Hamas und Israel: Kommt nun die Bodenoffensive in Gaza?
Israel befindet sich im Krieg, nachdem die radikal-islamische Hamas das Land am Samstag brutal angegriffen hatte. Derzeit wird über die Freilassung israelischer Geiseln verhandelt, die Hamas-Kämpfer nach Gaza verschleppt haben. Die Zahl der Toten auf israelischer Seite übersteigt inzwischen 1.200, laut israelischen Angaben seien mindestens 1.000 bewaffnete Palästinenser getötet worden. Kommentatoren fragen sich, wie es mit dem Krieg nun weitergeht.
Die Hamas muss da raus
Für Tygodnik Powszechny wäre eine Bodenoffensive nur logisch:
„Es geht nicht nur darum, Rache zu üben und einen Gegner zu besiegen, der sich als weitaus gefährlicher erwiesen hat als angenommen, sondern auch darum, die Glaubwürdigkeit Israels bei seinen eigenen Bürgern und sein Ansehen auf der internationalen Bühne wiederherzustellen. ... Es ist schwer vorstellbar, dass die Regierung in Jerusalem die Präsenz der Hamas im Gazastreifen weiterhin toleriert. Eine groß angelegte Bodenoperation oder sogar eine Rückkehr zur israelischen Besatzung des Gazastreifens ist daher zu erwarten. ... Dies würde unweigerlich zu großen Verlusten unter der palästinensischen Zivilbevölkerung und möglicherweise zu einem massiven und dauerhaften Exodus führen.“
Fiasko wie im Irak vermeiden
Expresso weist auf die Gefahren hin, die eine Besetzung des Gaza-Streifens durch Israel mit sich bringen würde:
„Wenn Israel dem Weg der USA folgt und sich auf einen endlosen und unpräzise gefassten 'Krieg gegen den Terror' einlässt, indem es in den Gazastreifen einmarschiert, um ihn von allen Hamas-Elementen zu säubern, wird es das Problem bekommen, das die Amerikaner in Afghanistan und im Irak hatten: Was kommt danach? Wer wird das Machtvakuum füllen? In Afghanistan kamen dieselben Leute zurück, im Irak herrschte mehr als ein Jahrzehnt völlige Anarchie, die etwas viel Schlimmeres als Saddam hervorbrachte, nämlich den IS, dessen kranke Nazi-Gewalt nun von der Hamas imitiert wird. Eine Invasion ist keine Lösung.“
Allerhöchste Brandgefahr für die gesamte Region
Von einer Invasion des Gazastreifens hin zu einem Krieg im Großteil des Nahen Ostens ist es kein weiter Weg, befürchtet Večernji list:
„Die Lage im Nahen Osten ist von Tag zu Tag prekärer, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Krieg sich vom Gazastreifen nach Libanon beziehungsweise Syrien ausbreiten wird. Sollte es zu einer Bodenoffensive oder direkter Einmischung der USA kommen, würde dies zu einem Krieg von großem Ausmaß führen. ... Auch der wichtigste Verbündete der USA in der Golfregion, Saudi-Arabien, unterstützt die Palästinenser. Analytiker sind überzeugt: Sollten sich Iran, Syrien, Libanon, Jemen und Irak am Krieg beteiligen, könnte dieser verheerend sein und die Weltkarte für immer verändern.“
Die Angst vor dem Großen Dschihad
Viele EU-Länder befürchten, dass sich der Terror auf ihre Staaten ausweiten könnte, schreibt Adevărul-Kolumnist Cristian Unteanu:
„Alle sind nicht nur vorsichtig, sondern auch ängstlich, da die Möglichkeit einer Ausweitung der Bedrohung durch terroristische Angriffe in Europa droht. Es könnten verschiedene terroristische Organisationen dazu aufrufen, so wie einst der Islamische Staat. … Bislang hat es noch keinen offiziellen Aufruf zum Großen Dschihad gegeben, es zirkulieren nur Petitionen in den üblichen Kanälen. ... Die große Frage ist, ob die palästinensischen Gemeinden im Ausland für direkte Aktionen mobilisiert werden können. Damit könnte sich eine neue Kampffront öffnen.“
Nutznießer Putin
Für Die Presse profitiert Moskau in vielerlei Hinsicht vom Nahost-Krieg:
„Erstens, indem der Krieg die Aufmerksamkeit des Westens im Allgemeinen und der Vereinigten Staaten im Speziellen weg von der Ukraine und hin zu Israel lenkt. Zweitens, indem er die Amerikaner dazu zwingt, ihre zweifellos reichhaltig gefüllten, aber nicht unerschöpflichen Waffenlager rascher zu leeren, als es den Planern im Pentagon lieb sein kann. Und drittens, indem er Erdöl teurer macht, von dessen Verkauf Russland abhängiger denn je ist. ... Nachdem er in der Ukraine weder vor noch zurück kann, braucht er [Putin] den ewigen Krieg und das globale Chaos, um sich weiter an die Macht klammern zu können.“
Eine Zäsur
Eine neue Ära in Nahost sieht Le Figaro kommen:
„Es ist wahrscheinlich das Ende der Palästinensischen Autonomiebehörde in ihrer derzeitigen Form, die neunzehn Jahre nach der Wahl von Mahmud Abbas in Illegitimität und Korruption erstarrt ist. Es ist auch der letzte Atemzug der 'Zweistaatenlösung', einer Schimäre, der sich die Israelis, bestärkt in ihrer Überzeugung, einem Todfeind gegenüberzustehen, noch vehementer verschließen werden als bisher. Als Kollateralschaden könnte auch der Normalisierungsprozess mit den arabischen Nachbarstaaten Israels vor dem Aus stehen. Sogar die von der rechts-religiösen Regierungskoalition gebeutelte israelische Demokratie könnte auf dem Friedhof der Illusionen landen.“
Düstere Aussichten
Die Frankfurter Rundschau befürchtet, dass sich der Krieg ausweitet:
„Denkbar ist etwa ein Aufstand von Palästinenserinnen und Palästinensern im Westjordanland. Der Iran könnte seinen großen Einfluss im Libanon, im Irak und Syrien nutzen, um diese Länder dazu zu bringen, sich der Hamas anzuschließen und gegen Israel vorzugehen. Und der Autokrat Wladimir Putin könnte seine guten Kontakte zum syrischen Assad-Regime nutzen und ebenfalls Öl ins Feuer gießen, weil er keine Gelegenheit ungenutzt lässt, um weitere Konflikte zu schüren, die auch den Westen schwächen und vom Krieg in der Ukraine ablenken.“
Es hängt von Riad ab
Die Hamas hat allein nicht das Potenzial, weiterzumachen, bemerkt Trud:
„Die Hamas ist Teil eines Blocks, man könnte sogar sagen, ein Instrument in den Händen des Irans beziehungsweise Russlands, die für ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen im Nahen Osten kämpfen, mit Israel und Saudi-Arabien auf der anderen Seite. ... Die Hamas kann nicht lange so Krieg führen. Die Schlüsselposition ist nun die von Saudi-Arabien. Wird es sich an den iranisch-russischen Haken hängen oder wird es weiter in seinem Eigeninteresse handeln, wie es das bisher getan hat, indem es den Umfang der Beziehungen zu China, Indien und so weiter ausweitet? ... Es hängt viel von Riad ab.“
Konfrontation mit Teheran möglich
Visão kann sich vorstellen, dass Israel nun den Iran angreift:
„In diesem Krieg ist leider eine Partei abwesend, versteckt und verschleiert, und das ist Teheran. Es hat Israel nie direkt angegriffen, erkennt aber sein Existenzrecht nicht an und wird alles in seiner Macht stehende tun, um es eines Tages zu vernichten. Israel war immer auf dieses Szenario vorbereitet und wird niemals zulassen, dass die Iraner Atomwaffen besitzen. … Auch wenn die Israelis von der beschämenden Zahl der Toten, Verletzten und Geiseln schockiert sind, profitieren sie jetzt von einer weltweiten Welle der Empörung [über den Hamas-Angriff], die gerecht und verdient ist und den strategischen und militärischen Zielen der Regierung des jüdischen Staats dienen wird. ... Teheran ist ein legitimes Ziel für Jerusalem geworden.“
Das war's mit nachbarschaftlicher Zusammenarbeit
Jetzt droht vielen überregionalen Entwicklungsprojekten das Aus, meint Yetkin Report:
„Die Krise wird sich nicht nur politisch auf die Türkei auswirken. ... Energieminister Alparslan Bayraktar wurde nächste Woche zu Gesprächen über eine Erdgaspipeline in Israel erwartet. Es wäre kein Orakeln, zu sagen, dass diese und viele ähnliche Projekte auf Eis gelegt werden, bis der israelisch-palästinensische Konflikt gelöst ist. Dies gilt auch für die Bemühungen arabischer Länder wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate um eine Annäherung an Israel. Selbst für das ehrgeizige Projekt des Wirtschaftskorridors Indien-Naher Osten-Europa, das auf dem G20-Treffen erörtert wurde. Der israelische Hafen von Aschkelon, ein Schlüsselelement dieses Projekts, war ebenfalls Ziel der Hamas.“