Europas Grenzen gehen wieder auf
Im Zuge verschiedener Lockerungen von Corona-Beschränkungen haben sich mehrere europäische Staaten auf eine sofortige oder baldige Öffnung ihrer Grenzübergänge geeinigt. Europas Presse begrüßt dies, einige Kommentatoren wünschen sich aber klarere Kriterien und, im Fall einer zukünftigen Pandemie, mehr Zusammenarbeit bereits in der Schließungsphase.
Der ersten Schwalbe mögen viele folgen
Pravda begrüßt die Anstrengungen zur Öffnung der Grenzen innerhalb des Schengenraumes:
„Eine der größten Errungenschaften der EU ist die Freizügigkeit. Daher zögerten viele Menschen, diese Bequemlichkeit aufzugeben, obwohl sie verstanden hatten, dass der effektivste Weg, die Ausbreitung von COVID-19 zu stoppen, darin bestand, die Grenze rechtzeitig hermetisch zu schließen. ... Die Nachricht, dass Berlin an diesem Samstag seine Grenzen (zunächst zu Luxemburg) öffnen wird, ist die erste Schwalbe, der hoffentlich andere folgen werden. Alles Schlechte hat immer auch etwas Gutes. Wenn die Pandemie abgeklungen ist und wir wieder frei in Europa reisen können, können diejenigen, die nur die negativen Dinge in der Union sehen, den Wert der Freiheit erkennen.“
Spanien rudert gegen die eigenen Interessen
Dass Spanien strenge Quarantäne-Regelungen für Einreisende beschlossen hat, während Europa schon an der Grenzöffnung arbeitet, ärgert ABC:
„Die EU-Kommission empfahl den Mitgliedsstaaten, die Grenzen auf sichere Weise zu öffnen. Und nur 24 Stunden zuvor führte die spanische Regierung eine zweiwöchige Quarantäne für jeden ein, der Spanien besucht. Gleichzeitig hat die Sánchez-Regierung noch keinen einzigen Plan für die Erholung des Tourismus beschlossen, obwohl der Sektor 12 Prozent unserer Wertschöpfung ausmacht und wir im vergangenen Jahr 90 Millionen Besucher aus dem Ausland empfingen. ... Was Spanien ihnen bei ihrer Ankunft anbietet, sind zwei Wochen in ihrem Hotel, Apartment oder Feriendomizil, das sie nur zum Einkaufen oder für den Gang zur Apotheke verlassen dürfen. Wer will so schon nach Spanien reisen?“
Für ein baltisches Schengen
Ab heute sind die Grenzen zwischen den baltischen Staaten offen, bereits seit Donnerstag ist der Berufspendelverkehr zwischen Estland und Finnland wiederhergestellt. Postimees wünscht sich mehr Zusammenarbeit bei künftigen Grenzschließungen:
„Eine starke und einheitliche Kontrolle an der EU-Außengrenze vermindert die Notwendigkeit, die Innengrenzen zuzumachen. ... In der Zukunft sollte man die Möglichkeit erwägen, die baltische Außengrenze koordiniert zu sperren, falls die Gefahr von keinem von uns ausgeht. Falls bei künftigen Wellen in Europa wieder Grenzen geschlossen werden, sollte das baltische Schengen solange wie möglich aufrechterhalten werden. So müssen wir die Ressourcen nicht auf die gegenseitige Kontrolle der Fernfahrer verschwenden und uns mit Sonderregelungen für lettische Arbeiter auseinandersetzen.“
Und was ist mit Slowenien und Kroatien?
Der Standard kritisiert, dass Österreich seine Grenzen unter anderem nach Deutschland, aber nicht nach Süden öffnen will:
„Gut ein Drittel der Sommertouristen kommt aus dem nördlichen Nachbarland. ... Die Infektionszahlen der beiden Länder lassen eine Entfernung der Grenzbalken ohne Zweifel zu. Im Gegensatz etwa zu Italien. ... Warum aber die südlichen Nachbarn Slowenien und Kroatien, die bisher ... gut durch die Corona-Krise gekommen sind, nicht ebenso in 'Öffnungsverhandlungen' einbezogen werden, ist nicht argumentierbar. ... Es riecht penetrant nach Isolationismus und protektionistisch muffiger Staatsführung. Österreicher sollen dieses Jahr den Meerurlaub streichen und zu Hause bleiben, um die heimische Tourismusbilanz aufzufetten.“
Ressentiments bleiben
Dass Deutschlands Innenminister Seehofer das Virus nun im "europäischen Geist" mit Nachbarländern gemeinsam bekämpfen will, klingt für das Tageblatt wie ein schlechter Witz:
„Von einem Tag auf den anderen wurde vor zwei Monaten, ohne Vorwarnung, die Grenze zu Luxemburg geschlossen. Eine Entscheidung, die nicht nur an der Lebensrealität in der Grenzregion vorbeischoss, sondern auch über die Köpfe der dort lebenden und arbeitenden Menschen hinweg getroffen wurde. Der Weg von Grevenmacher [DEU] nach Wellen [LUX] war für die Anwohner so selbstverständlich wie der Weg von Esch nach Differdingen [beide LUX]. ... Die geschlossenen Grenzen haben einiges an Ressentiments gegenüber unserem deutschen Nachbarn geschürt. Die Öffnung der Grenzen dürfte die Gemüter etwas beruhigen – doch ... Unverständnis, Unsicherheit und Verdrossenheit werden noch eine Weile weiterbestehen.“
Gut für die mentale Gesundheit
Jyllands-Posten hofft, dass auch Dänemark bald nachzieht:
„Die Grenzschließungen waren nationale Entscheidungen, die Öffnungen sind es auch, aber dennoch ist es wichtig, dass es gemeinsame europäische Bestrebungen in dieser Sache gibt und dass die EU versucht, es so zu steuern, dass EU-Länder mit einer vergleichbaren Ansteckungsgefahr ihre gemeinsamen Grenzen wieder öffnen. ... Wir müssen uns auf ganz andere Bedingungen einstellen, als wir sie sonst gewohnt sind, das gilt am Strand wie im Restaurant, im Hotel wie auf dem Campingplatz - Abstand und kleine Gruppen. Aber für den Tourismus und die mentale Gesundheit ist es wichtig, wieder rauszukommen.“