Corona-Epidemie: Gegenmaßnahmen unter der Lupe
Das Coronavirus, das im Dezember 2019 zuerst in der chinesischen Stadt Wuhan entdeckt wurde, breitet sich weiter aus. Bisher wurden über 42.000 Fälle gemeldet, 1113 Menschen starben an dem Erreger. Europäische Stimmen loben China trotz verbreiteter Kritik für sein vorbildliches Engagement gegen die Krankheit und beleuchten ungeahnte Nebeneffekte.
Dieses Tempo kann nur China vorlegen
Der Journalist Ricardo Santos bewundert in Diário de Notícias, wie schnell in China gegen das Virus gehandelt wird und dass über Nacht ganze Krankenhäuser entstehen:
„Alles arbeitet gegen die Zeit und die Mobilisierungskapazität des Landes und seiner Bewohner ist nicht mit dem Rest der Welt zu vergleichen. Das liegt in der Kultur. In den Augen europäischer Technokraten mag dies absurd erscheinen, aber wer die chinesische und asiatische Kultur kennt, dem wird schnell klar, dass wir unsere Maßstäbe an dieser Stelle nicht verwenden sollten. Wenn ich ein Land auswählen könnte, in dem eine Epidemie ausbricht, wäre es China.“
Gefährliche Abhängigkeit von Arznei aus Fernost
Europa ist bei der Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Medikamenten auf China und Indien angewiesen - das ist bedenklich, meint Der Bund:
„Denn abgesehen von den Problemen, die sich ohnehin stellen, wäre das Erpressungspotenzial der asiatischen Supermacht bei einem politischen oder ökonomischen Konflikt enorm. Die Schuld in einem globalisierten Markt mit grossem Preisdruck einzelnen Akteuren, etwa den Generikaherstellern, aufzubürden, ist zu einfach. Um die Abhängigkeit von China und Indien zu entschärfen, gibt es letztlich nur eine Lösung: wichtige Wirkstoffe wieder in Europa zu produzieren. Dies würde aber bedeuten, dass die Produktionskosten und damit die Verkaufspreise steigen.“
China krankt an fehlendem Vertrauen
Die durch das Virus ausgelöste wirtschaftliche Instabilität zeigt das Misstrauen gegenüber Chinas Regierung, meint der Journalist Kirill Martynow in einem von newsru.com übernommenen Facebook-Post:
„Im Internet gehen panische Gerüchte um, dass es über tausende Sterbende in Wuhan gibt. An der chinesischen Grenze weigern sich Russen, mit Waren aus China zu arbeiten, weil sie sie für infiziert halten. Auf jeder Ebene sichert man sich ab, in der Folge gehen die Preise hoch und die Geschäfte abwärts. Eine Diktatur kann zwar perfekt eine Quarantäne durchsetzen. ... Aber sie hat kein Mittel, die Menschen zu zwingen, ihr zu glauben. Eine Folge der Nichtbeachtung der Menschenrechte in China ist das Fehlen einer freien Presse im Land - was bedeutet, dass es niemanden gibt, der die Handlungen der Staatsmacht kontrollieren und untersuchen könnte.“
Auch bei Viren hat die Demokratie Vorteile
Expressen weist darauf hin, dass Demokratien mit ihrer Offenheit und Toleranz bei der Bekämpfung von Epidemien klar im Vorteil sind:
„Ein Land, das von oben gesteuert wird, kann schnell handeln: Niemand beantragt eine Baugenehmigung, wenn Xi Jinping ein Krankenhausgebäude bestellt. Ingenieure und Arbeiter können aus dem ganzen Land bestellt und gezwungen werden, rund um die Uhr zu arbeiten. Das medizinische Personal kann von der Armee abgeholt werden. Die Offenheit der demokratischen Gesellschaft mit Entscheidungsträgern, die auf freie Medien und Bürger reagieren, ist jedoch unschlagbar. Wenn chinesische Ärzte es gewagt hätten, schnell und offen zu alarmieren, und die regionalen politischen Chefs einsatzbereit gewesen wären, hätten sie es möglicherweise geschafft, den Virusausbruch zu unterdrücken.“
Schließung von Wet Markets kontraproduktiv
Das Coronavirus hat sich wahrscheinlich durch angebotene wilde Tiere auf Lebensmittelmärkten übertragen. China hat den Verkauf sämtlicher Wildtierprodukte bereits untersagt. Weltweit wird außerdem die Schließung der Wochenmärkte gefordert, auf denen lebende Tiere verkauft werden. Anthropologen warnen in La Libre Belgique davor:
„Es würde den chinesischen Verbrauchern einen Sektor vorenthalten, der 30 bis 59 Prozent ihrer Nahrungsmittelversorgung ausmacht. Angesichts der hohen Zahl betroffener Landwirte, Händler und Konsumenten könnte eine Abschaffung der Wet Markets zum Aufblühen eines unkontrollierbaren Schwarzmarkts führen, wie es beim Verbotsversuch 2003 als Reaktion auf die Sars-Epidemie geschah. ... Das würde das öffentliche Gesundheitswesen Chinas und der Welt einem viel größeren Risiko aussetzen als das, welches von den gesetzlich gestatteten und reglementierten Märkten ausgeht.“
Die EU glänzt durch Abwesenheit
Der Brüssel-Korrespondent Andrea Bonanni wirft der EU in La Repubblica Tatenlosigkeit vor:
„Statt sich an die Spitze des europäischen Notstands zu stellen, versteckt sich Brüssel angesichts des globalen Schreckgespenstes des Coronavirus hinter dem üblichen Gestammel über 'nationale Kompetenzen', um seine mangelnde Initiative zu rechtfertigen. ... Es stimmt, dass die Gesundheitspolitik - wie auch die Bildung - eine rein nationale Zuständigkeit ist und die EU nur eine koordinierende Macht ausüben kann. Aber es war nicht schön dabei zuzuschauen, wie europäische Fluggesellschaften ohne jegliche Absprache darüber entscheiden, ob und wann sie Flüge nach China aussetzen. Und es ist dem Bild eines Europas der Freizügigkeit auch nicht zuträglich, dass nationale Regierungen beschlossen haben, wie und auf wen sie Quarantänebestimmungen anwenden.“
Solidarität für China - egal, was das Regime tut
Dagens Nyheter fordert, in der Debatte um das Virus zwischen der Regierung und der Bevölkerung Chinas zu unterscheiden:
„Wenn sich herausstellt, dass das Regime mit seinen Informationen sehr zurückhaltend war, ist dies möglicherweise nicht überraschend. Es gibt den Ruf, dass Diktaturen in Krisensituationen effektiv sind. Tatsächlich aber fürchten verängstigte Bürokraten oft Verantwortung und Initiative. ... Es ist nur zu wünschen, dass der chinesische Staat mit so viel Offenheit und Tatkraft vorgeht, wie es zur Überwindung des Virus notwendig ist. Unabhängig davon, ob Chinas autoritäres Regime das tut, was es tut oder nicht, verdienen die Menschen des Landes die vorbehaltlose Solidarität der Welt.“
Willkommene Ablenkung für Peking
Chinas Regierung hat die Panik rund um das Virus möglicherweise bewusst angeheizt, insinuiert Portal Plus:
„Bereits seit drei Wochen gehört das Coronavirus zu den Top-Nachrichten, auch in den Medien weltweit. Wer erinnert sich noch an die Konzentrationslager für die Uiguren, oder die Proteste der prodemokratischen Studenten und anderer Bürger in Hongkong? Niemand. Das Coronavirus hat beide Themen 'getötet' und das Regime in Peking konnte aufatmen, denn die gesamte Aufmerksamkeit gilt nun der Gesundheit. Die drastischen Maßnahmen, mit denen die am stärksten betroffenen Gebiete isoliert, die Bewegungsfreiheit eingeschränkt und sogar die Neujahrsfeiern eingedämmt wurden, zeigen, dass der Ausbruch des Coronavirus ein perfektes Alibi für Peking ist, die Loyalität der Bürger und die Effizienz der Medienkontrolle über die Bevölkerung zu testen.“
Mit dem Virus verbreitet sich der Rassismus
Einen beunruhigenden Sekundäreffekt der Aufmerksamkeit für das Coronavirus beobachtet Avvenire auch in Europa:
„Die Sinophobie betrifft nicht nur die Menschen, die aus China hierher reisen, sondern auch seit Jahren hier lebende chinesische Bürger, Unternehmen, Restaurants, junge Fußballspieler und Kinder, die italienische Schulen besuchen: allesamt Menschen und Familien, die keine Beziehung haben zur Stadt Wuhan und zur Provinz Hubei, dem Epizentrum der Epidemie. … Wenn es nicht richtig ist, zu sagen, dass das italienische Volk rassistisch ist, ist es ebenso falsch, sich in die tröstliche Vorstellung zu flüchten, die Italiener seien nicht rassistisch. ... Die Alarmglocke ertönt für uns alle - nicht wegen des Virus, sondern wegen des Rassismus, der ihn zum Vorwand nimmt.“
Journalismus muss sich an Wissenschaft orientieren
Der Standard warnt angesichts der vergleichsweise guten Informationslage vor Verschwörungstheorien:
„Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit wurde die Übertragung eines neuartigen Erregers von Tier auf Mensch so schnell entdeckt, das Virus komplett entschlüsselt, in Zellkultur vermehrt und das verfügbare Wissen in wissenschaftlichen Publikationen der gesamten Welt so rasch zur Verfügung gestellt. Jeder kann auf diese Studien zugreifen. An diesem Wissen müssen sich auch Journalisten orientieren, um das tatsächliche Gesundheitsrisiko seriös einschätzen zu können. ... Ob wir wollen oder nicht, mit dem Ausbruch neuer Krankheiten werden wir leben lernen müssen. ... Journalismus, der sich an der Wissenschaft orientiert, verkauft sich vielleicht weniger gut wie einer, der das Spiel mit der Angst betreibt. Doch er ist das einzige Rezept gegen Verschwörungstheorien.“
Kommt mal wieder runter!
Autor Isaac Rosa kritisiert in eldiario.es eine unnötige Panikmache in den Medien:
„Ich werde euch beruhigen, damit ihr keine Angst habt. Ich wiederhole: damit ihr keine Angst habt. Angst. Verstanden? A-n-g-s-t. ... Man muss also keine ANGST haben, weil NOCH kein Patient in SPANIEN mit dem VIRUS INFIZIERT wurde. Wie meinen? Die Großschreibung? ... Ich nutze sie wie ein Nachrichtensprecher, der bestimmte Worte betont, damit man sie gut versteht. ... Keine SORGE: Die chinesischen Behörden ergreifen EXTREME MAßNAHMEN und haben sogar die CHINESISCHE MAUER GESPERRT.“
Neue Dimension in Südostasien
Der ukrainische Publizist Iwan Jakowyna fürchtet in Nowoje Wremja weniger um Europa als um die ärmeren asiatischen Staaten:
„Eine der beunruhigendsten Nachrichten ist das Auftauchen des Coronavirus in Kambodscha. Von dort ist es nicht weit nach Myanmar und Bangladesch, wo Hunderte Millionen armer Menschen unter sehr beengten Verhältnissen und sogar ohne medizinische Grundversorgung leben. Wenn der neue Virus dorthin gelangt, werden die Folgen katastrophal sein. Dann wird es um ganz andere Größenordnungen von Todesfällen gehen als jetzt.“
Warum Xi höchstpersönlich gegen das Virus kämpft
Das Virus hat Chinas Präsident in eine Sackgasse gedrängt, aus der er sich aber befreien kann, glaubt Népszava:
„Das Coronavirus stellt eine viel größere Gefahr für Chinas Führung dar, als die Demonstrationen in Hongkong oder die Wahlergebnisse in Taiwan. Diesmal kann man nämlich nicht verleugnen, dass der Ursprung der Krise und ihr Schwerpunkt sich in China befinden. Man kann keine undurchsichtigen feindlichen Kräfte im Ausland beschuldigen. ... Chinas Präsident spürt diese Gefahr. Ein Zeugnis dessen ist, dass er zurückschlägt und den Kampf gegen die Epidemie persönlich steuert. Doch man wird wieder auf alte Rezepte zurückgreifen: einige Personen in der mittleren oder eventuell auch manche in der oberen Führungsebene finden, die man zu Sündenböcken machen kann.“
Ausbreitung lässt sich nicht mehr stoppen
Panik beschleunigt die Ausbreitung nur, warnt der Publizist Iwan Jakowyna auf 24tv.ua:
„In den letzten Tagen häufen sich die Menschenmassen in Apotheken, Supermärkten, Tankstellen und Geschäften. Lass nur einen von ihnen krank sein, er steckt die ganze Menge an. ... Die Klügsten von Wuhan haben nicht gewartet, bis man über die Stadt die Quarantäne verhängt hat. Die haben sich schon vorher aus dem Staub gemacht. Und natürlich weiß niemand, wo sie sind und wie viele von ihnen schon infiziert sind. ... Die Inkubationszeit beträgt fast eine Woche. ... Das heißt, man kann einen gesunden Menschen nicht von einem infizierten unterscheiden. Daher können wir jetzt alle nur hoffen, dass die chinesischen Behörden die Epidemie im Anfangsstadium stoppen können.“
Schwerer Eingriff in die Freiheitsrechte
Für die Abschottung Wuhans kritisiert Lea Deuber, die China-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, neben Peking auch die WHO:
„Dass die Weltgesundheitsorganisation diesen schweren Eingriff in die Freiheitsrechte von Millionen ohne Weiteres unterstützt, ist eine Schande. Niemand will gerne krank werden. Aber China ist in der Lage, eine solche Entscheidung zu treffen, weil die Menschen kein Mitspracherecht haben. Dass die Staatengemeinschaft das ausnutzt, ist unwürdig. Kaum ein Experte hält die Isolation einer Stadt für hilfreich. ... Sinnvoll wäre es gewesen, die Menschen aufzufordern, zu Hause zu bleiben. Nun stürmen sie die Krankenhäuser, weil sie nicht mehr einschätzen können, wie gefährlich das Virus wirklich ist. Die Isolation hat die Menschen nicht geschützt. Sie hat sie in Gefahr gebracht.“
WHO unterschätzt die Globalisierung
Delo kritisiert, dass die Weltgesundheitsorganisation keinen Anlass sieht, eine internationale Notlage auszurufen:
„Leider wird mit jedem Tag deutlicher, dass die Weltgesundheitsorganisation, die beim Eindämmen des Sars-Virus eine wichtige Rolle spielte, diesmal einen schweren Fehler gemacht hat. Die Welt ist in Zeiten der Globalisierung klein geworden. Auch wenn sich so manche gegen die Globalisierung sträuben, hat sie uns längst verbunden. ... Wir husten uns schon alle gegenseitig ins Gesicht. Wenn die WHO mit China nachsichtig sein wollte und den Virus deshalb nicht als gefährlich eingestuft hat, trägt China nun die Verantwortung, das Gegenteil zu tun und sich für Vorsicht einzusetzen. Wenn es dafür nicht bereits zu spät ist.“
Eine Aufgabe am Rande der Unmöglichkeit
Die Abriegelung von Wuhan könnte sich als unrealistisch und nicht ausreichend erweisen, fürchtet Wassili Golownin, der Asien-Korrespondent von Echo Moskwy:
„Die Ausmaße der Epidemie dürften ernster sein als die Zahlen [der bisher bekannten Infektionsfälle]. Die Krankheit erfasst sogar in Masken und Handschuhen steckende Ärzte. Und am 24. Januar werden Massen an Chinesen wegen Neujahr zu Reisen durchs Land und ins Ausland aufbrechen. Die Ferien dauern bis zum Monatsende. Niemand weiß, wie sich dabei die Epidemie innerhalb Chinas und international ausbreiten wird. Zwar ist die Großstadt Wuhan, wo alles angefangen hatte, unter strenge Quarantäne gestellt. Doch eine 'Siedlung' mit zehn Millionen Einwohnern und einem Umland mit noch zweimal mehr Bewohnern abzuriegeln - das dürfte auch der entschlossenen Führung Chinas nicht so leicht fallen.“
Grippe ist größeres Risiko
Das neue Coronavirus aus der chinesischen Millionenmetropole Wuhan sollte Europäer nicht in Panik versetzen, meint der Tages-Anzeiger:
„Unsere Ängste vor Epidemien haben auch historische Wurzeln. Verheerende Pestepidemien dezimierten im Mittelalter die Bevölkerung Europas mehrmals massiv. Es gibt Schätzungen, wonach im 14. Jahrhundert über ein Drittel der Europäer an Pest starb. Und Anfang des 20. Jahrhunderts raffte die Spanische Grippe im Herbst 1918 mehr Menschen dahin als der vier Jahre dauernde Erste Weltkrieg. Wachsamkeit ist bei einem neuen Virus immer angesagt, Panik aber gerade in diesem Fall nicht. Das Risiko in der Schweiz, diesen Winter schwer an Grippe zu erkranken, ist viel höher, als sich das neue Coronavirus einzufangen.“
Seit Sars hat sich viel verbessert
Chinas Umgang mit dem Coronavirus zeigt, dass die Welt besser denn je auf mögliche Pandemien vorbereitet ist, glaubt The Economist:
„Die Chinesen haben in Bezug auf den Ausbruch mit Offenheit und Kompetenz reagiert. Die Ärzte in Wuhan, der Metropole, in der alles begann, schlugen umgehend - einem Standardprotokoll zur Erkennung neuer Viren folgend - Alarm, als sie eine ungewöhnliche Häufung von Lungenentzündungen feststellten. Chinesische Wissenschaftler isolierten den Erreger schnell und informierten die Welt über Details zu seinem Erbgut. In den Tagen von Sars dauerte eine solche genetische Aufschlüsselung Wochen. Mit der heutigen Technologie ist das in Stunden möglich. Mithilfe des Erbguts können Wissenschaftler nun Erkrankungen sowohl in China, als auch im Ausland schnell erkennen.“