EU-Kommission startet Strafverfahren gegen Polen
Erstmals in der Geschichte hat die EU-Kommission Artikel 7 der EU-Verträge aktiviert und ein Sanktionsverfahren gegen einen Mitgliedsstaat eingeleitet. Sie wirft der Regierung in Warschau vor, die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben und damit die Grundwerte der Europäischen Union zu verletzen. Ist das Verfahren gerechtfertigt?
Totale Geringschätzung der EU
Das Verhalten von Polens Präsident Duda nach dem EU-Beschluss war überaus aufschlussreich, meint Polityka:
„Die EU hat verkündet, dass sie gegen Polen ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags einleitet. Gleich darauf verkündete Präsident Duda in einem eilig organisierten Auftritt, dass er die Gesetze über den Landesgerichtsrat und das Oberste Gericht unterschreiben werde. ... Genau diese Gesetze hatten die EU so sehr beunruhigt, dass sie sich entschloss, den vorletzten Schritt vor dem Stimmrechtsentzug zu gehen. Gleich nachdem der Vizepräsident der EU-Kommission [Frans Timmermans] dies verkündet hatte, erklärte Duda, dass er beide Gesetze unterschreiben werde. Das verdeutlicht doch, wie sehr Duda die Kommission, die EU und ihr Recht geringschätzt.“
Hoher Preis für selbstgewählte Isolierung
Polen hat nicht nur wegen seines Umgangs mit europäischen Werten ein Problem, glaubt Lidové noviny:
„Womöglich fällt Warschau jetzt auf die Füße, dass es innenpolitische Streitigkeiten auf die europäische Ebene gezogen hat. Etwa mit der Ablehnung einer Mandatsverlängerung für Donald Tusk an der Spitze des Europarats. Oder mit den Reparationsforderungen an Deutschland. Der Ungar Orbán, sonst Kaczyński ähnlich, hat solche Probleme nicht, er pflegt seine Beziehungen zu Österreich und Bayern. ... Werden die Visegrád-Staaten mit Polen solidarisch sein? Ungarn redet von Veto, die Slowakei schweigt, Tschechien wartet ab, wie die Sache ausgeht. Wenn es mal nicht um den Widerstand gegen Migration und Quoten geht, wackelt die Festung Visegrád.“
Brüssel will Exempel statuieren
Warum das Vorgehen der EU ein Affront gegen die polnischen Wähler ist, führt der Publizist Máté T. Gyula auf dem regierungsnahen Blogportal PestiSrácok.hu aus:
„Es geht einzig und allein darum, an Polen ein Exempel zu statuieren, damit sich ja niemand dem Willen Brüssels und Berlins widersetzt. Wenn doch, kommt die 'Atombombe'! Ungarn, Tschechen nehmt euch in Acht! ... Die konservative Regierung hat den Polen von Anfang an reinen Wein eingeschenkt. Bereits im Wahlkampf 2015 hatte sie ihre Pläne vorgestellt. Und die Polen haben dafür gestimmt! Brüssel will sich nun über den Willen der polnischen Wähler hinwegsetzen. Es will die Souveränität einer in freien Wahlen demokratisch gewählten Regierung beschränken! ... Brüssels Devise lautet: Hau auf Polen ein, damit es die anderen auch verstehen!“
Rumänien droht das Schicksal Polens
Angesichts von Rumäniens eigener umstrittener Justizreform könnte die EU-Kommission auch gegen Rumänien bald Sanktionen verhängen, fürchtet die Journalistin Ioana Ene Dogioiu in Ziare:
„In Rumänien würden wir dann einen wirtschaftlichen Albtraum erleben. ... Wenn die EU ein Exempel statuieren wollte, so wäre meiner Ansicht nach nicht Polen, sondern Rumänien der ideale Kandidat. Rumänien ist ein wirtschaftlich extrem anfälliges Land, hat weder wirtschaftliches Gewicht in der EU, noch besitzt es den Euro, noch ist es im Schengen-Raum. ... Natürlich denken die Vertreter der sozialliberalen Koalition von PSD und Alde nicht an solche Argumente. ... Doch sollten wir uns fragen, ob wir einen solchen Preis zahlen möchten, nur damit die Mafia nach Belieben stehlen und damit durchkommen kann.“
Es blieb keine andere Wahl
Für das Handelsblatt ist das harte Vorgehen gerechtfertigt, auch wenn das EU-Rechtsstaatsverfahren Schwächen habe:
„Weder wird es den völlig vernagelten Kaczynski zum Einlenken bewegen, noch kann es bis zum Schluss durchgezogen werden. Theoretisch könnte die EU einer uneinsichtigen polnischen Regierung am Ende die Stimmrechte im EU-Ministerrat entziehen. Dafür ist jedoch ein einstimmiges Votum aller EU-Staaten nötig. Dazu wird es nicht kommen, denn Ungarn weigert sich. ... Trotzdem hat die Kommission richtig gehandelt. Die PIS ist dabei, die Demokratie zu demontieren. Das darf keinem EU-Bürger egal sein - und auch der Wirtschaft nicht. Schließlich sind Rechtssicherheit und Freiheit auch für Investoren ein hohes Gut. In Polen sind Zehntausende gegen die Justizreform der Regierung auf die Straße gegangen. Die EU steht an ihrer Seite.“
Hoffentlich mehr als nur ein Bluff!
Gazeta Wyborcza mahnt, die EU müsse auf ihre Drohungen notfalls auch Taten folgen lassen:
„Jarosław Kaczyński hat jetzt seinen erträumten Moment der großen Schlacht - er alleine gegen die ganze EU. ... Möge die Europäische Union nicht nur bluffen. Denn wenn sie nicht in der Lage sein wird, schnell und angemessen auf die Entscheidungen der Regierung in Polen zu reagieren, dann verlieren die Befürworter der polnischen Demokratie im nächsten Jahr nicht nur die unabhängige Justiz sondern auch den Glauben an die Ernsthaftigkeit, die Autorität und den politischen Instinkt der EU-Spitzen.“
Brüssel misst mit zweierlei Maß
Will die EU-Kommission dem Demokratieverfall in der Gemeinschaft entgegenwirken, sollte sie auf Gleichbehandlung achten, mahnt L'Echo:
„Die Entscheidung der Juncker-Kommission isoliert Polen. Sie ist jedoch unzureichend, da Polen nicht das einzige Land in Europa ist, das sich in eine bedenkliche Richtung entwickelt. Es fällt einem schwer zu verstehen, warum die EU-Exekutive so streng mit Warschau ist, wo sie doch zulässt, dass in Spanien Volksvertreter inhaftiert werden, und einer österreichischen Partei gratuliert, die mit Neonazis koaliert. Es ist zwecklos, ein Exempel zu statuieren, wenn man andere gegen die Werte des 'Hauses Europa' verstoßen lässt.“
Spaltung der EU ist besiegelt
Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten wird letztlich die Antwort auf Entwicklungen wie in Polen und Ungarn sein, glaubt Wirtschaftsjournalist Moise Guran in seinem Blog Biziday:
„Wie lange, glauben Sie, lassen sich die westeuropäischen Länder, die durch die EU-Fördermittel zur Entwicklung dieser Ostländer beitragen, noch von Ländern wie Polen und Ungarn auf der Nase herumtanzen? Sicher wird es einige Jahre dauern, doch es wird zur Spaltung der EU kommen. Eine Spaltung in eine Föderation einerseits (die wir uns in den Grenzen der aktuellen Euro-Zone vorstellen können) und in eine Ostgruppe andererseits, mit der es vielleicht noch ein Freihandelsabkommen geben wird.“