Balkanroute ist geschlossen
Im griechisch-mazedonischen Grenzort Idomeni sitzen derzeit mehr als 12.000 Menschen fest. Sie kampieren in einfachen Zelten, die angesichts des starken Regens im Schlamm versinken, und sie riskieren ihr Leben, um über die Grenze zu gelangen. Wer hilft den Menschen in Idomeni?
Idomeni wird von Künstlern missbraucht
Dass immer mehr Politiker und Künstler das Flüchtlingscamp Idomeni besuchen, kritisiert die konservative Tageszeitung Kathimerini:
„Idomeni ist zu einem Reiseziel von Pressefotografen, Filmemachern, Durchreisenden, Aktivisten aller Art und staatlichen Repräsentanten geworden. Und wie immer in solchen Fällen, stechen ihre Stimmen besonders heraus. … Idomeni ist ideal für fotogene Attraktionen. Nicht nur der international bekannte chinesische Künstler Ai Weiwei trug seinen Aktivismus dahin. Er ließ ein Klavier aufstellen, auf dem eine junge Syrerin spielte, während die schon wartenden Kameras und Handys auf sie gerichtet waren. Solche Ereignisse dulden es nicht, weit entfernt zu sein. Wenn man Followers und Likes haben will, muss man vor Ort extreme Dinge machen, laut schreien und Katastrophen ankündigen.“
Zynischer Umgang mit Flüchtlingen in Idomeni
Etwa tausend Flüchtlinge aus Idomeni haben am Montag versucht, über einen Fluss von Griechenland nach Mazedonien zu gelangen. Offenbar wurden sie durch eine Flugblattaktion dazu angeregt. Es war eine rücksichtlose Aktion, kritisiert die linke Tageszeitung taz:
„Es ist nur zynisch und rücksichtslos, bei Menschen Hoffnungen auf die Erfüllung ihrer Träume zu wecken und sie in Lebensgefahr zu bringen, wenn man sich vorher schon denken kann, dass ihre Erwartungen enttäuscht werden. Brutale Grenzer aus Mazedonien zählen ebenso zu dieser Inszenierung wie die Bilder von Flüchtlingen, die einen reißenden Bach überqueren. Dieses Vorgehen hat Menschen zu Objekten einer gescheiterten politischen Aktion gemacht.“
Athen instrumentalisiert Flüchtlingselend
Nach der Flugblattaktion in Idomeni ist klar geworden, dass Griechenland keinen Plan hat, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen, meint die liberale Onlinezeitung To Vima:
„Unabhängig davon, wer diesen Ansturm von Flüchtlingen organisiert hat, die Szenerie, die die ganze Welt beobachten konnte, offenbart das Fehlen eines Reaktionsplans und die volle Schwäche der staatlichen Verwaltung. Jeder erwartete, dass dieses Chaos, das völlige Fehlen des Staats, an einem gewissen Punkt zu unkontrollierten und gefährlichen Situationen führen wird. Aber die Regierung hat offensichtlich bewusst entschieden, dies zuzulassen, um es als Druckmittel zu benutzen.“
Kommen die Flüchtlinge jetzt über Russland?
Die Letten sollten sich nicht darüber freuen, dass die Balkanroute dicht gemacht wurde, meint die nationalkonservative Tageszeitung Neatkarīgā und schließt nicht aus, dass an Lettlands Grenze zu Russland bald Schlepper ihr Unwesen treiben werden:
„Nachdem die Balkanroute geschlossen wurde, suchen die Flüchtlinge schon jetzt neue Wege. Es wird darüber spekuliert, dass ein Weg über Russland und weiter über Lettland führen könnte. ... Wird Lettland ausreichend finanzielle Mittel im Jahreshaushalt haben, um seine östliche Grenze zu stärken? Vielleicht ist das nicht eine Frage des Haushalts, sondern eine Frage der Ehrensache von Menschen, die an der Grenze wohnen. Alle wissen, dass die Armut an der östlichen Grenze und der Wunsch der Einheimischen, mit Schmuggelwaren Geld zu verdienen, hoch sind. Nun könnten die Menschen dort auch versuchen, andere 'Geschäfte' zu machen.“
Warum Merkel diesmal nicht hilft
Was heute anders ist als im September 2015, als tausende Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland weiterreisen durften, analysiert der liberalkonservative Tagesspiegel:
„Merkels Weigerung, nun erneut eine größere Zahl von Flüchtlingen in Deutschland aufzunehmen, auch um einer weiteren Destabilisierung Griechenlands entgegenzuwirken, [wird] klaglos hingenommen. Keine Proteste. ... Die neuen Zeiten zeugen von einer ungewohnten Härte im Aushalten schrecklicher Bilder, von einem verschärften Asylrecht, von kontrollierten oder geschlossenen Grenzen und von der teils resignativen, teils realistischen Erkenntnis: Wir schaffen (es) nicht mehr. Merkels Flüchtlingspolitik war für sie wie für das Land ein Crashkurs über Möglichkeiten und Grenzen praktizierter Nächstenliebe.“
Flüchtlinge als Chance für die Wirtschaft
Die 36.000 Migranten, die derzeit in Griechenland festsitzen, können eine Chance für das krisengeschüttelte Land sein, meint das liberale Webportal Protagon:
„Nun ja, die Einrichtung und der Betrieb von Flüchtlingslagern können Wachstum bringen und dem leblosen Körper der griechischen Wirtschaft neue Energie verleihen. Damit dies passiert, braucht es aber eine neue politische Perspektive. Die politische Führung und die öffentliche Meinung empfinden die Flüchtlingskrise ähnlich einer Naturkatastrophe. Wie auch immer, es ist an der Zeit, sie realistisch zu betrachten - als etwas, das sich zu einer Chance entwickeln kann. … Das nationale Ziel sollte nun klar und zynisch sein: das Geld. Viel Geld für die Entwicklung und den Betrieb von Infrastrukturen.“
EU verlässt sich auf Nicht-Mitglied Mazedonien
Mazedonien soll die EU vor dem Flüchtlingsandrang schützen, wird aber nicht in die EU aufgenommen, kritisiert Zoran Ilievski, Berater des mazedonischen Präsidenten, in einem Interview für die Tageszeitung Sega:
„Es ist doch paradox: Die Flüchtlinge kommen aus dem EU-Land Griechenland und die EU verlangt von uns, die Grenzen zu sichern. ... Obwohl wir weder in der EU noch im Schengenraum sind, wird von uns erwartet, die westlichen Schengenstaaten vor Flüchtlingen zu schützen, die über den Schengenstaat Griechenland einreisen. Die mazedonischen Bürger fragen: Warum müssen wir Millionen Euro für den Grenzschutz ausgeben, ohne die Vorteile der EU-Mitgliedschaft zu genießen? Wir sammeln die Daten der Flüchtlinge, aber wir können sie nicht weiterleiten, weil wir keinen Zugang zum Schengener Informationssystem haben. Heißt das, dass wir gut genug sind, um das Haus der EU zu bewachen, aber nicht gut genug, um darin zu wohnen?“
Immer muss Griechenland leiden
Die EU lässt Griechenland sehenden Auges in die Katastrophe stürzen, bemerkt die Wochenzeitung Kapital:
„Griechenland bekommt das Scheitern der EU stets am deutlichsten zu spüren. Die Defekte der Eurozone, zusammen mit der Verantwortungslosigkeit der Politiker in Athen verdammten es zu einer jahrelangen Rezession. Nun droht die Unfähigkeit der EU bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise, das Land in eine humanitäre Katastrophe zu stürzen. Es wird zwar beteuert, dass man es nicht so weit kommen lassen würde: 'Glauben Sie ernsthaft, dass alle Eurostaaten im letzten Jahr bis zum Letzten gekämpft haben dafür, Griechenland im Euroraum zu halten, um anschließend, ein Jahr später, Griechenland ins Chaos zu stürzen?', fragte Merkel in einer ARD-Sendung. … Im Moment überwiegt dennoch das Gefühl, dass die EU die Griechen im Stich lässt. ... Bald sitzen in Griechenland 70.000 Flüchtlinge fest.“
Nothilfepaket reicht nur für weitere "Dschungel"
Das in Aussicht gestellte Geld ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, mahnt die liberale Wirtschaftszeitung L'Opinion:
„Es wird nicht ausreichen - außer dazu, am Ufer der Ägäis genau solche 'Dschungel' zu errichten, wie die, die wir an der Nordseeküste sehen. Der Flüchtlingsstrom wird nämlich nicht abreißen. … Selbst wenn sich die Lage in Syrien beruhigt, werden mit Sicherheit Hunderttausende dieses Jahr ihr Glück wagen. Das zweite Jahr in Folge steht Griechenland somit im Zentrum einer schlimmen europäischen Krise, doch diesmal ist das Land Opfer seiner geografischen Lage und nicht nur der Nachlässigkeit seiner Regierenden. Wie alle anderen in Europa kann Griechenland diese Situation nicht allein bewältigen. Angela Merkel, die zuvor als Zuchtmeisterin der Eurozone dargestellt wurde, ruft nun zur Solidarität mit Athen auf, um zu verhindern, dass die EU-Staaten sich abschotten. Zu Recht!“
Die Wiedergeburt der k.u.k.-Monarchie
Das Nothilfepaket der EU-Kommission wird die Katastrophe nicht verhindern, warnt die liberale Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore:
„Vor den Kopf stößt, mehr noch als die Flüchtlingsobergrenzen, die plötzliche Wiederbelebung des österreichisch-ungarischen Reiches. Die hat der österreichische Kanzler Werner Faymann bewerkstelligt, um unter vier Augen mit den Balkanstaaten (ohne Athen und ohne Benachrichtigung der EU–Partner) zu verhandeln und die Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland dicht zu machen. Als ob es nur seine und die Grenzen der Mazedonier wären und nicht auch die Griechenlands und der EU. … In der Hoffnung, die immer deutlicheren Risse in der EU zu flicken, kündigt die Juncker-Kommission ein Nothilfepaket von 700 Millionen Euro in drei Jahren an. Besser als nichts - und dennoch fast nichts. Allein, um die humanitäre Katastrophe an der Grenze mit Mazedonien zu verhindern, braucht Griechenland 480 Millionen Euro und zwar sofort.“
EU darf Athen nicht im Stich lassen
Die übrigen EU-Staaten müssen Griechenland unbedingt helfen, mahnt die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza:
„Der griechische Premier Alexis Tsipras steht mit dem Rücken zur Wand. Einerseits muss er seinen Sparkurs halten. Andererseits kann er keine weitere finanzielle Hilfe von Europa in der Flüchtlingsfrage erwarten. Länder wie Österreich, Ungarn und Mazedonien haben sich bereits von den Griechen abgewandt und werfen ihnen vor, sie seien nicht in der Lage, die Krise in den Griff zu bekommen und ihre Grenzen zu schützen. Dies ist ein absurder Vorwurf. Denn was sollen sie denn machen? ... Sollten die anderen Länder die Griechen nicht endlich entlasten und auch Flüchtlinge aufnehmen, wird ganz Europa die Kosten dafür tragen müssen. Und dann kann man auch nicht mehr ausschließen, dass Europa langsam auseinander fällt.“
Tourismus in Griechenland ist in Gefahr
Die griechische Tourismusbranche verzeichnet in diesen Wochen einen starken Rückgang der Urlaubsbuchungen und eine zunehmende Zahl von Stornierungen. Die Wirtschaftszeitung Imerisia schlägt Alarm:
„Es ist die denkbar schlechteste Werbung für den griechischen Tourismus, wenn die 'Flüchtlingsbombe' in den Nachrichten in Europa und den USA an erster Stelle kommt. Die Regierung und das Tourismusministerium müssen sich sehr anstrengen, um die Branche zu schützen. Sonst kommt es wieder zu einer Rezession, und die Hoffnungen auf eine finanzielle Erholung schmelzen dahin. ... Wenn in diesem Jahr deutlich weniger Touristen kommen, weil sie sich vor der Situation in Griechenland fürchten, wird es weniger Einnahmen geben. Die Arbeitslosigkeit wird zunehmen und tausende Mittelstandsfirmen in der Tourismusbranche werden einen Rückschlag erleiden.“