Ceta auf der Kippe
Ob das Freihandelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada Ende Oktober unterschrieben wird, ist weiterhin ungewiss. Das Parlament der Wallonie lehnte Ceta am Freitag ab. Die Zentralregierung von Belgien darf das Abkommen aber nur mit Zustimmung der drei Regionen unterschreiben. Für einige Kommentatoren wäre ein Scheitern eine gute Nachricht. Andere sehen Ceta als zu wichtig an, um es zu begraben.
Widerstand gegen die Globalisierung wächst
Die Ablehnung von Ceta sollten diejenigen, die in der EU das Sagen haben, ernst nehmen, warnt Libération:
„Die Verträge der neuen Generation, die die Normen harmonisieren, werden als ein Element wahrgenommen, das die Autorität des Staats, und damit der Bürger, untergräbt, und dafür dem Big Business zu Gute kommt. Sicherlich kann man anmerken, dass der Rest der Welt sehr von der Globalisierung profitiert hat. Aber die europäischen Bürger wählen nicht in Indien oder Brasilien, sondern hier und heute, und Egoismus ist der Wert, den alle Welt teilt. Es liegt im Wesen der EU, vom Freihandel überzeugt zu sein. Aber die Union und die Regierungen, deren Abbild sie ist, muss sich vorsehen: Die Ablehnung der Globalisierung geht Hand in Hand mit der Ablehnung Europas, das man als deren trojanisches Pferd sieht. Die Flucht nach vorne Richtung Freihandel wird an der Wand des Nationalismus enden.“
EU sollte Ceta und TTIP fallen lassen
Sollte Ceta doch noch scheitern, wäre das gar nicht schlecht, meint Kolumnist Wolfgang Münchau in der Financial Times:
„Ich denke, dass einige Aspekte des Abkommens wie etwa die nicht-staatlichen Schiedsgerichte undemokratisch und mit europäischen verfassungsrechtlichen Prinzipien unvereinbar sind. ... Die EU wird vermutlich nach einem möglichen taktischen Rückzieher versuchen, das Abkommen zu retten und dieses Monster bei der nächsten passenden Gelegenheit neu aufs Tapet zu bringen. Doch ob sie damit Erfolg haben wird, ist unklar. Ceta und TTIP sind zu zwei der giftigsten politischen Themen unserer Zeit geworden - so wie die nuklearen Mittelstreckenraketen in den 1980er-Jahren und der Irak-Krieg in den 2000er-Jahren. Beide Handelsabkommen bringen Vorteile. Doch diese stehen in keinem Verhältnis zu den Schwierigkeiten.“
Es fehlt die inhaltliche Debatte
Linke und rechte Demonstranten haben am Samstag in Warschau gegen das geplante Ceta-Abkommen protestiert. Roman Imielski, der neue Chef des Onlineportals der Gazeta Wyborcza, bedauert, dass Ceta zum politischen Spielball geworden ist:
„Ich persönlich bin dafür, den Vertrag zu unterzeichnen. Ich finde, dass sich die westliche Welt auch wirtschaftlich verbinden muss, um gemeinsam die globalen Herausforderungen anzunehmen. Ich nehme jedoch die Zweifel derjenigen ernst, die Angst vor den Auswirkungen der Verträge zwischen der EU und Kanada haben. Darüber sollte eine richtige öffentliche Debatte über die Vor- und Nachteile organisiert werden. Leider wollen sich unsere Politiker lieber nur einen politischen Schlagabtausch liefern. Dies ist für sie leichter, als zu klären, ob denn dadurch tatsächlich genmanipulierte Lebensmittel unsere Märkte überschwemmen, was viele befürchten. In Wirklichkeit stimmt das nämlich nicht, weil die Qualitätsnormen der einzelnen Länder gelten.“
Vorbildliche Vernunft aus Karlsruhe
Der Standard sieht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als den dringend nötigen Versuch, die Debatte um Ceta wieder abzukühlen:
„Nun hat 'Karlsruhe' enormes politisches Gewicht nicht nur in Deutschland ... Es wirkt stark auch auf das Vorgehen in anderen Ländern und in den EU-Institutionen. Das hat sich in den vergangenen Jahren bereits bei ebenso heftig umkämpften Urteilen zur Eurorettung gezeigt. So könnte man es nun auch bei Ceta machen: Einen höchst komplexen EU-Vertrag in Ruhe abarbeiten, auch gesellschaftlich. Das gilt umso mehr, als der Widerstand gegen gemeinsamen EU-Außenhandel sich vor allem im wirtschaftlich starken Zentrum der Union äußert, so stark wie nirgendwo sonst: in Deutschland und Österreich, stark polarisiert und angefeuert durch gut organisierte Kampagnen. Ein Schritt zurück zur Vernunft täte allen gut: Karlsruhe hat es vorgezeigt.“
EU als Partner nicht vertrauenswürdig
Dass Karlsruhe das Freihandelsabkommen vorerst nicht gestoppt hat, ist für Die Welt nur ein schwacher Trost:
„Dass die Ceta-Gegner nun vor dem obersten Gericht gescheitert sind, das Abkommen auf dem EU-Kanada-Gipfel unterzeichnet und vorläufig in Kraft treten kann, ist zunächst eine gute Nachricht. Aber die größten Hürden hat Ceta damit nicht genommen. Das Abkommen muss von 42 nationalen Parlamenten in den EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Stimmt eins dagegen, ist das Abkommen gescheitert. ... Und damit wird sich der Rest der Welt weiter fragen, ob die Europäische Union überhaupt noch handlungsfähig ist. Ob Europa ein verlässlicher Partner sein kann. Einer der entscheidenden Punkte bei Ceta ist es, darauf eine Antwort zu geben.“
Ein Lichtblick in der Handelswelt
Das niederländische Parlament wird dem Freihandelsvertrag Ceta am heutigen Donnerstag zustimmen. Das lobt De Volkskrant:
„Dass rationale Entscheidungen im politischen Theater immmer häufiger scheitern, kommt zum Teil durch die Angst der Politiker, sie öffentlich zu verteidigen. Dieses Phänomen heißt Angst vor dem Wähler, ein Nebenprodukt des Populismus. ... Davon ist nun zum Glück keine Rede. ... Bei den Verhandlungen über Ceta wurden die Beschwerden der Gegner berücksichtigt. Der angepasste Vertrag kann die Basis sein für andere Handelsverträge. ... Leider sind die weltweiten Handelsverhandlungen seit Jahren in einer Sackgasse. Das ist vor allem für die ärmsten Länder (für die Aktivisten früher noch auf die Straße gingen) eine schlechte Entwicklung. In einer Welt, in der immer mehr Spieler sich nicht um die Spielregeln scheren und in der der Merkantilismus zunimmt, wäre es höhnisch, einen Handelsvertrag mit klaren Absprachen zwischen großen demokratischen Ländern einfach platzen zu lassen.“
Bulgariens Zustimmung billig erkauft
Bulgariens Regierung hat ihre Zustimmung für das Ceta-Abkommen auf schändliche Weise gegen die Visafreiheit für Bulgaren eingetauscht, schimpft Duma:
„Als die Meldung von der etappenweisen Aufhebung der Visapflicht für Bulgaren in Kanada ab dem 1. Mai 2017 in den Medien auftauchte, schöpfte zunächst niemand Verdacht. Doch die Geschichte hat zwei Seiten. Getreu dem Motto: 'Immer die Wahrheit, aber niemals die ganze Wahrheit sagen', hat man uns verschwiegen, welchen Preis wir dafür zahlen müssen. Der Preis ist Bulgariens Unterschrift unter Ceta. ... Alle sieben Millionen Bulgaren, die in Bulgarien leben, müssen für Jahrzehnte dafür aufkommen, damit ein paar Tausend unserer Mitbürger frei nach Kanada einreisen können. Wir wissen nicht einmal wie viele es sind. ... Es sind geschätzt zwischen 30.000 und 150.000, aber selbst wenn es doppelt so viele sind, müssen sieben Millionen für sie daheim die Folgen von Ceta ausbaden.“
Freihandel ist wichtiger als Machterhalt
In Deutschland hat die SPD-Basis am Montag dem Freihandelsabkommen Ceta unter Auflagen zugestimmt, derweil sprach sich die österreichische SPÖ am Dienstag mit 88 Prozent eindeutig dagegen aus. Bei beiden Abstimmungen ging es jedoch nur um Machtpolitik, kritisiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Geht es überhaupt um Außenhandel und Ceta? Oder um Innenpolitik und Macht? Die sozialdemokratischen Regierungsparteien in Deutschland und Österreich, SPD und SPÖ, haben in sich hineingehorcht. ... Letztlich aber wollen beide Parteien dasselbe: ihren Vorsitzenden den Rücken stärken. Sigmar Gabriel kann das in einer Zeit, in der Angela Merkel angezählt ist, gut gebrauchen. In Wien sucht Bundeskanzler Christian Kern neben der harten Haltung in der Türkei- und Flüchtlingsfrage ein weiteres populistisches Thema, um Wähler von der FPÖ zurückzugewinnen. Dass sich die beiden Politiker auf Kosten von Ceta profilieren, ist bedenklich. Freihandel ist wichtiger als Machterhalt - und er kommt viel mehr Menschen zugute.“
Ceta untergräbt Klimaziele
Eine Unterzeichnung des Freihandelsabkommens Ceta wäre eine deutliche Absage an die Beschlüsse des Pariser Klimagipfels, kritisiert ein Kollektiv von Nichtregierungsorganisationen in Libération:
„Wie soll das Ziel der Pariser Einigung, die Erderwärmung zu begrenzen, eingehalten werden, wenn wir Erdöl aus dem Ölsand Kanadas weiterhin massiv fördern und importieren? Dieser Brennstoff verursacht 49 Prozent mehr CO2 als herkömmliches Erdöl. Ceta macht jedoch keinen Unterschied zwischen schmutzigen und erneuerbaren Energien. Eines seiner Ziele ist es, den Energiehandel zwischen Kanada und Europa zu liberalisieren. Das Abkommen wird private Investitionen in Gewinnung und Transport von Energie fördern, wozu auch das aus Teersand gewonnene Erdöl zählt. Es sieht keine Ausnahme vor, die es einer Regierung erlauben würde, die Gewinnung oder den Import von fossilen Energien zu begrenzen.“
Abkommen schafft belgische Arbeitsplätze
Die belgische Zustimmung zu Ceta droht an den Regionen Brüssel und Wallonien zu scheitern. Eine Blockade wäre unverantwortlich, kritisiert der Vorsitzende des flämischen Unternehmensnetzwerks Voka, Hans Maertens, in Le Soir:
„Die vorgebrachten Gegenargumente sind größtenteils unbegründet. Beispielsweise der Vorwurf, dass Ceta die Demokratie gefährde. Ein seltsames Argument, da es doch die gewählten Regierungen sind, die im Europäischen Rat versammelt der EU-Kommission das Mandat erteilt haben, dieses Abkommen auszuhandeln. … Hoffen wir, dass Brüssel und Wallonien schnell zur Vernunft kommen. Wenn sie Ceta weiter blockieren, blockieren sie auch das, wofür die beiden Regionen kämpfen und was Ceta ermöglicht, und zwar die Schaffung zahlreicher zusätzlicher Arbeitsplätze in Wallonien und Brüssel. In wirtschaftlich unsicheren Zeiten, in welchen Tausende Jobs verloren gehen, wäre es daher seitens unserer Politiker unverantwortlich, reale Chancen auf Wachstum und somit auf die Schaffung von Arbeitsplätzen zu hemmen.“