Gas-Notfallplan der EU: Einigung in Sicht?
Seit nunmehr einer Woche diskutieren die EU-Länder den Vorschlag der Kommission für einen Gas-Notfallplan. Die Mitgliedsstaaten sollen zwischen August und März freiwillig 15 Prozent ihres Verbrauchs einsparen und bei Engpässen einander aushelfen. Weil Russland die Lieferungen über die Gaspipeline Nord Stream 1 ab Mittwoch weiter reduziert, wird noch am heutigen Dienstag mit einer offiziellen Einigung gerechnet. Europas Presse spiegelt ein Ringen um Solidarität.
Reichlich verwässert
Vom ursprünglichen Plan der EU-Kommission ist nicht mehr viel übrig geblieben, findet La Stampa:
„In erster Linie wird der Kommission die Befugnis entzogen, den Notstand auszurufen, der die Grundvoraussetzung dafür ist, das Ziel einer Reduzierung des Gasverbrauchs um 15 Prozent verbindlich zu machen. Eine Reduzierung, die in der ersten Phase [vom 1. August bis zum 31. März] auf freiwilliger Basis geschehen soll. Für den Beschluss des Notstands benötigt der EU-Rat, also die Regierungen, die qualifizierte Mehrheit. ... Der Antrag von drei Staaten wird zudem nicht mehr ausreichen, um die Alarmglocke zu betätigen, sondern es werden mindestens fünf benötigt. … Darüber hinaus wurde beschlossen, dass die Verordnung nur ein Jahr in Kraft bleiben soll, selbstredend verlängerbar.“
Schmerzvolle Entgiftung
Europa bleibt nichts anderes übrig, als diese Entziehungskur gemeinsam durchzustehen, meint Äripäev:
„Alle Blauäugigen in Europa müssten nun verstanden haben, wie giftig Putins Gas ist, und dass uns für die Bewahrung der demokratischen Weltordnung nichts anderes übrig bleibt, als die bevorstehende schwere Zeit zu überleben. ... Der schlimmste Kriegsverbrecher, der autokratische Führer von Russland bedient den Gashahn. Die Zeit, in der das strategisch aufgebaute System zum Werkzeug der Manipulation geworden ist, ist längst gekommen.“
Der Norden will dem Süden Energiearmut aufzwingen
Proto Thema ärgert sich über das Verhalten der Regierungen Nordeuropas und insbesondere Deutschlands:
„Welch ein Zufall, dass fast immer der Norden die Agenda bestimmt! Und wenn aus dem Süden Vorschläge kommen, wie jüngst der aus Griechenland, dem auch Italien und die iberischen Länder zustimmten, für einen gemeinsamen europäischen Beschluss zur Einführung einer Obergrenze für den Großhandelspreis von Erdgas, um die Spiele der Händler mit Terminkontrakten zu unterbinden, dann tun die Deutschen so, als würden sie nicht zuhören, und verschieben den Vorschlag auf unbestimmte Zeit.“
Nun muss sich der Süden solidarisch zeigen
Spanien täte gut daran, sich bei diesem Thema erkenntlich zu zeigen, erinnert La Razón:
„Es ist ein Aufruf zur Solidarität unter den Europäern - so wie bei der internationalen Finanzkrise 2008 vor allem die Haushaltsüberschüsse unserer nordeuropäischen Partner für die Finanzierung sorgten, die andere Volkswirtschaften benötigten, die weniger achtsam mit ihren Finanzen umgegangen waren. ... In der Gaskrise befindet sich Spanien in einer besseren Position als beispielsweise Deutschland, da es weltweit über eine der besten Infrastrukturen für die Speicherung und Regasifizierung von Flüssigerdgas verfügt. ... Wir müssen also von der Regierung die gleiche Bereitschaft zur Solidarität verlangen, die sie einfordert, wenn es darum geht, die EZB-Finanzierung am Laufen zu halten.“
Russland gefährdet eigene Gasförderung
Welche Risiken Russland mit der Kürzung der Exporte eingeht, erläutert Nowaja Gaseta Ewropa:
„2013 bohrte [der US-Konzern] ExxonMobil in der Karasee das Vorkommen 'Universitetskaja' an, in dem gewaltige Reserven an Öl und Gas stecken. 2014 war ExxonMobil wegen der 'Krim-Sanktionen' gezwungen, die Quelle zu versiegeln und Russland zu verlassen. [Der Ölkonzern] Rosneft hat inoffiziell mehrfach eingestanden, dass er keine Technologien zur erneuten Öffnung dieser Quelle hat, ebenso wenig, um daneben eine neue zu bohren. Das gleiche Schicksal erwartet fast alle versiegelten Gasquellen in Russland - und versiegeln muss man sie, denn bei einem starken Rückgang des Gasexports kann man das geförderte Gas nirgends aufbewahren. Und große Kapazitäten zur Verflüssigung hat Russland nicht.“
Nun sind die Rollen vertauscht
Südeuropäischer Unmut gegenüber Deutschland mag verständlich sein - zielführend ist sie nicht, betont Expressen:
„Von Italienern, Griechen und Spaniern kommen pikierte Bemerkungen, die Deutschen hätten erst nachdenken sollen, ehe sie sich in eine derartige Abhängigkeit von Russland begaben. In Südeuropa hat niemand den Sarkasmus und die Sonderauflagen aus Deutschland vergessen, als diese Länder vor einigen Jahren Solidarität benötigten. Aber letztlich gilt damals wie heute: Wir stehen oder fallen gemeinsam. Europa braucht die deutsche Wirtschaft und die deutsche Wirtschaft braucht Europa. Putin können wir nur gemeinsam besiegen. ... Nun ist es Europas mächtigstes Land, das buckeln muss.“
Zusammenhalt bis zur Schmerzgrenze
Hospodářské noviny ist zuversichtlich, dass sich die EU-Länder auf gegenseitige Hilfe in der Gaskrise einigen werden:
„Die europäische Solidarität ist in erster Linie kein Instrument von Idealisten, die sich ein föderalistisches Europa wünschen, sondern eins von Pragmatikern, die in diesem Jahr Licht und Wärme für die Bürger ihrer Länder sicherstellen wollen. ... Wenn die Energieminister diese Woche in Brüssel einem gemeinsamen Gasnotfallplan zustimmen, wird es ähnlich sein wie 2009, als die Finanzminister in nächtlichen Sitzungen über die Rettung der Eurozone diskutierten. Es wird eine unangenehme Suche nach einer gemeinsamen erträglichen Schmerzgrenze sein, aber auch eine Hoffnung für die Zukunft, dass die europäische Solidarität weiter erstarkt.“
Diesmal hofft der Norden auf den Süden
Die Wiener Zeitung sieht eine historische Bewährungsprobe für die Europäische Union:
„Die Rolle des Bittstellers ist vor allem für Deutschland ein neues Gefühl. ... Jetzt sind es die von russischem Gas weitgehend autonomen Staaten in Süd- und Westeuropa, die sich fragen, warum sie zugunsten sehr viel reicherer Staaten schmerzhaften Verzicht üben sollen. Das kann, im besten Fall, am Ende zu einer stärkeren Union führen, im schlechtesten Fall zum neuerlichen Riss. Immerhin liegt es einmal mehr allein an uns, wie die Sache ausgeht.“
Zusammenhalt in Gefahr
Le Figaro fragt sich, ob eine europäische Gasumverteilung in einer Zeit des Mangels funktionieren würde:
„Werden die Franzosen morgen akzeptieren, dass Gas, das über französische Terminals ankommt, an Unternehmen in Deutschland geliefert wird, auch wenn wir nicht genug haben? In der öffentlichen Debatte erheben bereits manche die Stimme. Ist die große Verletzbarkeit der Deutschland AG nicht das Ergebnis einer inkonsequenten und dogmatischen Energiepolitik? Die Deutschen sollen schauen, wie sie zurechtkommen! Eine Argumentation, die unsere eigenen Schwachstellen und Abhängigkeiten verkennt. Angesichts des derzeitigen Zustands der Kernkraftwerke wird Frankreich den Winter nicht ohne Stromimporte überstehen.“
Regierung erzieht zu Egoismus
Die ungarische Regierung hat keinen Gemeinschaftsgeist, kritisiert Népszava:
„In so einer Situation [wie in der jetzigen Energiekrise] wäre die Solidarität innerhalb der EU besonders wichtig. Italien und Slowenien haben vergangene Woche ein Abkommen darüber geschlossen, dass Rom Lljubljana aushelfen wird, falls Slowenien kein Gas mehr erhält. Währenddessen wurde in Ungarn gerade ein Exportverbot für Energieträger verhängt. Dies beweist einmal mehr, dass die christliche Regierung die Ungarn zur Selbstsucht erzieht.“
Deutschlands Opportunismus
Erst lässt Deutschland Russland wegen Nord Stream 2 alles durchgehen, doch wenn es hart auf hart kommt, fordert es Solidarität, kritisiert Jutarnji list:
„Nachdem die russische Aggression gegen die Ukraine das Verhältnis [zwischen Deutschland und Russland] langfristig unhaltbar gemacht hat und Deutschland in eine Energie-Bredouille geraten ist, beeilt sich die dortige Regierung, zuerst mit den anderen Mitgliedsstaaten Verträge über die solidarische Aufteilung der existierenden Mengen an Gas bei Lieferstopp zu unterschreiben. Dann, angesichts des schwachen Interesses der anderen Staaten für solche Einigungen, seinen Einfluss in der Europäischen Kommission auszunutzen und die Solidarität bei Gasreduktionen zur Pflicht zu machen.“
Alternativen in den Blick nehmen
Es gibt billigere Bezugsquellen als russisches Gas, betont Dnevnik:
„Spanien importiert Flüssiggas aus den USA im Rahmen eines langfristigen Vertrags. Einschließlich aller Transport- und Verflüssigungskosten ist das LNG aus den USA nach Spanien immer noch billiger als russisches Gas nach Ungarn und das war schon vor dem Krieg so. .... Die Rede ist jedoch von LNG im Rahmen eines langfristigen Vertrags. Nur mit einem langfristigen Vertrag erhält man Flüssiggas zu einem günstigen Preis. Wird es auf dem Spotmarkt gekauft, liegt der Preis nahe dem an der Börse.“