Kritik an Elon Musks Gastbeitrag in der "Welt"
Der Multimilliardär und künftige Beauftragte für Bürokratieabbau unter dem designierten US-Präsidenten Donald Trump, Elon Musk, hat in der Welt am Sonntag für die rechtspopulistische AfD geworben. Sowohl Musk als auch die Zeitung ernteten dafür heftige Kritik. Am 23. Februar steht in Deutschland eine vorgezogene Bundestagswahl an. Europäische Kommentatoren bewerten den Gastbeitrag völlig unterschiedlich.
Es lebe das Recht auf Einmischung!
Welt-Autor Henryk M. Broder versteht die Aufregung nicht:
„Sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes einzumischen, ist eine beliebte Disziplin aller Politiker, Journalisten und auch normaler Menschen ... . Vor und nach Wahlen melden sich zahllose Experten zu Wort, die dem Volk erklären, warum die USA 'ein tief gespaltenes Land' sind ... . [I]n Europa [geht es] um eine strukturelle Erweiterung des europäischen Binnenmarktes, der auf vier Säulen ruht: freier Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital. Jetzt kommt eine fünfte Säule dazu: Informations- und Meinungsfreiheit über alle Grenzen hinweg. Es lebe das Recht auf Einmischung in die Wahlkämpfe und andere innere Angelegenheiten befreundeter Staaten!“
Unkontrollierbarer Beeinflusser
Die Positionierung Musks ist nicht vergleichbar mit der von ausländischen Politikerinnen und Politikern, entgegnet Kolumnist Thomas Legrand in Libération:
„Elon Musk (und seine Artgenossen bei den großen IT-Unternehmen) hat mehr Einfluss auf das Alltagsleben der Erdbewohner als der Herr im Weißen Haus. Musk ist durch seine Beherrschung der Algorithmen von X, seine Finanzkraft, die mit der eines Staats vergleichbar ist, seine ultradominante Position in den strategischen Technologie- und IT-Industrien sowie bei Satelliten dazu fähig, nahezu alle Debatten der 'freien Welt' zu steuern und sogar technisch und strategisch wie in der Ukraine auf Konflikte einzuwirken. Und er kann durch keine Wahl seines Amtes enthoben werden.“
Notorischer Fake-News-Verbreiter
Musk als Gastautor hat in keiner seriösen Zeitung etwas zu suchen, findet die taz:
„Es ist kein Pluralismus, diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die ebenjenen Pluralismus abschaffen wollen. Musk hat kürzlich zum Boykott des Nachschlagewerks Wikipedia aufgerufen, weil es ihm politisch nicht in den Kram passt. Er will andere Meinungen unterdrücken. Wer vorgibt, so jemandem wegen Meinungsvielfalt Raum zu geben, macht es sich in einem Pseudoliberalismus bequem, der letztlich auf Totalitarismus hinausläuft. Hinzu kommt, dass Musk ein notorischer Fake-News-Verbreiter ist und allein wegen mangelnder Seriosität als Gastautor nicht infrage kommen dürfte.“
Es wird mit zweierlei Maß gemessen
Die Neue Zürcher Zeitung kann die Empörung nicht nachvollziehen:
„Würde umgekehrt ein Wahlaufruf für die Grünen durch den amerikanischen Milliardär George Soros ähnliche Reaktionen auslösen? Im Jahr 2019, kurz vor den Europawahlen, als Soros dies tat, war das jedenfalls nicht der Fall. Auch die Meinungsstücke von Wladimir Putin in der Zeit im Jahr 2021 und im Handelsblatt 2017 lösten kein vergleichbares mediales Erdbeben aus. Zu diesem Zeitpunkt hatte Russland bereits völkerrechtswidrig die Krim überfallen und annektiert. Die Empörung über Musks Gastbeitrag ist dementsprechend heuchlerisch und verdeutlicht einmal mehr, wie es um die Meinungsfreiheit in Deutschland bestellt ist: Sie ist nur dann akzeptabel, wenn sie mit den Ansichten eines sich progressiv wähnenden Justemilieu übereinstimmt.“
Heuchelei der Eurokratie
Die Kritik an Musks Wahlaufruf zeigt die Doppelmoral deutscher und europäischer Politiker, meint wPolityce.pl:
„Man kann diesen Kommentar für arrogant und für eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Deutschlands halten, und zwar von einem Mann, der bereits in einem Monat Mitglied der Regierung eines anderen Landes sein wird. Der Beitrag wurde publiziert, nachdem in Deutschland erneut ein Terroranschlag verübt worden war. Ein Einwanderer aus Saudi-Arabien fuhr in einen Weihnachtsmarkt in Magdeburg, tötete fünf Menschen und verletzte Dutzende. ... Die Empörung in Deutschland und Europa über den Gastbeitrag von Musk ist ebenso groß wie die Heuchelei der Eurokratie. Diese hat schamlos zu verstehen gegeben, wen sie sich für die US-Präsidentschaft wünscht.“
Besorgniserregend
Les Echos warnt vor Musk:
„Seine Eingriffe in Politik und Geopolitik sind schädlich, wie man in der Ukraine gesehen hat. Und auch der Fall Deutschlands ist besorgniserregend. Weil sich eine seiner Fabriken in Berlin befindet, nimmt er sich das Recht heraus, die rechtsextreme AfD zu unterstützen, die er als 'letzten Funken Hoffnung für Deutschland' bezeichnet. In Wirklichkeit ist sie eine xenophobe, Putin-freundliche und prorussische Partei. Außerdem ist sie antiamerikanisch, ähnlich wie die französische RN. ... Elon Musk belässt es nicht dabei und schwärmt auch für das britische Pendant von Nigel Farage. Der reichste Mann der Welt darf nicht auch zum mächtigsten Mann der Welt werden.“
Deutschland hat viel zu verlieren
Musk und Trump schwächen Berlin in zweierlei Hinsicht, warnt L’Opinion:
„Zum einen politisch, da der Chef von Tesla, X und SpaceX lautstark in den Wahlkampf eingreift. … Solche Äußerungen von einer Person, die von einem Großteil der Jugend geschätzt wird und dem künftigen US-Präsidenten nahesteht, können der AfD - die in den Umfragen bereits auf dem zweiten Platz liegt - nur noch weiteren Auftrieb geben. ... Zum anderen wirtschaftlich, da Trump eine Erhöhung der Importzölle plant. Aufgrund der großen Exportmengen ist neben China auch Deutschland im Visier und hat viel zu verlieren. Ein Geschäftsrückgang auf dem US-Markt würde nach dem Stopp russischer Gaslieferungen und dem Rückgang der Exporte nach China die letzte Säule seines Industriemodells zum Einsturz bringen.“