Wirbel um Macron: EU-Bodentruppen für die Ukraine?
Die Aussage von Frankreichs Präsident Macron zum Ukraine-Krieg von vergangener Woche sorgt weiterhin für Diskussionen: Beim Pressegespräch nach der Ukraine-Unterstützungskonferenz in Paris hatte er gesagt, es gebe zwar keinen Konsens darüber, Bodentruppen in die Ukraine zu schicken, man dürfe angesichts der aktuellen Dynamik aber nichts mehr ausschließen. Aus ganz Europa kam umgehend Widerspruch.
Europa wird nervös
El Periódico de Catalunya erkennt viele Motive bei Macron:
„Vielleicht will Frankreich, einzige Atommacht in der EU, mal wieder auf die Titelseite der Zeitungen. ... Oder es könnte eine Botschaft der EU an Putin gewesen sein. ... Eine dritte Möglichkeit wäre, dass er Marine Le Pen und ihren Rassemblement National durcheinanderbringen wollte, die ja mit Putin sympathisieren. ... Dahinter verbirgt sich Europas Nervosität: Wenn Trump zurückkehrt, stehen wir schutzlos da.“
Viel Gerede und wenig Fakten
Macrons Vorstoß entblößt Europas unzureichendes Engagement, findet Corriere della Sera:
„Die empörten Reaktionen der anderen Europäer sprechen Bände über die mangelnde Bereitschaft der öffentlichen Meinung (und folglich der Regierungen), den Ernst der Lage zu erkennen. Während der Krieg für die Ukrainer schlecht läuft, während die Trump-freundlichen Republikaner im Kongress die Hilfe für Kyjiw blockieren, sind die Europäer nicht einmal in der Lage, die in Europa eingefrorenen russischen Reserven so schnell wie möglich in die Ukraine zu transferieren. ... Auch auf der Seite der Verteidigung sieht es nicht besser aus. Viel Gerede und wenig Fakten. 'Fakten' bedeutet, die Europäer dazu zu bringen, eine Verschiebung der Ressourcen zugunsten der Verteidigung zu akzeptieren. Das ist politisch unmöglich, wenn die öffentliche Meinung nicht entsprechend vorbereitet wird.“
Was wir jetzt brauchen, sind Waffen
Politologe Olexander Tschebanenko empfiehlt in Censor.net, sich lieber auf die akuten Fragen zu konzentrieren:
„Ich schlage vor, die Entscheidungen über die westlichen Truppen im Krieg in der Ukraine (nicht über die einzelnen Freiwilligen, die tapfer Seite an Seite mit den Ukrainern kämpfen) dem Gewissen der Politiker zu überlassen. Was wir aber auf jeden Fall vom Westen brauchen, sind moderne Waffen, Munition, Ausrüstung und Technologien. Nicht als Hilfe, sondern als Investition in seine eigene Sicherheit. Und das dringend. Denn die menschenfeindlichen Rassisten werden nicht warten. ... Wie viel ist die westliche Zivilisation wert?“
Wettrüsten wird keinen Frieden bringen
Eldiario.es nutzt die Gelegenheit für ein generelles Plädoyer gegen Aufrüstung:
„In Europa wächst die Rüstungsindustrie fast so schnell wie die der künstlichen Intelligenz. ... Die Meinung, dass mehr Militärausgaben einen Krieg in Europa verhindern werden, ist unbegründet. ... Europa ist militärisch besser aufgestellt als Russland. Das hat die Invasion in der Ukraine nicht verhindert. Der militärische Weg hat sich als untauglich erwiesen, um Frieden in Europa zu schaffen. Statt aufzurüsten sollte Europa über Waffenstillstand, Verhandlungen, ein Friedensabkommen und einen Abrüstungs- und Entmilitarisierungsplan sprechen, um den Frieden der Zukunft auf dem alten Kontinent zu schaffen.“
Ernsthafte Gefahren
Das Risiko einer direkten Konfrontation zwischen der Nato und Moskau könnte steigen, fürchtet hvg:
„Obwohl Macron betont hat, nicht im Namen der Nato zu sprechen, hat allein die Tatsache, dass die Möglichkeit der Entsendung westlicher Truppen in die Ukraine, die selbstverständlich nur durch einen Nato-Mitgliedstaat erreicht werden kann, überhaupt zur Sprache gebracht worden ist, eine neue Situation geschaffen. Und wenn ein Mitglied des Bündnisses in einen Konflikt mit Russland gerät, könnte die Gefahr einer direkten Konfrontation zwischen der Nato und Moskau noch größer werden, sodass auch die Anwendung von Artikel 5 in Frage kommen könnte. Zum Beispiel, wenn Russland das Land angreifen würde, das Truppen in die Ukraine entsandt hat.“
Gegengewicht zu russischer Bedrohung des Baltikums
Publizist Anatoli Nesmijan sieht auf Facebook für Macrons Gedankenspiel reale strategische Gründe:
„Im Falle möglicher Ereignisse im Baltikum ist dies durchaus logisch – um eine Bedrohung in anderem Gebiet schaffen, vor allem wenn man bedenkt, dass es fast unmöglich ist, das Baltikum zu verteidigen: Das Gebiet ist zu klein. Partisanen mögen dort agieren können, aber eine Verteidigung ist schwierig. Kurzum, alle sind im Bilde, alle bereiten sich auf das von Trump skizzierte Szenario vor. ... Wer sagt, dass Russland nicht über die Mittel für eine Invasion im Baltikum verfügt, lügt sich in die Tasche. Für einen langwierigen Konflikt hat man keine Ressourcen, für einen Blitzkrieg schon.“
Jemand anderes ist der Saboteur
Nicht Emmanuel Macron begann die Diskussion um die Entsendung von Bodentruppen, sondern Robert Fico, betont Jutarnji list:
„Ein Reporter fragte [Macron] nach einem Kommentar zu einer Aussage des slowakischen Premiers Robert Fico vor dem Meeting (!), man diskutiere die Entsendung von EU- und Natotruppen in die Ukraine. Anstatt dass sich die gesamte Öffentlichkeit auf Fico und seine offensichtliche Sabotage konzentriert, mit der er das Treffen und seine Beschlüsse untergraben wollte, steht nun Macron in der Kritik. Fico ist schuld und kommt ungeschoren davon. ... Seine Aktion ging zugunsten Russlands, das eine Gelegenheit bekam, Entschlossenheit zu demonstrieren.“
Europa muss weitere große Schritte machen
Wie bereits in anderen Bereichen ist ein europäischer Quantensprung nötig, drängt Le Soir:
„Es geht nun darum, Putin zu zeigen, dass der Westen alles Notwendige tun wird, um ihn schachmatt zu setzen, für die Sicherheit der Ukraine, aber auch die Europas. ... In den letzten zwei Jahren hat die EU große, bis dahin für unmöglich gehaltene Schritte gemacht, doch Beobachter gestehen besorgt: Europa ist noch weit davon entfernt, mit einer Stimme zu handeln und zu sprechen, obwohl der Zustand der Welt dies jeden Tag mehr verlangt. Vor einigen Monaten ging es in 'Brüssel' darum, den Planeten mit dem Green Deal zu retten, dann kam die Rettung der Kaufkraft mit den 'Energie'-Programmen. Heute ist es an der Zeit, den Frieden zu retten, indem man sich auf die Eventualität eines Krieges vorbereitet.“
Putin muss neue Szenarien einkalkulieren
Paris macht Ernst, freut sich Rzeczpospolita:
„Es könnte Ausbildungstruppen in die Ukraine schicken oder Einrichtungen zur Reparatur ukrainischer Rüstungsgüter organisieren. Die Entschlossenheit Frankreichs zeigt sich auch in seiner Entscheidung, Langstreckenraketen zu schicken, was Deutschland vorerst ablehnt. Und seine Beteiligung an einer tschechischen Initiative zum Kauf von Munition für Kyjiw außerhalb Europas. Die Entsendung von Nato-Kampftruppen bleibt ein letztes Mittel. Aber eines, das Putin nicht mehr ausschließen kann.“
Lieber auf ukrainischem Boden kämpfen
Nach Meinung des Politologen Wolodymyr Horbatsch in Unian ist die Entsendung von Bodentruppen aus der EU in die Ukraine künftig durchaus realistisch:
„Wir können feststellen, dass in den EU-Ländern der Gedanke gereift ist, dass es sich nicht um irgendeinen lokalen Krieg handelt, sondern um einen Krieg, der globale Folgen haben wird. ... Diese Besorgnis, Unsicherheit und Angst vor einem russischen Angriff könnten also künftig zu einer solchen Entscheidung führen. Denn wenn ein Zusammenstoß mit Russland unvermeidlich wäre, wäre es [aus EU-Sicht] besser, ihn auf dem Territorium der Ukraine auszutragen, als auf dem Boden der EU oder der Nato. Das heißt, es geht um einen rationalen Schritt – einen vorausschauenden Schritt.“
Es geht nicht um Frontkämpfer
La Repubblica wirft ein:
„Wenn Kyjiw der Übermacht der russischen Kriegsmaschinerie widerstehen soll, bleibt nur der Weg, Quantität mit Qualität zu schlagen und es mit technologisch fortschrittlichen Waffen auszustatten. Werkzeuge, mit denen die Ukrainer jedoch erst nach vielen Monaten lernen, umzugehen. Zu spät, um die Krise zu bewältigen. ... Die einzige Möglichkeit, die Streitkräfte sofort in die Lage zu versetzen, Langstreckenraketen, Kampfflugzeuge, Hubschrauber, Radar, Flugabwehrsysteme und elektronische Störgeräte einzusetzen, besteht darin, westliche Soldaten zu schicken. Keine Frontkämpfer, sondern Techniker, und Offiziere, die Taktiken vorschlagen, um das Potential der Waffen bestmöglich zu nutzen, während sie selbst im Hintergrund bleiben.“
Diplomatische Anstrengungen bevorzugen
Eine stärker moderierende Rolle Frankreichs wünscht sich Pierre Lellouche, Jurist und früherer konservativer Abgeordneter, in Le Figaro:
„Macrons Eskalation wirkt so improvisiert wie gefährlich. Einem angegriffenen demokratischen Nachbar finanziell und militärisch beizustehen, ist selbstverständlich legitim. Doch durch die Entsendung von Bodentruppen zur Kriegspartei zu werden, ist nichts anderes, als in einen offenen Krieg mit einer großen Atommacht einzutreten. Ist Frankreich dazu bereit? Hätte die Nation, die gern als 'Ausgleichsmacht' auftritt (auch das ein Macron-Zitat), sich nicht um eine verhandelte Lösung bemühen sollen, wie es von den Kriegsparteien vor einem Jahr in Istanbul versucht wurde? Auf jeden Fall braucht es darüber eine Debatte, vor allem in der Nationalversammlung.“
Ohne Grundlage vorgeprescht
Macron war voreilig, kommentiert Politikanalyst Cristian Unteanu in Adevărul:
„Normalerweise würde eine solche Option eine Änderung der klassischen strategischen Haltung der Nato bedeuten und das ist nichts, was auf einer Konferenz in Paris entschieden wird. So etwas würde auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs entschieden und offensichtlich auch erst, wenn es einen Wechsel an der Nato-Spitze gegeben hat und die Ergebnisse der Wahlschlacht in den USA bekannt sind. Zudem hat eine solche Diskussion unter den derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen in Europa keinerlei glaubwürdige wirtschaftliche Grundlage. Nicht einmal 30 Prozent der von westlichen Anführern mit viel Pathos versprochenen Artilleriegeschosse in die Ukraine sind geliefert worden.“
Paris will den Druck auf Berlin erhöhen
Deutschland könnte mehr für die Ukraine tun, findet Kauppalehti:
„In der EU ist es üblich, dass bei den großen Fragen die Idee aus Frankreich kommt und Deutschland darauf zurückhaltend reagiert. Dann wird an einer gemeinsamen Linie gefeilt. … Macron will den Druck auf Deutschland erhöhen, denn Scholz hat noch immer nicht der Entsendung der leistungsstarken Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zugestimmt. … Experten zufolge sind Macrons Initiativen deutlich offensiver geworden. Nach der Sitzung sagte Macron: 'Wir tun alles Nötige, damit Russland den Krieg nicht gewinnt.' Fraglich ist, ob auch Deutschland genug tut.“
Beklagenswerte europäische Kakofonie
Zeit Online kann die Kritik an dem Vorschlag nachvollziehen:
„Macron-Bashing, das hat jetzt durchaus seine Berechtigung. Denn es gab keine Notwendigkeit, weiter an der Eskalationsspirale zu drehen. Aber das ist nur der eine Teil. Denn diesem säbelzückenden, nach vorn stürmenden prächtigen Franzosen steht der deutsche Buchhalterkanzler gegenüber, der sich beharrlich weigert, Taurus-Raketen an die Ukraine zu liefern. Hier der Glanz des Franzosen, dort das Grau des Deutschen. Weder das eine noch das andere hilft der Ukraine. Welch beklagenswerte europäische Kakofonie das doch ist, in einem Augenblick, in dem Europa dem russischen Imperialismus geschlossen und entschlossen entgegentreten müsste.“