Wie gefährlich ist die Nordkorea-Krise?
Das jüngste Säbelrasseln Nordkoreas und der USA hat in den Augen vieler Beobachter eine militärische Eskalation des Konflikts sehr viel wahrscheinlicher gemacht. Kommentatoren schätzen die Kriegsgefahr ein, beleuchten Hintergründe und loten die Möglichkeiten einer friedlichen Lösung aus.
Südkorea hat am meisten zu fürchten
Für Südkorea wäre eine militärische Eskalation fatal, analysiert der Blogger Világugar auf dem Blogportal PestiSrácok:
„Schließlich liegt Seoul gerade einmal 50 Kilometer von der nordkoreanischen Grenze entfernt. Obendrein hat der kommunistische Norden fast sein gesamtes Kriegsarsenal in der Grenzregion postiert, weshalb verheerende Militärschläge gegen die Hauptstadt Südkoreas und die dortige Zivilbevölkerung für Pjöngjang ein Leichtes wären. ... Eines ist sicher: Kim Jong-un würde nicht einen Moment zögern, Seoul dem Erdboden gleichzumachen. Selbst um den Preis eines vernichtenden Gegenschlags. Kim Jong-un steht eine Armee von 1,1 Millionen Soldaten zur Verfügung. Mitsamt den Reservisten liegt die Militärstärke Nordkoreas sogar bei fünf Millionen. Hinzu kommen nicht weniger als 4.200 Panzer. Ein Angriff auf Südkorea käme wohl einem Inferno gleich.“
Diplomatische Lösung nicht in Sicht
Eine Lösung des Konflikts ist derzeit unmöglich, kommentiert der Historiker und Asien-Experte François Godement:
„Diese Krise zwischen Nordkorea und den USA wird bereits seit ungefähr einem Jahrzehnt erwartet. Während Nordkorea rascher militärische Fortschritte gemacht hat als erwartet, hat es sich doch nie irgendwelchen internationalen Sanktionen gebeugt. Eine kurzfristige diplomatische Lösung ist nicht in Sicht, denn sie würde das Regime von Kim Jong-un nicht aufhalten. ... Das bedeutet gleichwohl nicht, dass wir uns auf eine militärische Austragung des Konflikts zubewegen. Die derzeitige Krisensituation ist nicht neu. Sie erinnert vielmehr an die Bush-Administration, die wie Donald Trump 'rote Linien' zog und sie verschob, wenn Nordkorea sie überschritt.“
Risiko des Atomkriegs wächst
Dieser Konflikt bedroht die freiheitliche Welt, fürchtet der Schriftsteller Markas Zingeris in Delfi:
„Angesichts der Schnelligkeit, mit der der US-Präsident das Kommando dafür gegeben hat, Syrien mit Tomahawk-Raketen zu beschießen, und angesichts der innenpolitischen Umstände, die ihn zu einem Präventivschlag bewegen könnten, wächst das Risiko eines Atomkriegs. ... Jeder Krieg, und - Gott bewahre - vielleicht gar ein Atomkrieg, setzt eine Kette unvorhersehbarer Ereignisse in Gang. Er wäre der Beginn einer anti-utopischen Ära [in Europa]. Dann, verehrte Europäer, wäre endgültig Schluss mit den liberalen Illusionen. Denen, die noch nicht von den populistischen Parteien und ihren vulgären politischen und kulturellen Diskursen beiseite gefegt wurden. Die Menschenrechte wie 'Würde', 'Leben' und 'Demokratie' würden dann Schritt für Schritt abgewertet.“
Die Macht der Ideologie
An Nordkorea zeigt sich, dass jedes kommunistische Regime sich letztlich isolieren muss, schreibt der Politologe Radu Carp auf dem Blog Adevărul:
„Ceauşescu, Castro, Kim Il-sung - sie alle wussten, dass jeder Demokratisierungsversuch für sie fatal wäre. Deshalb flüchteten sie in den Stalinismus - in Repression, völlige Planwirtschaft und totale Abschottung. ... Die typische Isolierung kommunistischer Regime führt unweigerlich zu der Überzeugung, dass auch potenzielle Partner in Wahrheit Feinde sind und auf Distanz gehalten werden müssen - auch mit Atomwaffen. Wir befinden uns gerade in einer Situation, in der ein totalitäres Nordkorea und ein quasi-diktatorisches Venezuela die globale respektive die regionale Sicherheit in Gefahr bringen ... Wer will da noch behaupten, dass Ideologien heute keine Rolle mehr spielen?“
Kultur der freien Welt nach Nordkorea bringen
Eine kulturelle Annäherung wäre die beste Lösung für den Nordkorea-Konflikt, argumentiert der Experte für Außenpolitik Pierre Rigoulot in Le Figaro:
„Der Horror des Regimes von Pjöngjang ermisst sich nicht allein an seinen apokalyptischen Drohungen, sondern an dem Los seiner Bevölkerung. ... Man muss Nordkorea für die Ideen, Bilder und die Musik der restlichen Welt öffnen. Eine komische Lösung? Es ist die Lösung der Zukunft. Die UdSSR hat sich aufgelöst, ohne dass je ein Schuss gefallen wäre. Und das, obwohl Moskau fast 12.000 strategische Nuklearsprengköpfe in seiner Hand hielt.“
Trump will Abschreckung, nicht Angriff
Le Figaro zeigt Verständnis für den US-Präsidenten:
„Sicher, Donald Trump ist auf seine Art und Weise aggressiv. Er ist sehr laut. Manche werden sagen, er ist ungeschickt, kontraproduktiv, ja gieße sogar Öl ins Feuer. Deshalb konzentriert man sich eher auf seine fehlende rhetorische Vorsicht - die tatsächlich erschreckend ist - als auf den Kern der Krise. ... [Nämlich] zu verhindern, dass der Satrap von Pjöngjang sich eine Atomwaffe zulegt. ... Donald Trumps Worte pfeifen wie Geschosse um die Ohren. Aber sein Ziel ist vielmehr Abschreckung als Angriff. Er hat übrigens mehrfach gesagt, dass er für den Dialog mit Kim Jong-un offen bleibt. ... Zu seinen Konditionen natürlich. Seine Strategie ist es, Stärke zu zeigen, um sie nicht benutzen zu müssen. ... Die Gefahr liegt nicht in Washington, sondern in Pjöngjang.“
Kim kann getrost bluffen
Kim Jong-un kann sich sicher sein, dass sein Zündeln keine militärischen Konsequenzen haben wird, meint die Sonntagszeitung Vasárnapi Hírek:
„Selbst wenn Kim keine besonders guten Karten haben sollte, kann er getrost bluffen. Das tut er auch. Und hält die USA dabei in Geiselhaft. Kim dürfte wohl richtig erkannt haben, dass die US-Generäle nie und nimmer zulassen würden, dass ihr Boss seine Drohungen wahrmacht. Schließlich wissen sie, dass dies unermessliche Menschenopfer nach sich ziehen würde (in Nord- und Südkorea gleichermaßen, aber vielleicht auch woanders auf der Welt). ... Und Kim und sein Regime wissen nur allzu gut, dass sie mit einem Angriff auf die USA Selbstmord begehen würden. Deshalb rasseln sie in alter Pjöngjang-Manier nur mit dem Säbel.“
Scheitert Diplomatie, muss Militärschlag folgen
Polens sozialdemokratischer Ex-Kulturminister Andrzej Celiński befürwortet auf seinem Blog in Polityka eine harte Haltung des US-Präsidenten:
„Im Falle Kims bleibt nur noch eine - die letzte - Phase der Diplomatie. In dieser Phase sollte klar sein: Wenn die Diplomatie scheitert, muss eine Militäroperation folgen. Andernfalls wird die Autorität der USA in Frage gestellt, der einzigen Macht, die in der Lage dazu ist, weltweit bestimmte Regeln internationaler Sicherheit durchzusetzen. Weder ein anderer Staat noch eine internationale Organisation kann heute die Rolle der USA ausfüllen. ... Mit der Atomwaffe und der Möglichkeit, diese tausende Kilometer weit zu schießen, kann Kim alle erpressen. Auch die USA. Und die Demokratie ist anfällig für Erpressung. Die USA sollten die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen in Nordkorea stoppen. ... Nur sie sind dazu in der Lage.“
Medien heizen die Stimmung an
Mit der Art ihrer Berichterstattung treiben die US-Medien das Säbelrasseln noch weiter an, kritisiert Kolumnist Toomas Alatalu in Eesti Päevaleht:
„Die auffällig kriegslüsternen Medien sind in dieser unerwarteten Situation diejenigen, die Öl ins Feuer gießen. Denn die bisherige Argumentation, dass Obama nicht die Möglichkeit ergriffen habe, Syrien zu bombardieren, ist dem Verlangen gewichen, Trump möge endlich etwas tun. Was tagtäglich in Syrien, Irak, Jemen und Libyen passiert, ist dabei wie vergessen. Die Öffentlichkeit will etwas Frisches, etwas Neues! ... Die Bürger müssen verstehen, dass es für Kim leicht ist, über Guam Schaum zu schlagen. Denn das kann er - er denkt also in realistischen Rahmen. Aber einen Krieg um Guam zu beginnen, das ist doch zu viel. Der asiatische Propagandaschaum muss früher oder später durch reale Gespräche ersetzt werden, an denen alle Großen teilnehmen.“
Pazifik-Bündnis muss Kim friedlich bezwingen
Internationaler Druck ist wirksamer als irrationale Drohungen, rät ABC:
„Droht ein ernstzunehmender Politiker mit apokalyptischen Waffen - so wie es Trump tat, indem er von zerstörerischen Mitteln sprach 'wie sie die Welt niemals zuvor gesehen hat' - müsste er auch zu deren Einsatz bereit sein, damit die Drohung effektiv ist. Große Töne allein stützen die Dynamik, auf der die Tyrannei in Pjöngjang basiert. Nordkorea ist unbedeutend genug, um es mit friedlichen Mitteln zu bezwingen. Die Mächte, die von einem potenziellen Konflikt am stärksten betroffen wären (USA, China und Japan) sollten es zwingen, die unvernünftige Wiederbewaffnung komplett aufzugeben, bevor Dinge geschehen, die nicht wieder rückgängig zu machen sind.“
So bekommen die USA China ins Boot
Wenn China Druck auf Kim ausüben soll, müssen die USA Peking etwas anbieten, erklärt Sme:
„China ist der Schlüssel für eine stabile Lösung. Es blickt aber anders auf die Krise. Während die USA die Abrüstung als Bedingung für Gespräche mit Pjöngjang sehen, ist das für Peking erst das Ziel. Aus chinesischer Sicht müssen die USA aufhören, mit militärischen Übungen in Südkorea Pjöngjang zu ärgern. ... Washington müsste sich völlig von der koreanischen Halbinsel zurückziehen und die Wiedervereinigung Koreas im chinesischen Einflussgebiet gestatten. Dann, aber erst dann, wäre Peking womöglich bereit, Kim zu entmachten. Der Rückzug aus der Region nach 75 Jahren würde zwar Trumps Draufgängertum, Amerika wieder groß zu machen, widersprechen. Ein militärischer Erstschlag aber wäre eine kolossale Dummheit.“
Frankreichs Erfahrung wird gebraucht
Der US-amerikanische Außenpolitik-Experte Boris Toucas fordert in Le Monde Paris zum Vermitteln auf:
„Um aus dieser Sackgasse zu kommen, benötigt man eine feine Mischung aus militärischem Druck und Verhandlungen. ... In den Verhandlungen müssen das Thema Sicherheit, die Stabilisierung der regionalen Kräfteverhältnisse und die Gesichtswahrung der Protagonisten angesprochen werden. Gerade Frankreich, das beim Atomabkommen mit dem Iran eine tragende Rolle spielte, könnte dabei helfen, die Ambitionen Nordkoreas einzubremsen, bevor man Mechanismen regionaler Stabilisierung einsetzt, die die Spirale der Eskalation stoppen. Um die Entwicklungen auf der Halbinsel besser antizipieren zu können, könnte Frankreich sich außerdem bemühen, die internen Mechanismen eines Regimes zu verstehen, das zwar gefährlich und hinterhältig ist, aber nicht unvorhersehbar.“
Peking muss Kim bändigen
China hat ein größeres Interesse als die USA, eine weitere Eskalation zu unterbinden, analysiert La Stampa:
„Ein neuer Koreakrieg hätte verheerende Folgen für das Land. Der Konflikt würde sich nicht, wie in den frühen 1950er Jahren, auf Korea beschränken, der Einsatz von Atomwaffen könnte schwerlich vermieden werden. ... China will heute eine wirtschaftliche Vormachtstellung in der Welt erzielen und die Rolle der USA als Vorreiter des Freihandels übernehmen. ... Diese Vision von China als Zentrum der Welt würde in den wenigen Sekunden, die für einen nordkoreanischen Raketenangriff oder gar einen amerikanischen Präventivkrieg mit 'Feuer und Zornesgewalt' nötig sind, zu Staub zerfallen. ... Aus eben diesem Grund muss China Kim zu bändigen wissen.“
Der Kampf um Anerkennung
Hürriyet hofft auf diplomatische Anstrengungen, um die Eskalationsspirale zu stoppen:
„Derzeit kann man kaum behaupten, dass das Risiko eines Gefechtes, das sich bis zu einem Nuklearkrieg hochschaukeln könnte, gegen Null geht. Internationale Beobachter sind der Ansicht, dass Nordkorea seine derzeitigen Maßnahmen so lange fortsetzt, bis es in den Augen der USA als legitime Nuklearmacht anerkannt wird. Es ist augenscheinlich, dass bis zu diesem Punkt keine diplomatische Lösung ins Spiel gebracht wird. ... Man muss noch einmal daran erinnern, dass die wichtigste Garantie für internationale Sicherheit nicht Aufrüstung, das Schüren von Spannungen, der Einsatz militärischer Gewalt oder die Drohung mit einem Einschreiten ist, sondern die Diplomatie.“
Mit der atomaren Gefahr leben
Die Welt muss wohl akzeptieren, dass Nordkorea zur Atommacht aufsteigt, meint auch Aamulehti:
„Trumps unüberlegte Worte zeigen die völlige Unfähigkeit zu verstehen, worum es bei der Nordkorea-Krise geht. ... Seit Jahrzehnten ist die Nordkorea-Frage eines der größten Probleme der USA. Lange war das wichtigste Ziel zu verhindern, dass Nordkorea Atomwaffen bekommt. Als dies misslang, wurde versucht, auf die Bedrohung durch Atomwaffen anderweitig zu reagieren. Es ist klar geworden, dass es für die Nordkorea-Krise nur schlechte Lösungen gibt. ... Falls in Nordkorea kein Wunder geschieht, muss man wohl lernen, mit der wachsenden Gefahr durch die Atomwaffen des Landes zu leben.“
Iran-Deal könnte Vorbild sein
Für die Frankfurter Rundschau gibt es nur einen Umgang mit dem Konflikt: Die Staatengemeinschaft muss Nordkorea dazu bringen, sein Atomprogramm unter internationale Aufsicht zu stellen:
„Kim giert nach internationalem Respekt, nach 'Gesicht'. Sein Land braucht zudem dringend Warenlieferungen, um nicht noch ärmer zu werden. Kim könnte den steigenden Lebensstandard seiner Genialität zuschreiben lassen. In direkten Verhandlungen wird er also zu Zugeständnissen bereit sein - auch zur Beschränkung seines Atomprogramms. ... Ein ähnliches Geschäft wie mit dem Iran wäre denkbar. Alle Ausrüstung zur Herstellung von Atombomben und Raketen kommt unter Aufsicht. Die vorhandenen Bomben sind getrennt von den Raketen zu lagern. Nordkorea bleibt im Besitz der Waffen, darf unter diesen Bedingungen aber wieder mit der Außenwelt handeln.“
Den Perspektivwechsel wagen
Je weiter eine Hauptstadt von Nordkorea entfernt liegt, umso unrealistischer ist die Einschätzung des Gefahrenpotentials, meint der Tages-Anzeiger und verweist auf den direkten Nachbarn der Kim-Diktatur:
„In Südkorea gilt Kim nicht als verrückt. Er spielt seine schlechten Karten gut. Die meisten halten ihn auch nicht für so selbstmörderisch, dass er sein Regime ins Verderben stürzen würde. ... Doch viele Südkoreaner zweifeln schon heute an der Bereitschaft der Amerikaner, für sie in den Krieg zu ziehen. In einen Krieg, der am ehesten durch ein fatales Missverständnis vom Zaun gebrochen würde. Ein solches ist mit Trump im Weißen Haus wahrscheinlich geworden.“