Cop26: Werden den Worten Taten folgen?
Zum Auftakt der 26. Weltklimakonferenz in Glasgow waren von den Staats- und Regierungsschefs vor allem eindringliche Appelle zu hören. Die USA versprachen, ihre Klimaziele einzuhalten. Deutschland sprach sich für eine globale CO2-Bepreisung aus. Indien gab an, bis 2070 klimaneutral werden zu wollen. Für Europas Presse ist klar, dass die Zeit für Absichtserklärungen nun abgelaufen ist.
Der Klimakampf hat begonnen
Indiens Ankündigung ist eine Ohrfeige für den Westen, erklärt La Repubblica:
„Es wäre zu einfach, das als Äußerung eines nationalistischen Führers abzutun, der im eigenen Land punkten will, indem er Europa und Amerika anprangert. ... Modis Worte sind nämlich auch das Resultat einer Strategie, die ihre Wurzeln in jahrhundertelangen, blutigen, gewaltsamen und nie gelösten Spannungen zwischen den neuen Wirtschaftsmächten des Ostens und ihren ehemaligen Kolonialherren hat. Mit der Ankündigung von Glasgow stellte sich der Premierminister eines Subkontinents mit 1,3 Milliarden Einwohnern an die Spitze des aufstrebenden Blocks in einem Klimakampf, in dem die Entwicklungsländer den Westen als heuchlerisch betrachten.“
Wir brauchen harte Zahlen
Die Journalistin Efi Triiri schreibt in Naftemporiki:
„Die bisherigen Anstrengungen sind nicht ausreichend. Es braucht detaillierte Pläne zur Emissionsreduzierung und Jahresberichte aller Konzerne und gleichzeitig eine Reform des Finanzsystems mit kontinuierlichen Bewertungen der Bankbestände, Transparenz und Haftung. Hunderte Billionen Dollar an Finanzmitteln von Regierungen und dem privaten Sektor. Und jeder wird nicht anhand seiner Äußerungen, sondern anhand der vorgelegten Zahlen beurteilt: die Finanzierung von Wandel, die Menge der Schadstoffe, die Emissionssenkungen und der Zeitplan für die Abschaffung der Emissionen, der ständig neu angepasst werden muss. Harte Zahlen für echte und dringend benötigte Nachhaltigkeit. “
Jetzt geht es zur Sache
Es ist gut, dass die Verursacher der Klimakrise nach ihrem G20-Gipfel nun auf die Leidtragenden treffen, findet die Süddeutsche Zeitung:
„Darunter sind einige, denen das Wasser schon bis zu den Knöcheln steht. Andere haben wahlweise Dürren, Überflutungen oder Wirbelstürme hinter sich. Wieder andere fragen sich, wie sie eine wirtschaftliche Entwicklung überhaupt hinbekommen sollen, wenn klassische Zweige wie die Landwirtschaft in ihrer Existenz bedroht sind oder Hitzewellen das Leben und Arbeiten erschweren. ... Wenn Leidtragende und Verursacher miteinander sprechen, sieht die Sache gleich ganz anders aus. Das ist die Chance dieser Klimakonferenz ..., weil sich die übrigen 172 eben nicht mit dem halbgaren, vagen Zeugs werden abgeben wollen, das ihnen der G-20-Klub präsentiert hat.“
Heiße Luft bringt Kalten Krieg
Wenn sich die Staatengemeinschaft nicht zu gemeinsamen Maßnahmen durchringt, drohen schwere Konflikte, warnt der britische Ex-Außenminister William Hague in The Times:
„Bisher lautete die Frage: 'Wie können unsere Beziehungen zu anderen Staaten im Kampf gegen den Klimawandel helfen?' Zunehmend stellt sich jedoch die Frage: 'Wie beeinflusst der Kampf gegen den Klimawandel unsere Beziehungen zu anderen Staaten?' Die deprimierende Antwort wird sein, dass eine Welt ohne glaubwürdige Vereinbarungen und Maßnahmen zum Klimaschutz eine zerstrittenere, gespaltenere und gefährlichere Welt sein wird.“
Peking macht lieber Nägel mit Köpfen
China mag abwesend sein, verfolgt aber eine klare Strategie, meint Corriere della Sera:
„Xi interpretiert die ökologische Herausforderung in einem geostrategischen Schlüssel, als den Wettbewerb um die Vormacht der Technologien der Zukunft. China hat bereits die Weltherrschaft bei Solarmodulen, Windenergie und Batterien erobert; es strebt ein Halbmonopol bei Metallen und seltenen Erden an, die für die Produktion von Elektroautos unerlässlich sind. ... Es hält an seinen ehrgeizigen Plänen für die Kernenergie fest, die es als eigenständige erneuerbare Energiequelle betrachtet. ... Xis physische Abwesenheit in Glasgow verrät seinen Unmut über die Predigten oder apokalyptischen Parolen der westlichen Regierungen.“
Wir alle tragen Verantwortung
Expresso veröffentlicht zum Auftakt einen Appell von UN-Generalsekretär António Guterres:
„Alle Länder müssen begreifen, dass das alte Entwicklungsmodell, das auf Kohlendioxid basiert, ein Todesurteil für die Wirtschaft und für unseren Planeten ist. Wir müssen entkarbonisieren – in allen Sektoren, in allen Ländern. Wir müssen die Subventionen fossiler Brennstoffe in die erneuerbaren Energien umleiten und nicht die Menschen, sondern die Verschmutzung steuerlich belasten. Wir müssen einen Preis für Kohlendioxid festlegen und diese Einnahmen in widerstandsfähige Infrastrukturen und Arbeitsplätze stecken. Und wir müssen den Kohleabbau beenden. ... Die Menschen erwarten zu Recht, dass die Regierungen voran gehen. Aber wir alle tragen Verantwortung, unsere gemeinsame Zukunft zu schützen.“
Ein verlogenes Pokerspiel
Das übliche gegenseitige Belauern und Spekulieren ist maximal schädlich, meint Le HuffPost:
„Jedes Land wird versuchen, ein bisschen etwas zu geben und gleichzeitig seine Trümpfe zu behalten: Ein großer Kohleproduzent (wie China) wird nicht vorschlagen, seine Kohleförderung zu reduzieren, um seinen Arbeitsmarkt nicht zu untergraben. Am Verhandlungstisch versucht also jeder, sich selbst zu schützen, während er beobachtet, welche Karten seine Nachbarn spielen. Erst dann entscheidet er, ob er ihnen folgt oder nicht. Das Ergebnis sind Versprechungen und vor allem Taten, die angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, viel zu zaghaft sind.“
Ohne politischen Willen kippt das Klima
Sorgenvoll sieht auch Pravda nach Glasgow:
„Vor zwei Jahren noch schickten Politiker, Konzerne und die Öffentlichkeit ein wütendes schwedisches Mädchen 'zurück in die Schule' und forderten sie auf, die Bedrohung durch die globale Erwärmung Experten zu überlassen. Heute sind sie bestenfalls still, schlimmstenfalls roden sie weiter den Amazonas-Regenwald. In Glasgow wird nun von einer 'existenziellen Bedrohung' die Rede sein. Aber der politische Wille der größten industriellen Verschmutzer, die Bedrohung abzuwenden, ist nicht zu erwarten. Wir müssen uns die Worte, die unter anderen der amtierende Papst an die Konferenz gerichtet hat, zu Herzen nehmen und radikale Veränderungen vornehmen.“
Wir brauchen Optimismus
Wir brauchen Klima-Optimismus, fordert De Morgen:
„Regierungen müssen Politik machen, um die schönen Pläne [der EU] zu verwirklichen. Die Angst vor dem Widerstand der Bürger ist groß. In jedem Land und jeder Provinz steht eine populistische Formation bereit, um die Ernte des Widerstandes einzufahren. Die heutige Energiekrise und die daraus resultierende steigende Preisinflation sind ein wichtiger Test. Wenn es Regierungen nun nicht überzeugend gelingt, ihre Bürger vor den größten finanziellen und wirtschaftlichen Risiken einer Energiewende zu schützen, dann wird das Vertrauen, dass das in der Zukunft gelingen wird, schmelzen - gemeinsam mit dem Eis der Pole.“
Nicht immer von letzter Chance sprechen
Auch späte oder kleine Schritte zur Begrenzung des Klimawandels sind besser als gar keine, betont The Irish Times:
„Wenn wir es so darstellen, dass Cop26 die letzte beste Chance für Veränderungen sei, riskieren wir, die Konferenz zum Scheitern zu bringen, bevor sie überhaupt begonnen hat. Vielmehr sollten wir sie als neueste Etappe auf dem Weg zu einer saubereren, nachhaltigeren Welt sehen. Wenn wir Cop26 als unsere letzte Chance betrachten, missverstehen wir die grundsätzliche Herausforderung durch den Klimawandel. Es gibt nie eine letzte Chance, eine Klippe oder einen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Jeder Bruchteil eines Grades der Erwärmung ist wichtig. Jede ausgestoßene Tonne Treibhausgas ist wichtig. Jeder Schritt, den wir gehen – oder nicht –, ist wichtig.“
Nur so entsteht Wandel
Man sollte den Klimagipfel nicht zynisch als zwecklos abtun, findet The Economist:
„Das Pariser Abkommen verpflichtete alle Parteien, ob reich oder arm, den Temperaturanstieg auf der Erde ausgehend von der Mitte des 19. Jahrhunderts unter 2 Grad Celsius zu halten. Glasgow wird neue Zusagen der Länder mit sich bringen ... Der Hauptgrund, warum die Klimarahmenkonvention der UN und die COP von Bedeutung sind, ist, dass Wissenschaft, Diplomatie, Aktivismus und die öffentliche Meinung den Prozess stützen und er den besten Mechanismus darstellt, eine fundamentale Wahrheit zu erkennen: Der Traum von einem Planeten mit fast acht Milliarden Menschen, die in Wohlstand leben, ist mit einer Wirtschaft, die auf Kohle, Öl und Erdgas setzt, nicht realisierbar.“
CO2-Bilanz von Unternehmen transparent machen
Die Ökonomin Hélène Rey fordert in Les Echos ein einheitliches System für die Feststellung der Klimaschädlichkeit von Firmen:
„Ein großer Fortschritt wäre es, die CO2-Emissionen von Unternehmen zu messen. Damit der Markt funktioniert und die Investoren ihr Kapital in die vorbildlichsten Unternehmen investieren können, müssen deren direkte und indirekte Emissionen bekannt sein. Die IFRS Foundation, das Aufsichtsgremium des IASB [International Accounting Standards Board, unabhängiges Gremium, das Grundsätze und Regeln für Unternehmensabschlüsse entwickelt], könnte einfach ein Schwestergremium des IASB einrichten. Dessen Aufgabe wäre es, die gemessenen direkten und indirekten Emissionen von Unternehmen möglichst transparent und vergleichbar zu machen.“
Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter öffnen
Europa muss aufpassen, dass es mit dem Beharren auf erneuerbare Energien den Rest der Welt nicht überfordert, warnt Právo:
„Der Westen möchte, dass sich auch die Schwellenländer zum energetischen Umbau bekennen. Mithin diese Länder, die mit ihrem stürmischen Wirtschaftswachstum auch an den Schadstoff-Emissionen beteiligt sind. Doch die wiederum können mit Berechtigung fragen, wie wirksam, zuverlässig und teuer die erneuerbaren Energiequellen sind. ... Hohe Energiepreise können politische Erdbeben auslösen, zu politischer Instabilität führen und den Graben zwischen reichen und armen Teilen der Welt vertiefen.“
Entwicklungsländer endlich wirksam unterstützen
Für die US-Korrespondentin von Kathimerini, Katerina Sokou, spielt Europa nur eine Nebenrolle dabei, ob Glasgow ein Erfolg wird:
„Die EU mag zwar die Agenda führen, indem sie auf eine rasche Energiewende besteht, aber der Beitrag der USA ist entscheidend - nicht nur, weil die USA die zweithöchsten Emissionen der Welt haben, sondern auch als Druckmittel für die anderen großen Volkswirtschaften der Welt, China, Russland und Indien, die die notwendigen Maßnahmen ergreifen sollen, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Abgesehen von geopolitischen Interessen wäre es auch einfacher, eine Einigung zu erzielen, wenn die Industrieländer ihre eigene Verpflichtung erfüllten, den Entwicklungsländern jährlich 100 Milliarden Dollar für die Energiewende bereitzustellen.“
Wir leben im Boomer-ozän
Die Klimaaktivistin Dominika Lasota kritisiert in Krytyka Polityczna Polens Rolle in der Klimapolitik:
„Die polnische Regierung steht auf der Seite derjenigen, die jeglichen Wandel in der Ausgestaltung der Klimapolitik blockieren. Wir sind eines der am stärksten von Kohle abhängigen Länder Europas und betreiben mit dem Kraftwerk Belchatow den größten Klimaschädiger des Kontinents. ... Dass diese Situation ist, wie sie ist, kommt nicht von ungefähr: Wir leben im Zeitalter des Boomer-ozäns. In einer Zeit, in der die Regierenden nur auf Gewinn und Wirtschaftswachstum, Popularität und kurzsichtige politische Spielchen aus sind. ... Sie schaffen ein System, das unser Klima destabilisiert, empfindliche Ökosysteme an den Rand des Zusammenbruchs treibt und uns gegeneinander ausspielt und erdrückt.“
Am Ende bleibt wohl nur Sabotage
Der Politologe Kiza Magendane fragt sich in seiner Kolumne in NRC Handelsblad, was ein neuer Vertrag eigentlich bringen soll:
„Die regierenden Eliten in unserer fossilen kapitalistischen Weltordnung beherrschen die Kunst, wundervolle Verträge auf Papier zu setzen, um sich danach schamlos nicht daran zu halten. ... Wenn die Institutionen jahrzehntelang mit wenig Erfolg eine der größten existentiellen Bedrohungen für das Fortbestehen lebender Wesen angehen, muss man dann nicht deren Existenz zur Diskussion stellen? ... In dem sehr konfrontativen Buch 'How to Blow Up a Pipeline' betont Andreas Malm, dass Sabotage die naheliegendste Strategie für Klima-Aktivismus ist. In den Ohren der fossilen Elite ist nichts lauter als der Knall von brennendem fossilem Besitz.“
Niederlande sollten Avantgarde sein
Die Nordsee wird durch den Klimawandel stärker ansteigen als bisher gedacht, geht aus neuen niederländischen Berechnungen hervor. De Volkskrant warnt:
„Die Niederlande gehören zu den größten Klimaopfern. Es wäre logisch, wenn die Niederlande Vorreiter wären in der weltweiten Klimadebatte. Doch bislang ist eher das Gegenteil der Fall. Die Niederlande gehören in Europa zu den größten CO2-Emittenten. ... Als Mittel gegen den Fatalismus träumen immer mehr Politiker - vor allem auf der rechten Seite - von Klima-Anpassung. ... Wir könnten etwa eine riesige Insel in der Nordsee anlegen, um unsere Küsten zu schützen. ... Aber es wäre noch besser, wenn sich der nationale Stolz auch darauf richtete, die niederländische Wirtschaft nachhaltiger zu machen.“
Klimakrise gehört auf die Lehrpläne
Das aktuelle Bildungssystem bereitet Schüler nicht angemessen auf ihr zukünftiges Leben in Zeiten des Klimawandels vor, moniert The Independent:
„Die Klimakrise wird jeden treffen, egal ob Bauunternehmer oder Bankerin, Pflegerin oder Apotheker. Das bedeutet, dass Klimabildung auf den Lehrplan jedes einzelnen Faches gehört und so eingebunden werden muss, dass sie zugänglich für alle ist. Die Klimabildung muss ausgebaut werden und auch Wissen dazu vermitteln, wie man den Klimanotstand und die ökologische Krise stoppen oder abschwächen kann, wie man Klimagerechtigkeit schaffen kann und wie Schüler mit Öko- und Klimaangst umgehen können - Ängste, die Klimabildung ebenfalls mildern wird.“
Klimamacht nutzen
Die Historikerin Susi Dennison von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations schreibt in El Confidencial, dass die EU ihre Führungsrolle bei der Energiewende wahrnehmen sollte:
„Die EU ist bei der Energiewende weiter fortgeschritten als die meisten. Sie kann mit gutem Beispiel vorangehen und ihre Erfahrungen weitergeben und vermarkten. ... Die EU ist noch kein mit den USA vergleichbares geopolitisches Schwergewicht. Sie ist nicht in der Lage, alle Aspekte ihrer wirtschaftlichen Macht kollektiv zu nutzen, um ihre Verhandlungsposition auf der COP26 zu stärken. ... Im Gegensatz dazu besteht die europäische Klimamacht darin, Veränderungen auf einer eher mechanischen Ebene herbeizuführen, und zwar durch die Interaktion der EU mit anderen Ländern.“
EU muss Vorbild sein
Die Schlüsselrolle Europas betont auch die ehemalige EU-Kommissarin für Klimapolitik Connie Hedegaard in einem Gastbeitrag für Le Temps:
„Wenn die COP26 zu dem Moment werden will, an dem die Welt wirklich beschließt, gemeinsam gegen die größte Bedrohung für die Menschheit vorzugehen, muss die EU mit gutem Beispiel vorangehen. Die EU ist die reichste Handelsgemeinschaft der Welt, eine feste diplomatische Größe und ein Paradebeispiel dafür, wie viel Toleranz und Fairness bewirken können. Wenn sie keine Schlüsselrolle spielt, wird die COP26 scheitern. Jeder auf der ganzen Welt wird profitieren, wenn die EU, ihre Staats- und Regierungschefs und ihre diplomatischen Strukturen jetzt sofort aktiv werden, um die Katastrophe abzuwenden.“
Energiewende geht eben nicht reibungslos
Die hochgesteckten Klimaziele lassen sich nur schwer umsetzen, stellt Corriere del Ticino fest:
„Die Unstetigkeit der erneuerbaren Energien garantiert keine kontinuierliche Stromversorgung und erfordert enorme Investitionen, für die jemand aufkommen muss. Wie in Deutschland mussten sogar Kohlekraftwerke, die die größte Umweltbelastung verursachen, eingesetzt werden, um Stromausfälle zu vermeiden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass angesichts dieser Sackgasse sowohl Gas- als auch Kernkraftwerke wieder in Betrieb genommen werden. ... Viele Länder, von Frankreich und dem Vereinigten Königreich bis hin zu China und Indien, haben beschlossen, auf die Kernenergie zu setzen, um diese Energiewende zu erreichen.“
Lobbys blockieren den Umstieg
Dass erneuerbare Energien angeblich nicht ausreichen, um den Energiebedarf zu decken, ist eine Lüge, ereifert sich hingegen Il Manifesto:
„Erneuerbare Energien reichen nicht nur aus, sondern sie sind auch billiger. Wenn noch kein Land beschlossen hat, den Übergang zu vollziehen, der in wenigen Jahren zu einer 100-prozentigen Deckung des Energiebedarfs durch erneuerbare Energien führen soll, so liegt das daran, dass viele Interessen dies blockieren. ... Die Interessen der Aktionäre des [italienischen Mineralöl- und Energiekonzerns] Eni, die weiterhin Gaskraftwerke nutzen möchten, an deren Gewinn sie beteiligt sind. ... In Deutschland derjenigen, die von den gigantischen Vereinbarungen mit Russland profitieren; in Frankreich die Interessen, die aus dem größten Netz von Kernkraftwerken in Europa herrühren.“
Greenwashing der Kommunen
Kopenhagen will in drei Jahren die erste CO2-freie Hauptstadt sein. Dafür baut sie Wind- und Solaranlagen in anderen Kommunen und rechnet sich die Kohlendioxid-Einsparung an - ebenso wie die Kommunen, in denen die Anlagen stehen. Das kritisiert Jyllands-Posten:
„In der Wirtschaft spricht man von Greenwashing, wenn Unternehmen sich klimafreundlicher machen, als sie es tatsächlich sind. ... Wenn vier Gemeinden mit offenen Augen das Gleiche tun, handelt es sich in Wirklichkeit um Klimabetrug, da sich keine gewählten Politiker bemühen, die geschönten CO2-Konten zu thematisieren. ... Da die Kommunen offenbar nicht in der Lage sind, genaue CO2-Abrechnungen zu erstellen, muss das Parlament eingreifen und für eine faire kommunale Klimabilanz sorgen.“
So wird das nichts
Was der Bericht des UN-Umweltprogramms offenbart, stimmt die Frankfurter Allgemeine Zeitung skeptisch:
„Politiker verkünden langfristige Dekarbonisierungsziele, tatsächlich aber läuft die Politik vor allem der großen Emittenten auf eine kräftige Steigerung der Förderung fossiler Brennstoffe und deren Verbrennung hinaus. Eine Farce! In dem Bericht werden unter anderem Australien, Russland, Saudi-Arabien und die Vereinigten Staaten genannt. Auch der Braunkohleproduzent Deutschland bekommt sein Fett weg. ... Viele Bürger sind skeptisch, viele Regierungen führungsschwach. Politisch kann man das erklären. Nur auf das Minimum des Notwendigen begrenzen lässt sich die Erderwärmung so nicht.“
Zu vielen fehlt der Wille zur Veränderung
Was die einzelnen Staaten bisher angekündigt haben, verheißt nichts Gutes, kritisiert auch Irish Examiner:
„Dass Chinas Staatschef Xi Jinping möglicherweise nicht an COP26 teilnimmt, wird die Erfolgschancen des Gipfels bei der Festlegung neuer und noch strengerer Klimaziele erheblich beeinträchtigen. In China gibt es mehr Schadstoffemissionen als in allen Industrienationen der Welt zusammengerechnet. ... Weniger als die Hälfte der G20-Staaten haben vor Beginn der Konferenz ihre Klimaziele veröffentlicht, also ihren nationalen Beitrag zur Schadstoffreduktion. Es ist zu hoffen, dass wir es hier nicht wieder mit einem politischen Hochrisikospiel zu tun haben, wie wir es beim Thema globale Erwärmung derzeit öfter erleben.“
Die Wirtschaft ist schon auf dem richtigen Weg
Mit neuen Anreizen zur Emissionsreduktion könnte der Gipfel wie der von Paris 2015 zum Erfolg werden, meint The Times:
„Die Automobilindustrie beispielsweise investiert fast nur noch in die Entwicklung von Elektrofahrzeugen. Die globale Stahlindustrie hat einen klaren Weg zu Netto-Null bis 2050 vorgezeichnet. Und der Finanzsektor weigert sich zunehmend, Unternehmen zu finanzieren, die keine nachvollziehbaren Pläne zur Reduktion von Schadstoffen haben. Beim Weltklimagipfel kann vieles beschlossen werden, um diesen Prozess zu beschleunigen. So wie das Pariser Abkommen eine Flut von Investitionen in grüne Technologien wie Wind- und Solarenergie auslöste, so würden solide Zusagen in Glasgow den Unternehmen das Vertrauen geben, in neue Projekte zu investieren.“
Der alte Mann und das Meer
Dass US-Präsident Biden wegen Drucks aus den eigenen Reihen bereit scheint, große Teile der geplanten Investitionen in saubere Energie zu streichen, ist für Corriere della Sera ein schlechtes Zeichen:
„In den Korridoren des Kongresses in Washington vergleichen manche Biden mit Santiago, dem Protagonisten aus Hemingways Der alte Mann und das Meer. Eines Tages machte der alte und erfahrene Fischer den größten Fang seines Lebens. Er band den Fisch am Rumpf seines Bootes fest, konnte aber nur eine riesige Fischgräte an Land bringen. Auf dem Weg verschlangen Haie das gesamte Fleisch. Bidens großer Fisch ist das 3,5-Billionen-Dollar-Manöver, eine öffentliche Intervention, die es in der amerikanischen Geschichte noch nie gegeben hat. Die Haie? Die Linke hat keinen Zweifel: Es sind die [demokratischen] Senatoren Joe Manchin und Kyrsten Sinema.“
Vielleicht muss erst eine echte Katastrophe geschehen
Volkskrant-Kolumnist Bert Wagendorp beklagt das Verhalten der Weltpolitik:
„Das Prinzip kennen wir von den niederländischen Bauern: Klimamaßnahmen prima, aber nicht auf Kosten unserer Einkünfte. Also geschieht nichts oder jedenfalls viel zu wenig. Waldbrände und Überschwemmungen kommen immer häufiger vor, und jeder kennt die Ursachen. Aber wir wollen es nicht wahrhaben, weil die langfristigen Folgen unvorstellbar sind. ... Vielleicht muss erst eine echte Katastrophe geschehen, die jeden aufrüttelt - vielleicht, dass New York verschlungen wird. ... Es gibt immer noch Hoffnung. Aber so langsam muss man auf ein Wunder hoffen.“