Türkei: Osman Kavala bekommt lebenslänglich
Der türkische Kulturförderer und Menschenrechtsaktivist Osman Kavala ist am Montag wegen des Vorwurfs eines versuchten Regierungsumsturzes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Sieben Mitangeklagte müssen für 18 Jahre in Haft. Ihnen wurde vorgeworfen, Kavala unterstützt zu haben. Die Verurteilung schlägt nicht nur in der Türkei hohe Wellen.
Eine weitere Ungeheuerlichkeit
Die türkische Regierung sollte sich für ihre heuchlerische Politik schämen, schreibt Naftemporiki:
„Die türkischen Oppositionsführer beklagen, dass die Gerichte von der Regierung Erdoğan zu einem 'Racheinstrument' gemacht wurden, und haben geschworen, das Urteil zu kippen, falls sie die Wahlen 2023 gewinnen. Bis dahin wird sich der türkische Präsident jedoch weiterhin als 'Missionar' des Friedens präsentieren, der Putin und Selenskyj an denselben Tisch bringt. Gleichzeitig setzt Ankara seine Angriffe auf die Kurden im Irak und in Syrien unerbittlich fort und verletzt provokativ die Souveränitätsrechte Griechenlands und Zyperns. ... Gibt es Grenzen der Scham?“
Will Erdoğan in Putins Fußstapfen treten?
Europa verpflichtet, betont France Inter:
„Die Welt hat sich verändert, und ein Mann wie Recep Tayyip Erdoğan hat das genau verstanden. Die zunehmend multipolare Welt, in der Länder wie die Türkei selbstverständlich ihren Platz haben, darf jedoch nicht bedeuten, dass es keine Regeln gibt. Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit ist Teil des Wertefundaments der Mitgliedsstaaten des Europarats und Präsident Erdoğan kann sich nicht ohne Konsequenz davon freimachen. ... Das Russland unter Putin hat ihn vor Kurzem verlassen, nachdem es in die Ukraine einmarschiert ist. Will Erdoğans Türkei in die gleiche Kategorie der Ausgestoßenen gehören? Die höchst ungerechte Verurteilung von Osman Kavala könnte dazu führen.“
Alle sollten sich selbst anzeigen
Der Arzt und Wissenschaftler Talat Kırış zeigt sich in T24 selbst als Beteiligter bei den Gezi-Protesten an und ruft dazu auf, seinem Beispiel zu folgen:
„Ich rufe alle, die bei den Gezi-Protesten mitgemacht haben, zur Selbstanzeige auf. Ihr [Staatsvertreter] sollt wissen, dass ihr zwar acht Personen verurteilt habt, wir uns euch aber zu Achtzig, zu Achthunderten, zu Achttausenden, zu Achthunderttausenden, zu Achtmillionen oder vielleicht mehr entgegenstellen werden. Ich appelliere an die Staatsanwälte und Richter, die in diesem Land kein Interesse zeigen, wenn Politiker sich von der Mafia bestechen lassen, die einen Kämpfer der türkischen Hisbollah, der den Tod von 91 Menschen befohlen und dafür lebenslänglich bekommen hat, wieder freilassen, sich aber dann des Rechts erinnern, wenn es um Linke, um Gerechtigkeit Suchende, um zivile Widerständler geht.“
Leider kein Einzelfall
Die lebenslange Haftstrafe für den türkischen Kulturförderer ist eine Verhöhnung des Rechts, meint die Neue Zürcher Zeitung:
„Der Vorwurf, er habe die Regierung zu stürzen versucht, ist so absurd wie unbewiesen. Das Urteil ist auch ein offener Affront gegen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der Kavalas Inhaftierung bereits Ende 2019 als rechtswidrig verurteilt und in einer eigentlich bindenden Entscheidung seine Freilassung gefordert hatte. … Das Verfahren gegen Kavala mag besonders absurd gewesen sein, ein Einzelfall ist es nicht. Seit dem Putschversuch von Juli 2016 hat Erdogan Zehntausende missliebige Offiziere, Beamte und Staatsanwälte unter Missachtung der elementarsten Grundsätze des Rechts zu langen Haftstrafen verurteilen lassen.“
Die Staatsfeinde sind unter uns
Gegen die Kritiker des Urteils und der Regierung wettert die regierungstreue Star:
„Dieses Bündnis, das sich heimlich im Untergrund formierte, hat während der Gezi-Proteste, der Operationen vom 17.-25. Dezember [Korruptionsskandal 2013], des Kobane-Aufstands sowie des Putschversuchs vom 15. Juli kooperiert. ... Gott sei Dank sind sie nicht damit durchgekommen. Unter der Führung Erdoğans hat unser Staats- und Volkswille mit ihnen abgerechnet. ... Und eben weil diese dunklen Kreaturen aus dem Untergrund eine nach der anderen eliminiert werden, suchen ihre Herren jetzt nach neuen Kanälen. ... Auch in den Reaktionen des Oppositionsbündnisses aus sechs Parteien plus der HDP kann man ihre Fingerabdrücke erkennen.“