Biden: Wird internationale Politik friedlicher?
Die Erleichterung über die Wahl Bidens ist groß in Europa. Doch nur wenige Tage nach der Entscheidung verhängte die EU am Montag Strafzölle gegen die USA, ein Indiz dafür, dass die Interessen über den Atlantik hinweg weiterhin auseinandergehen dürften. Daher fragen sich auch Kommentatoren, was der Machtwechsel im Weißen Haus für die internationale Politik bedeutet.
Weniger Spannungen, mehr Handel
Diena hofft, dass die USA unter Joe Biden kooperativer auf ihre Wirtschaftspartner eingehen:
„Obwohl Trump allgemein der US-Wirtschaft gewogen war und den Wallstreet-Index positiv beeinflusst hat, hat er sich durch eine gewisse Unvorhersagbarkeit ausgezeichnet. Vom neuen Präsidenten wird nun erwartet, dass die USA gegenüber dem Rest der Welt offener werden. Dies würde weniger Spannungen in den Handelsbeziehungen mit Europa, Kanada und Mexiko bedeuten. Dazu einen größeren Umschlag von Waren, Dienstleistungen und Geld, was in einer Zeit, in der die Verbreitung von Covid-19 neue Rekorde schlägt, sehr wichtig ist.“
Hoffnung für den Westbalkan
Kaum ein US-Politiker kennt die Lage auf dem Westbalkan so gut wie Joe Biden, bemerkt Jutarnji list:
„Im Gegensatz zu Trump kennt Biden die Region nicht nur, sondern hat wirklich zum Ende der Konflikte in Bosnien Herzegowina und dem Kosovo beigetragen. Er wird sich als Präsident zwar nicht viel mit der Region beschäftigen können, vielleicht überhaupt nicht. Er wird kaum Zeit für eine Aussöhnung der Serben und Albaner finden, wenn er seine eigene Nation versöhnen muss, die wie nie zuvor gespaltenen Amerikaner. Aber die US-Administration unter seinem Mandat wird mit der EU auch auf dem Balkan zusammenarbeiten, und die EU braucht jemanden, der sie dazu anregt, etwas im eigenen Hinterhof zu tun. ... Washington unter Biden wird dabei weder Konkurrent noch Hindernis sein, sondern Unterstützer.“
Zeit zum Aufwachen
Für die EU wird es jetzt nicht zwangsläufig gemütlicher, prophezeit Krytyka Polityczna:
„Während jegliche Verständigung mit Trump an der Spitze der amerikanischen Politik praktisch unmöglich war, kann man sich kaum vorstellen, dass die Europäer Biden eine Absage erteilen, wenn er sie an den Verhandlungstisch einlädt. Das ist nicht nur eine neue Verpackung, das ist ein grundlegender qualitativer Unterschied. Paradoxerweise könnte die Biden-Regierung daher eine größere Herausforderung für Europa darstellen als die scheidende Regierung. Es wäre für uns Europäer lohnenswert, unsere Fehler aus der Obama-Ära in dieser Situation nicht zu wiederholen. Damals haben wir im Grunde alle Forderungen nach größerer Zusammenarbeit verschlafen.“
Alter Wein in neuen Schläuchen
Europa sollte nicht allzu viel vom neuen US-Präsidenten erwarten, meint G4Media.ro:
„In vielen Fragen der Außenpolitik wird es eine Art Fortsetzung des Kurses seines Vorgängers geben. Die zurückhaltende Haltung der USA in militärischen Fragen wird sich unter der neuen Führung im Weißen Haus nicht ändern. Im Gegenteil, Biden hat bereits in der Amtszeit von Obama für einen schnellen Abzug der US-Truppen aus dem Irak plädiert. So wie für Trump wird auch für Biden Europa nicht der wichtigste außenpolitische Bereich werden. Washington schaut vor allem Richtung Asien und sieht im Aufstieg Chinas die größte Bedrohung für die Sicherheit und den Wohlstand Amerikas.“
Aufatmen im Kreml
Russland dürfte froh sein über die Abwahl Donald Trumps, meint fakti.bg:
„Biden wird die antirussische Rhetorik intensivieren, schreiben die internationalen Medien. Das Problem ist, dass bei ihm alles auf der Ebene der Rhetorik bleiben wird. Im Gegensatz zu Trump, der überhaupt nichts gegen Russland sagte, dafür aber handelte: Er hat buchstäblich die russischen Geheimdienste aus dem Balkan verjagt. Er brachte die US-Marine ins Schwarze Meer und bereitete sich darauf vor, hier einen Quasi-Marinestützpunkt zu errichten. … Er war im Begriff, die russische Energiemacht in Europa zu zerstören und er brachte viele Nato-Staaten dazu, für ihre Verteidigung zu zahlen anstatt für abstruse sozialistische Programme.“
Gegenwind für Netanjahu
Der Machtwechsel im Weißen Haus dürfte Israels Siedlungspolitik einen Riegel vorschieben, meint El País:
„Fundamentalistische Juden, die die Bibel statt legaler Besitzurkunden benutzen, um palästinensische Gebiete zu besiedeln, dürften es schwer haben, von der Biden-Regierung den aus den vergangenen vier Jahren gewohnten Rückhalt zu erhalten. Von dem unter Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn, erschaffenen Friedensplan bleibt übrig, was Israel bereits erreicht hat: die diplomatische Anerkennung durch die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Sudan. Das ist nicht wenig, vor allem, wenn man den Umzug der US-Botschaft nach Jerusalem hinzufügt sowie die Anerkennung der israelischen Souveränität in den von Syrien eroberten Golanhöhen.“