Mehr Geld fürs Militär: Woher nehmen?
Überall in Europa suchen Regierungen nach Möglichkeiten, mehr Geld für Rüstung auszugeben. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will dafür die EU-Schuldenregeln aufweichen. Der britische Premier Keir Starmer hat am Dienstag eine Erhöhung des Verteidigungsetats seines Landes auf 2,5 Prozent des BIP bis 2027 angekündigt. Europas Medien fragen sich, ob damit langfristig die richtigen Prioritäten gesetzt werden.
Die Last tragen die kommenden Generationen
Die Lockerung der EU-Schuldenregeln ist für Länder wie Italien wohl der einzige Weg, mehr Rüstung zu finanzieren, gesteht Corriere della Sera ein, vermisst aber eine klare Diskussion:
„Die Verdrängung der Realität ist eine Angewohnheit, die sich immer mehr durchsetzt. ... Über die Verteidigungsausgaben reden wir so wenig wie möglich. Kaum jemand nimmt zum Beispiel folgenden Aspekt der Realität wahr: Obwohl unsere exorbitante Staatsverschuldung 138,4 Prozent des BIP erreicht hat, darf unser Land sie weiter erhöhen, sollte von der Leyens Vorschlag nicht auf Ablehnung stoßen. Für mehr Verteidigung ist dies vielleicht die einzig mögliche Lösung. ... Doch es ist auch eine Erlaubnis, mehr Schulden auf die Schultern der neuen Generationen zu laden.“
Aufrüsten alleine reicht nicht
Ohne wirtschaftliche Reformen bleibt die strategische Autonomie eine Illusion, argumentiert Politologe Yascha Mounk in Le Point:
„Eine Erhöhung der Militärausgaben, selbst wenn sie entscheidend ist, wird nicht ausreichen, um den Kontinent wieder wirklich handlungsfähig zu machen. Denn langfristig hängt die militärische Stärke zutiefst vom wirtschaftlichen Wohlstand ab. Um also die strategische Autonomie Europas zu nähren, werden die Entscheidungsträger auch radikale Reformen durchführen müssen, die unerlässlich sind, um den scheinbar unaufhaltsamen wirtschaftlichen Niedergang des Kontinents umzukehren.“
Selbstverschuldetes Dilemma
Die EU muss vor der eigenen Türe kehren, schreibt der Politologe Kęstutis Girnius in Delfi:
„In gewisser Hinsicht sind Empörung und Verwunderung der Europäer nachvollziehbar, doch sie widerspiegeln auch die unehrliche Weigerung anzuerkennen, dass ihre Politik Trumps Reaktion mitverursacht hat. Die EU profitierte vom US-Schutz, versäumte aber, ihre Streitkräfte angemessen zu finanzieren. Statt der vereinbarten zwei Prozent des BIP gaben viele Staaten nur rund ein Prozent aus. ... Dabei ist die EU kein Zwerg: ... Trotz verlangsamtem Wachstum bleibt sie nominal die zweitgrößte und kaufkraftbereinigt die drittgrößte Wirtschaft der Welt. Die mangelnde Finanzierung der Verteidigung war eine souveräne Entscheidung der EU-Staaten – sie allein tragen die Verantwortung für ihre schwachen militärischen Kapazitäten. ... Wenn Europa in Gefahr ist, dann aus eigener Nachlässigkeit.“
Eine destruktive Logik
Höhere Verteidigungsausgaben durch Streichung von Entwicklungshilfe zu finanzieren, wie es Keir Starmer angekündigt hat, ist für The Guardian keine gute Idee:
„Es ist falsch, die Armen der Welt für die Sicherheit Großbritanniens zahlen zu lassen. Das ist Sparen am falschen Ort. Kürzungen der Entwicklungshilfe machen die Welt nicht sicherer, im Gegenteil. Die Krisen, die Konflikte schüren – Armut, Failed States, Klimakatastrophen und Massenvertreibungen – werden durch weniger Entwicklungsgelder nur noch schlimmer. Die Logik der Labour-Partei ist selbstzerstörerisch: Die Umverteilung von Geldern von der Entwicklungshilfe zur Verteidigung schafft keine Sicherheit, sondern untergräbt sie.“
Kaum mehr als eine Erste-Hilfe-Maßnahme
Die von Starmer versprochenen zusätzlichen Mittel für den Verteidigungsetat reichen bei weitem nicht aus, behauptet hingegen The Spectator:
„Tatsächlich hat Starmer nur einen Druckverband angelegt, um eine blutende Wunde zu stoppen. ... Mehr Geld ist sicher besser als weniger. Aber diese bescheidene Erhöhung, die erst in zwei Jahren in Kraft tritt, ist kein Wendepunkt: Sie ermöglicht keine großen neuen Beschaffungsprogramme oder technologischen Innovationen. Bestenfalls hält sie das Vereinigte Königreich am Gesprächstisch. Wenn Starmer glaubt, zu seinem Besuch in Washington ein gemästetes Opferkalb mitzubringen, für das er gelobt wird, könnte er von Präsident Trumps Einschätzung enttäuscht werden.“