Was wollen die USA mit ihrem Demokratiegipfel?
Bei einem am heutigen Donnerstag beginnenden Online-Gipfel will US-Präsident Joe Biden mit 110 Regierungen erörtern, wie die Demokratie gestärkt werden kann. Drei Themen sollen den Kern der Debatten bilden: Bekämpfung von Autoritarismus, Bekämpfung von Korruption, Stärkung der Menschenrechte. Während neben Russland und China zum Beispiel auch Ungarn fehlt, dürfen Polen und Brasilien teilnehmen.
Zeichen gegen den Verfall
Die Initiative ist auch gegen Russland gerichtet, schreibt Público:
„Russland hat die kommunistische Ideologie schon vor vielen Jahren begraben und sie durch einen aggressiven Nationalismus ersetzt. Das Regime, das Putin in den letzten zwei Jahrzehnten aufgebaut hat, wird von vielen Analysten als 'Kleptokratie' bezeichnet, in der sich die Entourage des Präsidenten den Reichtum des Landes angeeignet und ein noch nie dagewesenes Vermögen angehäuft hat, das sie nur behalten kann, wenn sie dem Führer gegenüber loyal bleibt. Es gibt weltweit immer mehr Regime mit diesen Merkmalen, aber mit weniger Macht und Reichtum. … Es ist eine der Motivationen des amerikanischen Präsidenten, den autokratischen Trend umzukehren oder zumindest den demokratischen Rückschritt zu stoppen.“
Politische Akrobatik
Polityka-Kommentator Marek Ostrowski wundert sich über die Gästeliste:
„Die Liste der eingeladenen Regierungen - denen die Amerikaner nolens volens ein Zertifikat für demokratisches Wohlverhalten ausstellen - ist lang, mehr als die Hälfte aller Länder der Welt. ... Es beschämt mich, das sagen zu müssen, aber laut einer Studie, die sich auf ein Dutzend detaillierter Indikatoren stützt, ist Polen das Land mit dem stärksten Demokratierückgang weltweit - noch vor Ungarn, der Türkei und Brasilien! Dennoch erhielt Polen eine Einladung zum Biden-Gipfel, Ungarn hingegen nicht. Auch die Türkei steht nicht auf der Liste, obwohl sie ein wichtiger Verbündeter in der Nato ist, wohl aber Pakistan oder der Irak. Washington übt sich in politischer Akrobatik.“
Die Legitimität des Gastgebers ist angekratzt
Über die Sinnhaftigkeit des Treffens lässt sich nicht nur wegen der Auswahl der Gäste streiten, findet Le Temps:
„Es stellt sich auch die Frage, ob die USA am besten geeignet sind, über hundert Länder zur Verteidigung der Demokratie zusammenzubringen: Die Ereignisse auf dem Capitol Hill Anfang des Jahres und Trumps Weigerung, seine Niederlage zu akzeptieren, schwächen Washingtons Anspruch, eine neue Bewegung zur Konsolidierung der Demokratie anzuführen. Letztlich ist es aber sicher nicht nutzlos, dass sich demokratische Länder treffen, um gemeinsam zu prüfen, wie das System im Digital- und Internetzeitalter funktionieren kann, Erfahrungen auszutauschen und zu lernen, wie sie sich gegen Angriffe rüsten können.“
Wir sind Bürger, keine User
El País fordert eine Regulierung des Internets, um die Demokratie zu schützen:
„Wir verbringen einen großen Teil unseres Lebens online. ... Deshalb müssen wir über Demokratie im Internet sprechen, das bisher ein Wilder Westen ohne jegliche Kontrolle war. ... Um die Demokratie zu verteidigen, zu stärken und zu erneuern, bedarf es heute einer digitalen Governance. ... Ja, wir brauchen eine supranationale Einrichtung, aber um sie zu etablieren, müssen wir zuerst die Zivilgesellschaft dazu bringen, sie zu fordern. ... Erheben wir unsere Stimme und sagen wir laut und deutlich: 'Wir sind Bürger, keine User.' ... So war es bei der industriellen Revolution, und so muss es auch bei der digitalen Revolution sein.“