Ist Europa bereit für 2025?
Anhaltende Kriege in der Ukraine und in Nahost, wenig Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel, Unsicherheit durch den Machtwechsel im Weißen Haus: Auf Europa kommen auch im neuen Jahr große Herausforderungen zu. Wie sich die EU dabei positionieren sollte, debattiert die Presse.
Unabhängigkeit erfordert Arbeit
Europa muss das Tempo erhöhen, fordert Le Soir:
„Die Beziehung Trump-Putin wird enorme Auswirkungen auf das geopolitische Gleichgewicht haben - von der Ukraine über den Nahen Osten bis hin zu Afrika und der Weltwirtschaft. Und wo steht Europa? Es steht vor der großen Aufgabe, keine bloße Zuschauerrolle einzunehmen. ... Europa muss sich an die Arbeit machen, um die falschen politischen Spiele zu überwinden, eine europäische Verteidigung aufzubauen, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, den immer verheerenderen Folgen des Klimawandels entgegenzutreten, unsere demokratischen Werte zu verteidigen und uns in der Welt der Zukunft zwischen KI und den Big Tech zu behaupten. … Wenn wir vermeiden wollen, dass unser Schicksal (zu sehr) von Trump und Putin abhängt, ist das der einzige Weg.“
Auf neue Phase des Kriegs vorbereiten
In Tygodnik Powszechny prognostiziert Wojciech Konończuk vom staatlichen Thinktank OSW:
„Nach Trumps Amtsantritt wird es vermutlich einen von den USA initiierten Gesprächsversuch [zur Beendigung des Ukraine-Krieges] geben, der aber höchstwahrscheinlich scheitern wird. Dies wiederum wird dazu führen, dass der Krieg in eine neue Eskalationsstufe eintritt. Was Trump dann tun wird, ist eine offene Frage. Es ist schwer vorstellbar, dass er die Ukraine an Putin ausliefern will. So oder so wird der künftige US-Präsident sicherlich einen größeren Teil der Kosten für die Unterstützung der Ukraine auf die Europäer abwälzen wollen. Die europäischen Länder, einschließlich Polen, werden vor einer Herausforderung stehen, auf die sie noch nicht vorbereitet sind.“
Erhöhter Druck verstärkt Spaltungsgefahr
Naftemporiki ist besorgt:
„Für die EU besteht das Hauptrisiko unter Trump 2.0 darin, dass der Druck durch die USA die Zersplitterung und die Spaltungstendenzen unter den Mitgliedstaaten verstärken wird. Die desolate innenpolitische Lage in Frankreich und Deutschland, den beiden größten europäischen Volkswirtschaften, lässt die EU ohne starke politische Führung zurück. Die Lage wird sich noch verschlimmern, wenn Trump die Hilfe für den Krieg in der Ukraine kürzt oder sich aus der Nato zurückzieht. Die Europäer werden einen viel größeren Anteil an den Verteidigungskosten tragen müssen, was das Haushaltsproblem weiter verschärfen wird.“
EU-Strukturen sind ein Bremsklotz
Die EU muss ihre Entscheidungsprozesse reflektieren, fordert Corriere della Sera:
„Wir alle wissen inzwischen, dass Europa nicht mehr auf die 'Pax Americana' zählen kann, die ihm Exportmärkte garantierte und es militärisch schützte. Was heißt das für die Zukunft? ... Die erste Feststellung ist, dass wir Europäer in diesem Kontext zwar den Vorteil haben könnten, neue gemeinsame Antworten finden zu müssen, doch dass dieses Unterfangen dadurch begrenzt wird, dass wir keine Föderation sind, sondern eine Union, in der die meisten Kompetenzen bei den Staaten liegen, die oft durch unterschiedliche Interessen gespalten sind. ... Trotz der Erkenntnis, dass der geopolitische Wandel eine größere Fähigkeit zur gemeinsamen Initiative erfordert, ist es illusorisch zu glauben, dass dies ohne ein radikales Überdenken der europäischen Integration geschehen kann.“
Eigene Plattformen für öffentliche Debatte
Die EU braucht eine breite öffentliche Debatte, mahnt Maria João Rodrigues vom Thinktank Foundation for European Progressive Studies in Público:
„Es reicht nicht aus, einen neuen strategischen Konsens zu finden und die Koalition der pro-europäischen Kräfte in den EU-Institutionen zu stärken. Es wird notwendig sein, die Unterstützung der europäischen Bürger auf der Grundlage einer eingehenden demokratischen Debatte zu mobilisieren. Für eine solche europäische öffentliche Debatte reicht es nicht aus, die Meinungsfreiheit und den Pluralismus zu verteidigen. Die EU kann sich nicht in die Hände von sozialen Netzwerken wie X (ehemals Twitter) oder Tiktok begeben; sie wird ihre eigene Medieninfrastruktur aufbauen müssen, um die Grundlagen ihrer Souveränität wiederzuerlangen.“
Von der Leyen gibt die Marschroute vor
Expressen analysiert:
„Die EU müsste zu einer Verteidigungsunion werden – sowohl militärisch als auch zur Verteidigung dessen, was man 'die europäische Lebensweise' nennt, also Handel für Wohlstand und soziale Reformen zur Verteilung des Reichtums, Demokratie und einen Rechtsstaat, in dem unabhängige Gerichte Korruption bekämpfen, Minderheiten werden wie die Mehrheit behandelt, alle sind vor dem Gesetz gleich. Im Jahr 2025 werden konkrete Vorschläge von der Leyens zeigen, wofür sich EU-Regierungen angesichts einer zusammenbrechenden Weltordnung entscheiden – eine harte Anpassung oder Versuche, Trump zum richtigen Weg zu überreden.“