille, sich immunisieren zu lassen. Das liegt vor allem an dem Skandal vor zehn Jahren, als im Zuge der Impfung gegen die Schweinegrippe hunderte junge Menschen an Narkolepsie erkrankten, stellt Sydsvenskan fest - erinnert aber daran, dass sich die Umstände geändert haben:
„Der Skandal vor zehn Jahren, mit dem fortgesetzten Leiden der Menschen, ist nicht unbemerkt passiert. Der Pandemiebereitschaftsplan der Gesundheitsbehörde betont wichtige Lehren von der Massenimpfung 2009. Heutzutage sind die Anforderungen an das Vakzin strenger und Berichte über eventuelle Nebenwirkungen werden ständig aktualisiert. Der Vorteil davon, dass die Impfstoffe gegen Covid-19 in Etappen geliefert werden, ist, dass eventuelle Nebenwirkungen entdeckt und die Impfung im schlimmsten Fall abgebrochen werden kann, noch bevor die gesamte Bevölkerung geimpft wird.“
Warum die Skepsis verständlich ist
Dass so viele Menschen Vakzine kritisch sehen, hat für The Guardian nachvollziehbare Gründe:
„Es ist wahr, dass große Pharmaunternehmen oft wenig Skrupel haben, dass Regierungen nicht immer die richtigen Entscheidungen für das Leben der Menschen treffen und dass medizinisches Personal berechtigte Sorgen manchmal nicht ernst nimmt. Und es stimmt auch, dass Impfstoffe nicht ganz ohne Risiko sind. In den USA, mit ihrer schrecklichen Geschichte von weißen Wissenschaftlern, die ohne deren Zustimmung mit Schwarzen experimentiert haben, in den USA, wo es eine anhaltende Rassendiskriminierung im Gesundheitswesen gibt, sagen Afroamerikaner viel seltener als Weiße, dass sie einen Covid-19-Impfstoff nehmen würden, obwohl die Wahrscheinlichkeit, an der Krankheit zu sterben, doppelt so hoch ist.“
Impfnachweise verlangen
Angesichts aktueller Umfragen, wonach sich nur rund die Hälfte der Franzosen sicher gegen Covid-19 impfen lassen wollen, gibt es für Les Echos nur eine Lösung:
„Beruht die Impfung auf Freiwilligkeit, kann man darauf wetten, dass wir auch Weihnachten 2021 im Lockdown zu Hause verbringen werden. Die gesundheitliche wie wirtschaftliche Notlage verlangt nach der Ausstellung eines Covid-19-Impfbelegs - ein einfacher QR-Code -, der es erlaubt, in Krankenhäusern oder Pflegeheimen mit gefährdeten Personen zu arbeiten. ... Und von jedem von uns muss man zur Teilnahme an sozialen und gemeinschaftlichen Aktivitäten einen solchen Nachweis verlangen: Sport, Zug- und Flugreisen, Kino-, Stadion-, Uni- oder Altenheimbesuche. ... Andernfalls lassen wir uns die riesige Chance entgehen, die uns die Wissenschaft bietet.“
Bitte kein Stigma für Nicht-Geimpfte
Der Kurier befürchtet, dass Impfverweigerern massive Einschränkungen auferlegt werden:
„Ein großer Teil der Bürger will sich nicht sofort impfen lassen. Diese Meinung ist zu respektieren. Es gibt grundsätzlich Impfgegner, viele haben Angst, dass der schnell entwickelte und zugelassene Stoff gefährlich ist. Tatsächlich ist die RNA-Impfung, die nun als eine der aussichtsreichsten gilt, noch nie angewendet worden. Die meisten Experten halten sie für unbedenklich. ... Was nun aber kommen könnte, ist eine Impfpflicht durch die Hintertür. Dass wir nur mehr mit gültigem Impfpass ein Flugzeug besteigen, Massen-Events besuchen oder in Diskotheken tanzen dürfen. ... Dass die Menschen eingeteilt werden in Geimpfte und Verweigerer. Fehlt nur noch ein außen getragenes, sichtbares Zeichen. Nein, danke.“
Lasst uns unsere Bürgerpflicht erfüllen
eldiario.es schickt den Impfskeptikern eine eindeutige Botschaft:
„Wir dachten, das Problem wäre das Drängeln und Schubsen in den Schlangen, dass jeder der Erste sein wollte ... . Und jetzt, oh Wunder, sind plötzlich 40 Prozent der Spanier skeptisch. Was ist mit dieser Gesellschaft passiert? Gemäß dem Plan der Regierung werden die Zögerer zusehen können, wie Hunderttausende Alte zuerst hingehen. Die, die uns über die Nachkriegszeit gebracht haben, werden sich stolz und erleichtert schützen und ihre Bürgerpflicht erfüllen. Die Impfung ist nicht nur eine persönliche Entscheidung. ... Sie ist auch ein großer, wunderschöner Akt der Menschheit, die sich um ihr gemeinsames Wohl sorgt. ... Lasst uns das jetzt zu Ende bringen, den Arm ausstrecken und die Nadel spüren, damit wir uns wieder umarmen können.“
Es werden zu wenige Fragen gestellt
Das Tempo, in dem jetzt Corona-Impfstoffe auf den Markt kommen, sollte man gründlich hinterfragen, findet Sözcü:
„In weniger als einem Jahr wurde eine Impfung gefunden und der Verkauf gestartet! ... Bis vergangenes Jahr dauerten ähnliche Medikamentenentwicklung mindestens zehn Jahre. ... Also los Kinder, auf zur Impfung! Außer einer Handvoll Menschen weltweit stellt niemand die Impfung in Frage, und diese werden als verrückt betrachtet. Mit dem Wort 'Wissenschaftsfeindlichkeit' wird die Medizin unanfechtbar gemacht. ... Es ist unabdingbar, die ökonomische Dimension von Gesundheit und Medizin zu kennen.“